Bitte mehr davon – warum bitter gesund ist

Kleine Kinder spucken Bitteres postwendend wieder aus. Dies lehrte uns die Evolution, um uns vor Giftigem zu schützen. Dabei können Bitterstoffe (lat. Amara) auch einen wertvollen Beitrag zu unserer Gesundheit leisten.

Was genau sind Bitterstoffe?

Alle Bitterstoffe sind chemische Verbindungen die den G-Protein-gekoppelten Rezeptor, den hTAS2-Rezeptor (hTAS2R), aktivieren. Dieser befindet sich unter anderem auf den Geschmacksrezeptorzellen der Geschmacksknospen. Bei Menschen oder auch Tieren lösen Bitterstoffe die Geschmackswahrnehmung „bitter“ aus. Chemisch gesehen gehören sie keiner einheitlichen Gruppe an, aber die meisten Bitterstoffe lassen sich den Alkaloiden (z. B. Strychnin), den Sesquiterpenen (z. B. Absinthin), den Secoiridoiden (z. B. Amarogentin), den Iridoid-Glykosiden (z. B. Harpagosid) und den Acylphlorogluciden (z. B. Lupulon) zuteilen.

Unterteilt werden Bitterstoffe in Amara pura/tonica, die nur Bitterstoffe enthalten (z. B. gelber Enzian, Fieberklee, Löwenzahn, Tausendgüldenkraut), Amara aromatica, die neben Bitterstoffen auch ätherische Öle enthalten (z. B. Wermutkraut, Schafgarbe, Salbei, Melisse), Amara acria, die zusätzlich Scharfstoffe, wie Ingwer oder Galgant enthalten und Amara mucilaginosa, in denen zusätzlich zu den Bitterstoffen Schleimstoffe enthalten, wie das isländische Moos.

Vorkommen und Bedeutung

Natürlicherweise kommen Bitterstoffe in fast allen Pflanzen vor und dienen als Fraßschutz – denn alles, was bitter schmeckt könnte giftig, gefährlich oder ungenießbar sein. Würde man beispielsweise 1 g Amarogentin des Gelben Enzians, das als Mess-Standard für bittere Stoffe gilt, in 58 Millionen Gramm Wasser lösen, so würde dies immer noch bitter schmecken.

Es gibt viele bitter schmeckende Gemüsesorten (z. B. Chicorée, Rucola, Endivie, Radicchio, Artischocken, Rosenkohl, Spargel, Fenchel, Radieschen, etc.), Obstsorten (z. B. Bitterorangen, Grapefruit, Zitrone, Kumquat, Pomelo, Bittermandel, etc.), Teedrogen (z. B. gelber Enzian, Wermutkraut, Tausendgüldenkraut, etc.), Gewürze (z. B. Kümmel, Kurkuma, Zimt, Ingwer, Anis, Senf, etc.) oder Getränke (z. B. Kaffee, Bier, Kräuterliköre, Kräutertees).

Darüber hinaus gibt es auch synthetische Bitterstoffe, wie das Nervengift Phenylthiocarbamid oder Denatoniumbenzoat, der bislang bekannte bitterste Stoff überhaupt. Letzterer wird als Vergällungsmittel für Ethanol, als Verbiss-Schutz für Kabel oder Holzzäune in der Tierhaltung und als Schutz vor versehentlichem Verschlucken von gesundheitsgefährlichen Flüssigkeiten durch Kleinkinder. In Lacken gegen Nägelkauen ist Denatonium ebenfalls enthalten.

Wie wirken Bitterstoffe und was wird versprochen?

Verzehren wir Lebensmittel mit Bitterstoffen, so werden reflektorisch sowohl die Speichel- als auch die Magensaftsekretion angeregt. Uns läuft buchstäblich das Wasser im Munde zusammen, was folglich den Appetit anregt. Im Magen wird außerdem das Hormon Gastrin abgesondert, das Magen- und Darmperistaltik sowie die Produktion von Gallen- und Pankreasflüssigkeit fördert und damit die Verdauung erleichtert und Verdauungsbeschwerden vorbeugt. Insgesamt verbessern sie also unsere Verdauung. Das führt wiederum dazu, dass sich auch unser Hungergefühl und der körpereigene Säure-Basen-Haushalt reguliert. Indirekt helfen natürliche Bitterstoffe dementsprechend auch beim Abnehmen. 

