Wenn Erwartungen krank machen

Negative Erwartungen können Nebenwirkungen auslösen, auch ohne Wirkstoff. Was sollten Apothekenmitarbeiter:innen im Beratungsgespräch beachten? Hier findest du Details zum unterschätzten Einfluss des Nocebo-Effekts.

Was ist der Nocebo-Effekt?

Der Nocebo-Effekt beschreibt das Auftreten negativer körperlicher oder psychischer Symptome, die nicht durch einen pharmakologischen Wirkstoff, sondern durch die Erwartung einer schädlichen Wirkung ausgelöst werden. Der Begriff „Nocebo“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „ich werde schaden“ – im Gegensatz zum bekannteren Placebo („ich werde gefallen“). Der Placebo-Effekt beschreibt positive Wirkungen, die allein durch die Erwartung einer Besserung entstehen – ohne pharmakologisch wirksame Substanz. Der Nocebo-Effekt bewirkt das Gegenteil: negative Symptome durch die Erwartung von Nebenwirkungen.

Typische Nocebo-Reaktionen sind Kopfschmerzen, Übelkeit, Hautreaktionen oder Schmerzen – ausgelöst durch wirkstofffreie Substanzen oder neutrale medizinische Maßnahmen. Entscheidend ist die Erwartungshaltung der betroffenen Person: Wer mit negativen Folgen rechnet, hat ein erhöhtes Risiko, diese auch tatsächlich zu erleben.

Wie entsteht der Nocebo-Effekt?

Die Entstehung des Nocebo-Effekts ist komplex und beruht auf psychologischen und neurobiologischen Mechanismen. Erwartung, Angst, frühere Erfahrungen und die Art der Kommunikation spielen eine zentrale Rolle. Studien zeigen, dass allein die verbale Ankündigung möglicher Nebenwirkungen – etwa im Rahmen der Aufklärung – ausreichen kann, um diese Symptome auszulösen.

Neurobiologisch wird der Effekt unter anderem mit einer Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse in Verbindung gebracht, was zu einer Stressreaktion im Körper führt. Auch Konditionierung und Beobachtungslernen tragen zur Verstärkung bei.

Wissenschaftliche Studienlage

Zahlreiche Studien belegen die Existenz und Relevanz des Nocebo-Effekts. In klinischen Studien berichten bis zu 20 % der Teilnehmer:innen in Placebo-Gruppen über Nebenwirkungen – obwohl sie keine Wirkstoffe erhalten haben. Besonders häufig treten subjektive Beschwerden wie Müdigkeit, Kopfschmerzen oder gastrointestinale Symptome auf.

Ein bekanntes Beispiel ist die sogenannte „elektromagnetische Hypersensitivität“: Personen berichten über Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Schlafstörungen in der Nähe von Mobilfunkanlagen – auch dann, wenn keine Strahlung vorhanden ist. Studien zeigen, dass diese Symptome oft durch die Erwartungshaltung ausgelöst werden.

Eine aktuelle Studie des Sonderforschungsbereichs (SFB) „Treatment Expectation“ der Universität Duisburg-Essen zeigt zudem, dass Noceboeffekte – also negative Erwartungen an eine Behandlung – nicht nur stärker wirken als Placeboeffekte, sondern auch länger anhalten. Diese Erkenntnis unterstreicht, wie sehr sich Ängste und Befürchtungen auf den Behandlungserfolg auswirken können. Besonders relevant ist dies für die Arzt-Patienten-Kommunikation: Wenn medizinisches Personal unbeabsichtigt negative Erwartungen weckt, kann dies reale gesundheitliche Folgen haben.

Die Forschenden betonen daher die Bedeutung einer sensiblen und positiven Kommunikation im medizinischen Kontext. Es geht nicht darum, Risiken zu verschweigen, sondern sie so zu vermitteln, dass sie keine übermäßige Angst erzeugen. Die Ergebnisse legen nahe, dass eine gezielte Schulung von Behandelnden im Umgang mit Erwartungshaltungen helfen kann, Noceboeffekte zu minimieren und die Wirksamkeit von Therapien zu verbessern.

Bedeutung für die Apothekenpraxis

Für das pharmazeutische Personal ist der Nocebo-Effekt besonders relevant im Beratungsgespräch. Die Art und Weise, wie über Nebenwirkungen gesprochen wird, kann entscheidend sein. Eine sachliche, aber nicht alarmierende Kommunikation – etwa durch sogenanntes „positives Framing“ – kann helfen, Nocebo-Reaktionen zu vermeiden.

Beispiel: Statt zu sagen „Dieses Medikament kann Übelkeit verursachen“, könnte formuliert werden: „Die meisten Menschen vertragen dieses Medikament gut. Falls Ihnen doch einmal übel wird, sagen Sie uns bitte Bescheid – wir helfen Ihnen weiter.“

Auch Psychoedukation, also die Aufklärung über den Nocebo-Effekt selbst, kann hilfreich sein. Wenn Patient:innen verstehen, dass Erwartungen körperliche Reaktionen auslösen können, reduziert das oft die Angst – und damit auch die Symptome.

Fazit

Der Nocebo-Effekt ist ein ernstzunehmendes Phänomen, das weit über die klassische Pharmakologie hinausgeht. Für Apotheker:innen und PTA bedeutet das: Kommunikation ist nicht nur Information, sondern auch Intervention. Wer empathisch, klar und lösungsorientiert berät, kann dazu beitragen, unerwünschte Wirkungen zu vermeiden – auch wenn kein Wirkstoff im Spiel ist.