Wochenrückblick: Apothekensterben nimmt Fahrt auf

Immer mehr Apotheken machen dicht, aber Herr Merz will die Pharmaindustrie fördern. Mehr Facharztgruppen dürfen medizinisches Cannabis verschreiben, während auch ältere Menschen in Bayern zuviel Suchtmittel konsumieren. Diese und mehr Ungereimtheiten im Wochenrückblick.

Apothekensterben nimmt weiter Fahrt auf

Im ersten Halbjahr 2024 ist die Zahl der Apotheken in Deutschland um 283 auf 17.288 gesunken. Das entspricht einem Rückgang um 1,6 Prozent seit Jahresbeginn. Sowohl die Haupt- und Einzelapotheken (minus 234) als auch die Filialen (minus 49) sind betroffen. Der Rückgang hat sich beschleunigt: Im ersten Halbjahr 2023 waren es 238 weniger, 2022 nur 205 weniger. Die Apothekendichte beträgt bundesweit nur noch 21 Apotheken pro 100.000 Einwohner, weit unter dem EU-Durchschnitt von 32. In Berlin liegt die Apothekendichte mit 19 deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. Die ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände berechnete die Zahlen anhand von Meldungen der Landesapothekerkammern.

Angesichts dieser Zahlen äußerten sich die Chefs der Apothekerverbände besorgt. So kritisierte ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening, dass die Politik trotz Warnungen nicht handelt. Overwiening sieht die Apothekenreform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach als Bedrohung für die bislang noch funktionierende Arzneimittelversorgung. Thomas Benkert, Präsident der Bundesapothekerkammer, warnt vor Qualitätseinbußen und weiteren Schließungen, die die Patientensicherheit gefährden und vor allem die Arbeitsplätze von Apothekerinnen und Apothekern bedrohen. „Arbeitsplätze von rund 40.000 Apothekerinnen und Apothekern sind bedroht, wenn in den Scheinapotheken des Ministers keine Apothekerinnen und Apotheker mehr arbeiten müssen“, sagte Benkert. Dr. Hans-Peter Hubmann, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbandes, fordert schließlich eine Erhöhung des Apothekenhonorars, das zuletzt 2013 angehoben wurde: „Wir können unseren Angestellten schon jetzt nur noch Löhne zahlen, die mit anderen Gehältern aus der Gesundheitsbranche nicht mehr mithalten können. Wir müssen unseren rund 160.000 Angestellten und unserem Nachwuchs endlich eine Perspektive geben – dazu muss das Apothekenhonorar schnell erhöht und an die Inflation angepasst werden!“

Merz will Pharmaindustrie stärken

Der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz will die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Pharmaindustrie stärken. Bei einem Besuch des Pharmakonzerns GlaxoSmithKline (GSK) in Dresden betonte er die Notwendigkeit einer starken pharmazeutischen Industrie in Europa und Deutschland. Diese sei ein „wichtiger Bestandteil unseres Gesundheitssystems“, sowohl für die Patientenversorgung als auch für die Industrie insgesamt. Merz betonte, dass ein starker Wettbewerb der europäischen Industrie auch die Versorgungssicherheit gewährleiste.

Durch die Corona-Pandemie habe sich das Bewusstsein verändert. „Wir haben plötzlich festgestellt, was uns alles fehlt, zum Beispiel dass es kaum noch forschende und produzierende Pharmaunternehmen in Europa gibt.“ Europa sei zunehmend abhängig von China und Indien geworden. Bei seinem Besuch sprach Merz auch die Impfskepsis in Deutschland an. Er betonte, dass insbesondere Kinder Schutzimpfungen benötigten und warnte vor den Risiken des Verzichts auf Impfungen. „Jeder Impfstoff kann Nebenwirkungen haben, aber kein Impfstoff hat sehr große Nebenwirkungen“, sagte Merz und plädierte für eine gemeinsame Impfkampagne von Politik und Unternehmen. Er rief dazu auf, dass sich Menschen und insbesondere ihre Kinder impfen lassen sollten. Im GSK-Werk in Dresden werden Impfstoffe gegen Grippe und Hepatitis hergestellt. Laut Unternehmensangaben werden dort wöchentlich zwei Millionen Impfdosen produziert. Am Standort sind rund 800 Menschen beschäftigt.

AMIRA meint: Richtige Ziele, aber wie Herr Merz diese erreichen will, wurde offensichtlich nichts gesagt.

AOK-Versicherte können E-Rezepte jetzt per App einlösen

Der Bundesverband der AOK hat bekanntgegeben, dass die 27 Millionen AOK-Versicherten nun E-Rezepte über die „AOK Mein Leben“-App einlösen und verwalten können. Die App, die bereits Zugang zur elektronischen Patientenakte (ePA) bietet, ermögliche es den Versicherten, ihre ausgestellten Rezepte zu überblicken und Medikamente direkt bei einer Apotheke ihrer Wahl zu bestellen. Laut einer aktuellen AOK-Auswertung sind etwa 70% der abgerechneten Arzneimittel-Verordnungen bereits elektronische Rezepte.