Seit wenigen Jahren ist bekannt, dass sich Bitterstoffrezeptoren nicht nur auf der Zunge, sondern auch im kompletten Verdauungstrakt und in weiteren Organen (Lunge, Herz, Nase, Haut) und im Gehirn befinden. Beispielsweise sind sie mitverantwortlich für den Aufbau der Hautschutzbarriere und können so eine atopische Dermatitis positiv beeinflussen.

Weiterhin sollen Bitterstoffe das Immunsystem stärken bzw. positiv beeinflussen, Fieber senken und antidepressiv wirken. Sie helfen  gegen Erschöpfung, Müdigkeit und Stressbeschwerden und sollen das Wachstum von Krebszellen behindern. Diese Effekte sind in Studien noch nicht eindeutig wissenschaftlich belegt, es gibt aber entsprechende Hinweise. 

Wann ist Vorsicht geboten?

Ein übermäßiger Verzehr von Bitterstoffen kann aber auch die Magenschleimhäute reizen und zu Durchfall führen, also alles mit Maß und Ziel. Generell raten Expert:innen von der Einnahme in Form von Nahrungsergänzungsmitteln ab, weil es für die Wirkung vielfach auf das Zusammenspiel verschiedener Substanzen und Stoffwechselwege der Pflanzen ankomme. 

Obst, Gemüse und frische Kräuter sind zu bevorzugen, da durch deren Verzehr die Bitterstoffe in der Regel nicht überdosiert werden können.
Vorsichtig sollte man sein, wenn meist selbst angebaute Zucchini oder andere Kürbisgewächse, Gurken oder Melonen bitter schmecken. Dies könnte auf giftige und auch hitzebeständige Cucurbitacine hinweisen.

Bitterstoffe wegzüchten? Ist das die Lösung?

Vor allem zwischen 1980 und 2010 hat man von Seiten der Lebensmittelwirtschaft versucht, durch verschiedene Zucht- und Anbaumethoden die Bitterstoffe in Pflanzen zu eliminieren und „mildere“ Sorten zu kreieren. Gehen den Pflanzen allerdings ihre Abwehrmechanismen verloren, da vermehrt auf Optik (Ideal: „Gemüse muss perfekt aussehen“) und Geschmack („Gemüse darf nicht bitter sein“) geachtet wird, muss man sie anderweitig schützen, das heißt mehr Kunstdünger, mehr Pestizide, um einem Schädlingsbefall oder Erkrankungen der Pflanzen zu begegnen. Langsam findet wieder ein Umdenken statt und es wird wieder auf alte Sorten mit einem höheren Bitterstoffanteil zurück gegriffen.  

Bitterstoffe aus der Apotheke

Wie bereits erwähnt, tragen Bitterstoffe dazu bei, dass schwer verdauliche Nahrung (z. B. fettreiche Speisen) besser metabolisiert und somit verträglicher werden. Sie regen den Appetit an, fördern die Sekretion von Gallen- und Pankreassaft, steigern die Motilität des Magens und des Dünndarms und fördern deren Durchblutung. 

Diese Effekte machen sich bitterstoffhaltige Phytopharmaka zunutze. Beispielsweise enthält Iberogast® von Bayer unter anderem einen Auszug aus der bitteren Schleifenblume, Klosterfrau Melissengeist® enthält unter anderem Enzianwurzel, in Gasteo® von Cesra und Carvomin® von Klinge Pharma sind Tausendgüldenkraut, Angelikawurzel und Benediktenkraut enthalten. Als Wirksubstanzen im Wala Bitterelixir® sind Enzian, Ingwer, Kalmus und Wermut angegeben. Von der Weleda AG gibt es den Balsamischen Melissengeist® mit Melisse, Muskat, Angelikawurzel, Zimtrinde, Koriander, u. a. sowie die Amara Tropfen®, die Enzianwurzel, Löwenzahn, Schafgarbe, Wegwarte, Wermut, Tausendgüldenkraut, u.a. enthalten. Bitterstern® Bittertropfen von Laetitia enthält eine Kombination aus 17 verschiedenen Kräutern und Gewürzen, darunter Enzianwurzel, Galgant, Angelikawurzel, Schafgarbenkraut, Kümmel, Fenchel und Kardamom.