Wochenrückblick: Tierversuche im Arzneibuch, Impfungen, Analgetika & Geschlecht

Das Europäische Arzneibuch sagt Tschüss zum Kaninchentest. Außerdem gibt es Neues zu RSV- und Corona-Impfungen, eine Studie zur Schmerzmittelgabe und noch mehr – lies hier deine News der Woche.

Europäisches Arzneibuch: Kaninchen-Pyrogentest gestrichen

Pyrogene sind Substanzen, die Fieber erzeugen können. Sie werden in zwei Hauptgruppen eingeteilt (exogene und endogene). Exogene Pyrogene sind meistens molekulare Verbindungen wie Lipopolysaccharide (Endotoxine von Bakterien), aber auch Partikel wie Gummiabrieb von Injektionsflaschen und mikroskopische Kunststoffteilchen. Endogene Pyrogene sind fiebererzeugende Stoffe, die der Körper selbst produziert, wie etwa die Interleukine IL-1 und IL-6 oder TNF-alpha2. Zum Nachweis von Pyrogenen gibt es verschiedene Methoden, darunter der Kaninchen-Pyrogentest.

Beim Kaninchen-Pyrogentest wird der Anstieg der Körpertemperatur gemessen, nachdem Kaninchen die zu untersuchende Substanz, intravenös injiziert wurde. Der Test ist ein wichtiger Bestandteil der Arzneimittelentwicklung gewesen, um Verunreinigungen in Medikamenten frühzeitig nachzuweisen und außerdem war im Europäischen Arzneibuch (Ph. Eur.) vorgegeben. Die Europäische Arzneibuchkommission hat kürzlich den Kaninchen-Pyrogentest in 57 Arzneibuch-Monographien gestrichen. Neuere Tests wie der rekombinante-Faktor-C-Test auf Endotoxin- und der Monozytenaktivierungstest auf Pyrogengehalt können laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nun ganz auf Tiere oder Material tierischen Ursprungs verzichten.

RSV-Impfung jetzt auch für Ältere empfohlen

Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt Personen ab 75 Jahren eine Impfung gegen das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV). Diese Empfehlung gilt auch für Menschen ab 60 Jahren mit bestimmten Risikofaktoren, wie das Robert Koch-Institut mitteilte. Die Stiko rät zu einer einmaligen Impfung vor Beginn der RSV-Saison, die in der Regel von Oktober bis März dauert, mit den Impfstoffen Arexvy® und Abrysvo®. Das Ziel dieser Impfung ist es, Atemwegsinfektionen durch RS-Viren bei älteren Menschen und Risikopatienten zu reduzieren. Zu den Risikogruppen gehören Personen mit schweren chronischen Erkrankungen der Atemwege, Herz-Kreislauf- und Nierenerkrankungen, bestimmten Tumorerkrankungen, chronischen neurologischen und neuromuskulären Erkrankungen, Diabetes mellitus mit Komplikationen oder schweren Immundefizienz.

Leichte oder gut medikamentös kontrollierte Formen dieser Krankheiten führen nach aktuellem Wissensstand nicht zu einem schweren Verlauf der RSV-Infektion. Die RSV-Impfung ist keine jährliche Impfung, und es gibt derzeit keine Empfehlungen zur Notwendigkeit von Auffrischungsimpfungen. Sie kann jedoch gleichzeitig mit der saisonalen Grippeimpfung verabreicht werden. Um den besten Schutz während der RSV-Saison zu bieten, sollte die Impfung im Spätsommer oder Herbst erfolgen. 

WHO fordert mehr Corona-Impfungen

Angesichts steigender Corona-Infektionen fordert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) dringend Impfkampagnen für Risikogruppen. Laut WHO-Expertin Maria Van Kerkhove seien die Impfraten bei älteren Menschen und Gesundheitspersonal besorgniserregend gesunken und befänden sich auf einem „miserablen Niveau“. „Wir brauchen hier dringend eine Trendwende“, betonte Van Kerkhove diese Woche in Genf. Die WHO berichtete, dass der Anteil positiver Corona-Tests weltweit seit einigen Wochen über 10 Prozent liegt, basierend auf Daten aus 84 Ländern. In Europa liegt diese Rate sogar über 20 Prozent. Abwasser-Analysen deuten darauf hin, dass das Virus weiter verbreitet ist als die Infektionsstatistiken vermuten lassen.

