Wochenrückblick: Apothekensterben, Maskenpflicht und neuer Expertenrat für das Gesundheitsministerium

Dein wöchentliches Update ist online! Diese Woche beschäftigen wir uns mit dem Rückgang von Apotheken vor Ort, dem Disput über eine neue Cochrane-Studie zur Sinnhaftigkeit der Maskenpflicht und wir stellen den neuen Expertenrat von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vor.

Apothekensterben geht weiter

In Deutschland gab es zum Jahresende 2022 nur noch 18.068 Apotheken, und damit 393 weniger als ein Jahr zuvor. Das ist der größte jährliche Verlust an Apotheken in der Geschichte der Bundesrepublik. Dabei ist nicht nur die Zahl der selbständigen Apothekerinnen und Apotheker zurückgegangen (-363), sondern erstmals auch die Zahl der von ihnen betriebenen Filialen (-30). Das zeigt eine Auswertung der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, die auf den Meldungen der Landesapothekerkammern in allen 16 Bundesländern beruht. Die Apothekendichte in Deutschland liegt bei 22 Apotheken pro 100.000 Einwohnern und damit weit unter dem europäischen Durchschnitt von 32. „Viele Inhaberinnen und Inhaber geben auf, weil sie nicht genug qualifiziertes Personal oder keine Nachfolge zur Übernahme ihrer Apotheke finden. Die Basis der Arzneimittelversorgung in Deutschland wird somit langsam unterspült“, sagte ABDA-Präsidentin Gabriele Overwiening und verlangte ein Gegensteuern der Politik: „Für die Apotheken brauchen wir mehr Nachwuchs, also junge Menschen, die dort gerne arbeiten wollen und später auch bereit sind, eine Apotheke zu leiten und zu übernehmen. Die Politik muss unbedingt verlässliche Rahmenbedingungen für den Apothekenbetrieb schaffen und den Abbau bürokratischer Lasten vorantreiben.“ Overwiening forderte Wertschätzung und Perspektiven für die Apotheken und wandte sich gegen Zwangsmaßnahmen wie die Erhöhung des Kassenabschlags die im Rahmen des GKV-Stabilisierungsgesetzes für zwei Jahre beschlossen worden war. 

 

War die Maskenpflicht sinnlos? Cochrane-Institut und Faktenchecker im Clinch

Seit Anfang Februar ist die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln gefallen – ob das Masketragen bzw. die Maskenpflicht sinnvoll war oder nicht, darüber bestand lange Einigkeit: Im Großen und Ganzen „ja“. Nun hat das renommierte Cochrane-Institut eine Meta-Analyse vorgelegt, die zu einem anderen Ergebnis kommt. Demnach schütze eine FFP2-Maske individuell zwar vor Ansteckung. Dies aber nur, wenn sie richtig getragen werde, Masken von guter Qualität verwendet und diese dort benutzt würden, wo große Ansteckungsgefahr herrscht. Es kommt also darauf an, dass die richtige Maske am richtigen Ort richtig getragen werde. Das sei aber längst nicht immer der Fall, weshalb eine politisch verordnete Maskenpflicht als Schutzmaßnahme im öffentlichen Raum fast gar nichts bringe. Dieser Befund wurde im Netz und von den Publikumsmedien sofort aufgegriffen. So zitiert Bild-Online den international bekannten Aerosol-Forscher Dr. Gerhard Scheuch, der die Cochrane-Ergebnisse wie folgt einordnet: „Das Tragen von Masken in der Öffentlichkeit macht wahrscheinlich wenig oder keinen Unterschied zum Ausgang einer grippeähnlichen Erkrankung im Vergleich zum Nichttragen von Masken.“

Rummms!

Diese aus der Cochrane-Metastudie abgeleiteten Schlüsse riefen umgehend Widerspruch hervor. So betont die Faktencheck-Redaktion der dpa (Deutsche Presse Agentur), dass sich nur wenige der insgesamt 78 betrachteten Studien konkret mit dem Corona-Virus beschäftigt hätten, die anderen Studien untersuchten infektionshemmende Maßnahmen anhand von Grippe- bzw. Erkältungsviren oder betrachteten Hygienemaßnahmen wie Händewaschen und -desinfizieren. Die dpa zitiert Eberhard Bodenschatz, Professor für Physik und Direktor am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen mit den Worten: „Die Cochrane-Studie ist wenig aussagekräftig“, eben weil sie verschiedene Atemwegserkrankungen zusammenführe. Weiter kritisierte Bodenschatz: „In einem Satz schreiben sie, Masken wirken nicht, und einen Absatz später räumen sie ein, dass sie es eigentlich nicht sagen können.“ Seine eigenen Forschungen und Publikationen in Fachblättern wie „The Lancet“ hätten hingegen gezeigt, dass Masken – richtig getragen – hochwirksam vor einer Covid19-Ansteckung schützen könnten. Auch die Deutsche Apothekerzeitung warnt davor, der Cochrane-Analyse allzu viel Bedeutung beizumessen, dazu seien die untersuchten Studien zu unterschiedlich. Überdies zweifelten die Autoren selbst an ihren Ergebnissen, kritisiert die DAZ, indem sie die Kernaussage der Studie zitiert. Diese lautet: „Auf der Grundlage der von uns ausgewerteten Studien sind wir uns nicht sicher, ob das Tragen von Masken oder N95/P2-Atemschutzmasken dazu beiträgt, die Verbreitung von Atemwegsviren zu verlangsamen.“