Um den E-Rezept-Service zu nutzen, müssen AOK-Versicherte ihre Gesundheits-ID eingeben und der Datenübertragung zustimmen. Sie können dann eine nahegelegene Apotheke suchen und das verschriebene Medikament reservieren oder einen Code in der Apotheke vorzeigen. Die App bietet eine Übersicht über alle ausgestellten und eingelösten Rezepte der letzten 100 Tage.

Der traditionelle Einlöseweg über die elektronische Gesundheitskarte bleibt weiterhin bestehen. Auch die E-Rezept-App der gematik kann genutzt werden. Die neuen Funktionen der „AOK Mein Leben“-App entsprechen den Vorgaben der gematik und den Datenschutzrichtlinien und sind im App Store und Google Play Store verfügbar.

Mehr Facharztgruppen dürfen bald Cannabis verschreiben 

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat beschlossen, dass künftig 16 Facharztgruppen sowie Mediziner mit bestimmten Zusatzbezeichnungen medizinisches Cannabis verordnen dürfen, ohne vorher die Genehmigung einer Krankenkasse einholen zu müssen. Dies betrifft unter anderem Allgemeinmediziner, Internisten und Ärzte mit Zusatzausbildungen wie Palliativmedizin und spezielle Schmerztherapie. Der Beschluss soll den bürokratischen Aufwand reduzieren und tritt in Kraft, wenn er vom Bundesgesundheitsministerium nicht beanstandet und im Bundesanzeiger veröffentlicht wird.

Der Verband der Cannabis versorgenden Apotheken (VCA) begrüßt die Entscheidung und hofft, dass künftig mehr Ärzte Cannabis verschreiben, sodass Patient*innen weniger auf Telemedizin angewiesen sind. Die Regelung soll sicherstellen, dass Ärzte die Voraussetzungen für eine Cannabisverordnung eigenständig einschätzen können, wobei bei Unsicherheiten weiterhin eine Genehmigung der Krankenkasse beantragt werden kann.

Welche Facharztgruppen und Mediziner mit Zusatzbezeichnungen von der neuen Regelung profitieren, liest du hier. 

(Quelle:Istock/skynesher)

Suchtmittelkonsum in Bayern auch bei Älteren verbreitet

Alkohol ist nur ein Problem jüngerer Menschen? Nein – das ist es auch bei Älteren in Bayern. Laut der Untersuchung „Suchtsurvey 65+“ hat rund jeder zehnte Ältere in Bayern einen problematischen Alkoholkonsum. Einige der bayerischen Älteren zeigen auch einen erhöhten Konsum opioidhaltiger Schmerzmittel.

Die Befragung ergab, dass rund 12 Prozent der Menschen ab 65 Jahren in Bayern mindestens viermal pro Woche Alkohol trinken. 16 Prozent trinken zwei- bis dreimal die Woche, und mehr als die Hälfte (53 Prozent) trinkt mindestens einmal pro Monat. Der Alkoholkonsum bleibt somit ein wichtiges Präventionsthema. Für die Untersuchung wurde der AUDIT-C-Kurzfragebogen verwendet. Die Gründe für den Alkoholkonsum sind vor allem der geschmackliche Genuss (74 Prozent), Entspannung (21 Prozent) und besseres Einschlafen (20 Prozent). Belastende Ereignisse wie der Verlust einer nahestehenden Person stehen oft im Zusammenhang mit problematischem Alkoholkonsum.

Bei einigen Über-65-Jährigen zeigte die Befragung auch einen problematischen Konsum von opioidhaltigen Schmerzmitteln. Über ein Viertel gab an, solche Schmerzmittel in größeren Mengen oder länger als verschrieben eingenommen zu haben. Fast ein Fünftel nahm diese Medikamente auch aus anderen Gründen wie Verstimmung oder Aufregung ein.

AMIRA fragt: Sind die Ergebnisse auf andere Bundesländer übertragbar? Was meint ihr?

RSV-Impfung künftig als Kassenleistung

Für Neugeborene und Säuglinge soll ein empfohlener Schutz gegen Atemwegserkrankungen durch den Erreger RSV künftig von den Krankenkassen übernommen werden. Ein entsprechender Verordnungsentwurf des Bundesgesundheitsministeriums sieht einen Anspruch auf eine Immunisierung mit dem Antikörper Nirsevimab bis zum ersten Lebensjahr vor, unabhängig von Risikofaktoren.

Dies folgt einer Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) von Ende Juni. Das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) ist die häufigste Ursache für Atemwegserkrankungen bei Säuglingen und Kindern. Jährlich werden laut Robert Koch-Institut (RKI) etwa 25.000 Säuglinge wegen RSV ins Krankenhaus eingeliefert, während rund 200.000 ambulant behandelt werden. Das Virus verbreitet sich über Tröpfcheninfektion.

Der Entwurf des Ministeriums erklärt, dass der umfassende Anspruch auf RSV-Schutz für gesetzlich Versicherte dazu beitragen soll, schwere Krankheitsverläufe, Intensivstation-Aufenthalte und Todesfälle bei Neugeborenen und Säuglingen zu verhindern. Zudem sollen Überlastungen in Kinderarztpraxen und Kliniken, wie sie bei RSV-Wellen vorkommen, vermieden werden.

