Kleine Fluchten aus dem Alltag

Was tun, wenn wir mal wieder raus müssen? Raus aus täglichen Routinen, manchmal raus aus unserer Haut? Dann ist es gut, einen Plan mit Fluchtwegen zu haben. AMIRA stellt euch eine Auswahl vor!

Es braucht mehr als die großen Alltags-Fluchten unseres Lebens; unsere Urlaube, die Reisen die wir planen und uns rund um die Welt bewegen. Die sind gut kalkulierbaren Fluchten, von denen wir nicht selten schon ein Jahr vorher wissen, und auf die wir manchmal ungeduldig warten. Aber im Alltag können wir oft nicht weg, jedenfalls nicht weit.

Gut zu wissen, dass das auch nicht nötig ist. Meistens reichen schon kleine Fluchten, an erster Stelle mentale, bei denen wir uns von unseren Alltagsbeschäftigungen nicht lossagen müssen. Häufig gelingen sie schon, wenn wir in unangenehmen Situationen und Lagen das Bewusstsein dorthin lenken, wo es uns besser geht. Das kann ein persönlich bedeutsames Ritual oder eine Zeremonie bewirken. Wenn sie treffend gewählt und ausreichend verinnerlicht sind, können sogar eine kraftvolle Geste oder ein Wort genügen.

Manchmal reichen schon die Urlaubsschnappschüsse…

Wenn mehr Raum und Zeit gegeben sind, entfalten schöne Bilder oder Filme eine starke und erstaunlich anhaltende Wirkung. Selbst nur wenige Momente Fotos von Orten zu betrachten, an denen wir waren oder an die wir gerne reisen würden, kann unsere Stimmung grundlegend verwandeln. Wer mit Smartphones lebt, hat ein tragbares Fotoalbum, aber gerade deshalb kann das klassische Papierfoto seinen ganzen Charme entfalten.

Zu verlässlichen mentalen Fluchten verhelfen uns natürlich auch gute Bücher. Sobald wir uns nach Feierabend in die Seiten vertiefen, holen uns unsere Romanhelden ab und nehmen uns mit in andere Welten. Wenn wir oder derjenige, der uns das Buch geschenkt hat, bei der Wahl Fingerspitzengefühl bewiesen haben, können wir uns schon während der Arbeit drauf freuen, später wieder abzutauchen. Und je nachdem, wie wir unsere Lesezeit gestalten, können es herrliche und entspannende Fluchten sein, von denen wir manchmal nur schweren Herzens in den Alltag zurückkehren. Ein gemütlicher Ort am Fenster vielleicht, mit Blick auf die Katze auf dem Balkon gegenüber, die Tasse mit zur Jahreszeit passendem Tee griffbereit, und schon ist der Alltag fern und wir sind ganz bei uns.

Wenn es mehr braucht als eine mentale Flucht, kann ein Spaziergang helfen. Am besten zu einem Ort, der uns viel bedeutet, mit dem wir etwas Schönes oder Besonderes verbinden und der uns den Alltag vergessen lässt. Und von besonderer Wirkung sind auch längere Telefonate mit guten Freunden, mit denen wir nur unregelmäßigen Kontakt haben, mit denen wir aber erfahrungsgemäß erfreuliche Gespräche führen. Mit denen sollten wir uns zum Telefonieren verabreden, großzügig Zeit für das Telefonat einplanen und uns darauf vorbereiten wie auf eine Verabredung: Das heißt, vorher und nachher andere Dinge und Termine von uns fernzuhalten, damit die Begegnung nicht eng eingekeilt und die Stimmung durch das Drumherum getrübt wird. Wenn wir einen Lieblingsplatz zum Telefonieren haben und das mögen, sollten wir unsere gemütlichen Hausschuhe bereitstellen und vielleicht eine Decke zum Eindrehen bereitlegen. Uns vorher einen Tee oder Kakao zu machen, wird das Ganze abrunden und das telefonische Miteinander nah und vertraut anfühlen lassen...

Und nicht vergessen: Natürlich ist es nicht nur möglich, kleine Flucht aus dem Alltag anzutreten, sondern für eine Weile der ganzen Welt zu entfliehen. Der Schlüssel dazu ist Meditation. Das Thema haben wir ausführlicher hier besprochen, deshalb komprimiert nur noch einmal das Wichtigste: Mit Meditation können wir das Denken beruhigen und mit etwas Übung sogar zur Pause überreden. Und seien wir ehrlich: Kaum etwas gibt einer Flucht aus dem Alltag eine höhere Qualität als Stille im Kopf. Wer sich noch keine Meditationstechnik angeeignet hat, könnte das jetzt tun, beziehungsweise derjenige, der eine Technik beherrscht, aber das Praktizieren hat schleifen lassen, die Gelegenheit nutzen und wieder beginnen. Die Mühe ist es mehrt als wert.

Versuch´s mal mit ´nem Perspektivwechsel!

Kurz erwähnt werden sollen Klassiker wie ein schöner Kinoabend, ein Konzert oder ein Theaterbesuch, und auch der Abend im Heimkino mit einem gut gewählten Film bleibt eine sichere Variante. Und ja, gelegentlich braucht es wohl auch das Wochenende und einen Ausflug, der uns ganz real an einen anderen Ort und auf ganz andere Gedanken bringt, bis die nächste große Flucht angetreten werden kann.

Zugegeben, nach und nach sind unsere kleinen Fluchten nicht nur vielfältiger, sondern auch größer geworden. Gehen wir zurück auf Los und schauen uns die mentalen Fluchten noch einmal genauer an. Hier ist eine der kleinsten Formen gleichzeitig auch eine der raffiniertesten: der schliche Perspektivwechsel. Seine Stärke zeigt er besonders dann, wenn wir an einer missliebigen Situation spontan nichts ändern können. Das Geniale am Perspektivwechsel: Wir müssen zunächst auch gar nichts ändern – außer dem Blickwinkel, aus dem wir darauf schauen. Wenn nötig so konsequent, dass wir die Sache auf den Kopf stellen. Das bekannteste Beispiel für diese Technik dreht sich um  Sisyphos, der im gleichnamigen Mythos schwitzend und stets vergeblich versucht, einen Felsen den Berg hinauf zu rollen. Obwohl dieser immer wieder hinunterrollt, sollten wir ihn nicht bedauern, sondern uns als glücklichen Menschen vorstellen. Das Beispiel ist extrem, aber wenn wir den Gedanken wirken lassen, steigt doch eine Ahnung auf, dass etwas dran sein muss.

Das Wissen darum, dass wir es im Griff haben, wie uns eine Sache erscheint, macht den Alltag leichter und Fliehen manchmal unnötig. Aber mit jeder gelungenen Flucht wächst auch das gute Gefühl, dass wir immer einen „Rausweg“ kennen, wenn es darauf ankommt.