AMIRA meint: Cochrane hat das getan, was Wissenschaft tut - ein Ergebnis präsentiert und den Gültigkeitsbereich dieses Ergebnisses selbst abgesteckt, sogar infrage gestellt. Es gilt eben nicht für alle Zeiten, sondern nur solange, bis bessere Studien durchgeführt werden, die validere Ergebnisse hervorbringen. Dass solche Studien erforderlich seien, sagen die Forscher übrigens selbst. Die harsche Kritik an dieser Einstellung zielt deshalb gar nicht auf die Cochrane-Autoren, sondern auf die befürchtete Instrumentalisierung durch diejenigen, die von Anfang an gegen die Maskenpflicht waren. Dabei lässt sich bei genauerer Betrachtung eine Aussage ermitteln, denen wohl beide Parteien zustimmen würden: Eine gut sitzende und vorschriftsmäßig getragene FFP2-Maske senkt das Risiko, sich zu infizieren, wenn auch - das gilt für die reale Welt, nicht für Laborversuche - in unbekanntem Maße. Das Problem, meint AMIRA, liegt aber darin, dass man zwar eine Maskenpflicht erlassen, aber kaum garantieren kann, dass die Menschen die Maske auch richtig tragen. Daraus lässt sich eine Handlungsempfehlung ableiten: Wer sich besser fühlt, wenn er Maske trägt, kann und soll dies tun. Dann aber unbedingt darauf achten, dass die Maske richtig sitzt. Eigentlich logisch...

 
Metaanalyse: EPs 7630 wirksam gegen Halsschmerzen

Die Gelbe Liste berichtet über eine Studie, die den Extrakt EPs 7630 aus Pelargonium sidoides, der er in „Umckaloabo“ enthalten ist und der Bekämpfung von Atemwegsinfektionen dient, mittels Metaanalyse unter die Lupe genommen hat. Ergebnis: Das Mittel sei sicher und wirksam in der Anwendung und stelle eine Alternative zur Verordnung von Antibiotika dar. Erwachsene kämpfen durchschnittlich zwei Mal pro Jahr mit einer akuten respiratorischen Erkrankung, Kinder doppelt so häufig. Obwohl 90 Prozent der Infekte von Viren verursacht werden, verschrieben Ärzte oft Antibiotika, um die Beschwerden zu lindern. Vor diesem Hintergrund analysierte eine Arbeitsgruppe um den Kinderarzt Professor Wolfgang Kamin insgesamt sieben Studien, in denen die Wirksamkeit von EPs 7630 im Gegensatz zu Placebos bei Halsschmerzen und Heiserkeit untersucht wurde. In die Studien waren insgesamt 832 Erwachsene und 267 Kinder im Alter zwischen sechs und zehn Jahren einbezogen worden. Für das Symptom Halsschmerzen zeigte die Metaanalyse, dass die Gabe von EPs 7630 die Beschwerden bis zum fünften Tag signifikant gegenüber der Placebogruppe lindern konnte. Gleiches gilt für das Symptom „Heiserkeit“. Erkrankten sei nach Gabe des Extrakts eher wieder möglich, ihren Alltagspflichten – etwa Arbeit und Schule – nachzukommen. Die Autoren der Metaanalyse schlussfolgern, dass „pflanzliche Arzneimittel eine Alternative zur Therapie mit Analgetika und Antibiotika darstellen können“, jedenfalls, wenn letztere nicht zur Bekämpfung einer durch Streptokokken hervorgerufenen Infektion eingesetzt werden müssen.  

 

Neuer Expertenrat für Lauterbach

Am 1. Februar 2023 hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) einen neuen Ausschuss von Gesundheitsexperten (SVR) eingesetzt. Die Gruppe legte ihren Bericht im Januar den Ministern vor, und jetzt sind sechs der sieben Ratsmitglieder neue Gesichter. Das unabhängige Gremium setzt sich aus sieben Professorinnen und Professoren aus den Bereichen Medizin, Wirtschaftswissenschaften, Versorgungsforschung und Pflegewissenschaften zusammen. „Der ständige Austausch zwischen Wissenschaft und Politik gibt uns wichtige Impulse bei der Erneuerung unseres Gesundheitswesens und macht unsere Politik besser. Der Sachverständigenrat hat uns maßgeblich bei der Digitalisierung, der Stärkung des Gesundheitssystems oder der Krankenhausreform unterstützen können“, so Lauterbach.