Durchbruch: Halbjährliche Impfung schützt zuverlässig vor AIDS

Ein halbjährlich gespritztes Medikament könnte eine HIV-Infektion zuverlässig verhindern, wie eine neue Studie im „New England Journal of Medicine“ zeigt, die auf der diese Woche stattfindenden Welt-Aids-Konferenz in München vorgestellt wurde. Das Medikament Lenacapavir wurde an 5338 Mädchen und jungen Frauen in Südafrika und Uganda getestet. Unter den 2134 Teilnehmerinnen, die Lenacapavir erhielten, gab es keine einzige Infektion. In den Vergleichsgruppen, die orale Präexpositionsprophylaxe (PrEP) erhielten, wurden hingegen 55 Infektionen verzeichnet.

Diese Ergebnisse werden als bahnbrechender Fortschritt im Kampf gegen Aids bezeichnet. Gleichzeitig steigt der Druck auf den Hersteller Gilead, preisgünstige Generika zuzulassen, besonders für den Globalen Süden. Der aktuelle Preis in den USA liegt bei 40.000 US-Dollar pro Jahr, während Experten sagen, der Impfstoff könnte für 100 US-Dollar oder weniger produziert werden.

UNAIDS-Exekutivdirektorin Winnie Byanyima und andere Aktivisten betonen die Notwendigkeit, das Medikament schnell und kostengünstig verfügbar zu machen, um das Ziel der Beendigung der HIV-Epidemie bis 2030 zu erreichen. Besonders junge Frauen im südlichen Afrika könnten stark profitieren, da sie eine der am stärksten betroffenen Gruppen sind.

RKI-Protokolle ungeschwärzt veröffentlicht

Eine Gruppe um eine Journalistin, die die Corona-Politik der Bundesregierung kritisiert, hat die ungeschwärzten Protokolle des während der Pandemie aktiven RKI-Krisenstabs online veröffentlicht und sie am Dienstag der Woche auf einer Pressekonferenz vorgestellt. Dabei handele es sich um den vollständigen Datensatz aller Sitzungsprotokolle des Krisenstabs von 2020 bis 2023. Die Journalistin forderte auf X eine „kompromisslose und ehrliche Aufarbeitung“ der Corona-Politik in Deutschland und sieht die Veröffentlichung der ungeschwärzten Protokolle als Beitrag dazu. Zur Erinnerung: Das RKI hatte die Protokolle im Frühjahr mit zahlreichen geschwärzten Passagen freigegeben. Die Schwärzungen in diesen Protokollen hatten eine Debatte über die Unabhängigkeit des RKI ausgelöst.

Kritiker der Corona-Maßnahmen lesen aus den nun komplett verfügbaren Protokollen heraus, dass das RKI in wichtigen Fragen, etwa der zur Gefährlichkeit des Virus und dem daraufhin erlassenen Maskengebot oder der 2-G-Regelung, nicht wissenschaftlichen Erwägungen folgte, sondern auf Anweisung der Politik handelte. Solche Aussagen wiederum werden von Kritikern der nicht autorisierten Veröffentlichung in die Nähe von Verschwörungstheorien gerückt.  

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach reagierte auf die Veröffentlichung auf X und erklärte, dass das RKI die Protokolle ohnehin mit seiner Zustimmung veröffentlichen wollte. „Jetzt geschieht es ohne den Schutz der Rechte Dritter, auch der Mitarbeiter. Dennoch gibt es nichts zu verbergen,“ so der SPD-Politiker.

AMIRAa meint: Ob die Protokolle nun autorisiert oder durch „Whistleblower“ an die Öffentlichkeit kamen – bestimmt bieten sie eine gute Grundlage für die Aufarbeitung der während der Pandemie getroffenen Entscheidungen. Die Frage ist, ob diese Chance auch tatsächlich wahrgenommen wird. 

Zentiva informiert über Auskristallisation bei Metamizol-Präparat

Die Zentiva Pharma GmbH informierte kürzlich über Auskristallisation des Wirkstoffs Metamizol bei ihren Produkten Novaminsulfon (Metamizol) 500 mg Lichtenstein und Metamizol Zentiva 500 mg/ml Tropfen zum Einnehmen. Diese Kristallisation trete am Flaschenhals und Tropfer auf, was die Dosierung erschwere und manchmal die Verpackung beschädige.

Die Firma erklärt, dass die Kristallisation durch einen nicht vollständig trockenen Flaschenhals nach Gebrauch oder durch Variabilitäten in den Abmessungen von Flasche und Tropfer verursacht werde. Trotz dieser Probleme stufe die Firma das Risiko für die Gesundheit der Patient*innen als niedrig ein, da Metamizol symptomatisch verwendet wird.

Apotheker*innen wird empfohlen, die Packungen vor Abgabe auf Kristallisation zu überprüfen und Vorfälle online bei der Arzneimittelkommission zu melden. Weitere Informationen sind im Informationsschreiben der Firma verfügbar.