Zum Sachverständigenrat gehören in Zukunft:

  • Prof. Nils Gutacker, PhD: Professor für Health Economics an der University of York, UK
  • Prof. Dr. med. Michael Hallek: Direktor der Klinik für Innere Medizin an der Uniklinik Köln und stellvertretender Direktor des Centrums für Integrierte Onkologie Aachen Bonn Köln Düsseldorf (CIO)
  • Prof. Dr. med. Stefanie Joos: Lehrstuhlinhaberin für Allgemeinmedizin in Tübingen und ärztliche Direktorin des Instituts für Allgemeinmedizin und interprofessionelle Versorgung des Universitätsklinikums Tübingen
  • Prof. Dr. PH Melanie Messer: Professorin für Pflegewissenschaft mit dem Schwerpunkt Klinische Pflege über die Lebensspanne an der Universität Trier
  • Prof. Dr. med. Jochen Schmitt, MPH: Professor für Sozialmedizin und Versorgungsforschung an der Technischen Universität Dresden und Direktor des Zentrums für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV) der Dresdner Hochschulmedizin
  • Prof. Dr. rer. oec. Jonas Schreyögg: Wissenschaftlicher Direktor des Hamburg Center for Health Economics (HCHE) an der Universität Hamburg
  • Prof. Dr. rer. oec. Leonie Sundmacher: Leiterin des Fachgebiets Gesundheitsökonomie an der Technischen Universität München

Die Wahl der oder des Vorsitzenden und einer Stellvertretung findet am 28. Februar 2023 auf einer konstituierenden Sitzung in Berlin statt.

 

OTC-Switch: Zwei Allergiemittel sollen rezeptfrei werden

Die halbjährliche Sitzung des Fachausschusses Verschreibungspflicht des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) fand wie geplant am 25. Januar statt. Die Sitzungen sind nicht öffentlich, und die Ergebnisse werden oft nicht direkt veröffentlicht. Das kurze Protokoll der Sitzung ist jetzt verfügbar, und wenn der Gesetzgeber den Empfehlungen des Ausschusses wie gewohnt folgt, könnten die folgenden Ergebnisse daraus resultieren: Die Bilastin-Tabletten und Olopatadin-Augentropfen für Kinder könnten bald rezeptfrei erhältlich sein. Andererseits soll Cytisin zur Raucherentwöhnung nicht freigegeben werden. Das Antibiotikum Nitrofluorpyrimidin soll bald zum verschreibungspflichtigen Medikament werden. Alle zur OTC-Umstellung empfohlenen Arzneistoffe in den entsprechenden Dosierungen/Darreichungsformen dürfen erst ohne ärztliche Verordnung abgegeben werden, wenn die Arzneimittel-Verschreibungsverordnung (AMVV) geändert wurde und die Hersteller Präparate mit entsprechender Kennzeichnung auf den Markt gebracht haben.

 

Nachtrag von vergangener Woche: Biontech-Kooperation mit GB macht Union munter

Im letzten Wochenrückblick berichteten wir über den Entschluss der Mainzer Firma Biontech, die eigene, auf die Entwicklung weiterer mRNA-Therapeutika zielende Krebsforschung in Großbritannien anzusiedeln. Diese eigentlich von Biontech selbst per Pressemitteilung veröffentlichte Ankündigung, die später von der Bildzeitung aufgegriffen und verbreitet wurde, sorgte teilweise für Kopfschütteln und Empörung, andererseits auch für Verständnis. Auf jeden Fall schreckte die Abwanderung (auch ihr habt dazu fleißig kommentiert) zahlreiche Beobachter auf. Und sogar einen politischen Akteur: die CDU, die größte Oppositionspartei im Bundestag. In einer Kleinen Anfrage schreibt sie: „BioNTech hat 2021 allein etwa ein Fünftel zum Wirtschaftswachstum in Deutschland beigetragen, Rheinland-Pfalz von einem Empfänger- zu einem Geberland im Länderfinanzausgleich gemacht und der Stadt Mainz Zusatzeinnahmen von 1 Mrd. Euro verschafft.“ Die mRNA-Technologie könne folglich wichtige Beiträge zur Gesundheit und zum Wohlstand in Deutschland leisten. In 14 Fragen möchte die Fraktion von der Regierung unter anderem wissen, ob mit Biontech Gespräche über einen Verbleib in Deutschland geführt wurden, ob die Regierung die Entwicklung von mRNA-Immuntherapien und Impfstoffe vorantreibe und unterstütze und ob diese wisse, welche anderen Unternehmen in Deutschland an entsprechenden Verfahren arbeiteten. Gefragt wurde auch, ob ein Research&Developent-Hub zur mRNA-basierten Krebsforschung, analog zum Beispiel England, auch in Deutschland geplant sei.

Kleine Anfragen sind Eingaben an die Regierung, die diese innerhalb von 14 Tagen schriftlich als Bundestagsdrucksache beantworten muss. Wir werden berichten, was die Regierung antwortet.