Van Kerkhove erwähnte zudem, dass bei den Olympischen Spielen in Paris mehr als 40 Athleten positiv getestet wurden. Ein weiterer Punkt der Besorgnis ist der Mangel an Daten. Die Epidemiologin erklärte, dass die aktuelle Lage zwar nicht mit der Pandemie-Phase vergleichbar sei, da heute mehr Menschen durch Impfungen und durchlebte Infektionen vor schweren Verläufen geschützt sind, doch betonte sie auch, dass die WHO nur aus wenigen Ländern Daten über Krankenhaus- und Intensivstationsbehandlungen erhält. „In Bezug auf die Krankheitslast sind wir blind“, sagte sie.

AMIRA fragt: Ohne eine Infektion unterschätzen zu wollen – aber wenn die positiv getesteten Athleten bei Olympia, wie zuvor auch bei der Tour de France, ihre Wettkämpfe einfach fortsetzen, wozu dann die Aufregung…?

Studie: Männer erhalten leichter Schmerzmittel als Frauen

Frauen erhalten in der Notaufnahme seltener Schmerzmittel als Männer, unabhängig davon, ob sie von einem Arzt oder einer Ärztin behandelt werden. Das zeigt eine Studie aus den USA und Israel, veröffentlicht im Fachmagazin „PNAS“. „Diese Unterbehandlung könnte schwerwiegende Folgen für die Gesundheit der Frauen haben, wie längere Genesungszeiten oder chronische Schmerzen“, erklärte Shoham Choshen-Hillel, Professorin der Hebrew University of Jerusalem und Leiterin der Studie. Sie und ihr Team werteten über 20.000 elektronische Patientenakten aus. Die Studie zeigt, dass in Israel nur 38 Prozent der Frauen mit Schmerzen in der Notaufnahme ein Schmerzmittel erhielten, im Vergleich zu 47 Prozent der Männer. Frauen mussten auch durchschnittlich 30 Minuten länger auf Behandlung warten und ihre Schmerzintensität wurde seltener erfasst.

In den USA zeigten sich ähnliche Trends. So bestätigte ein Experiment mit medizinischem Personal der University of Missouri, dass die Schmerzen von Frauen oft niedriger eingestuft wurden als die von Männern. In Deutschland fehlen entsprechende Daten, so Felix Walcher, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI).

Die israelische Wissenschaftlerin Choshen-Hillel vermutet, dass Ärzte annehmen, Frauen würden ihre Schmerzen oft übertrieben darstellen. Außerdem fragen Männer möglicherweise häufiger nach Schmerzmitteln. Die Forscher fordern Schulungen für das Klinikpersonal, um die Unterversorgung von Frauen zu verhindern. Walcher fordert auch in Deutschland Studien zur Schmerzmittelgabe, um die Versorgungslage zu klären. Über das AKTIN-Notaufnahmeregister könnten in einigen Monaten erste anonymisierte Daten verfügbar sein.

Mehr Kinder und Jugendliche wegen psychischer Erkrankung in Kliniken

Im Jahr 2022 wurden mehr Kinder und Jugendliche wegen psychischer Erkrankungen und Verhaltensstörungen stationär in Krankenhäusern behandelt als zuvor. Diese waren nach Verletzungen und Vergiftungen der zweithäufigste Grund für Klinikaufenthalte, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Von etwa 435.900 jungen Patienten im Alter von zehn bis 17 Jahren wurden 19 Prozent aufgrund psychischer Probleme behandelt, wobei Mädchen häufiger betroffen waren als Jungen. Der Anteil psychischer Erkrankungen bei Klinikaufenthalten stieg von 13 Prozent im Jahr 2012 auf 19 Prozent im Jahr 2022. Die häufigste Ursache für stationäre Behandlungen war Depression, mit über 22.600 Fällen (28 Prozent aller psychischen Erkrankungen).

Renate Schepker von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) erklärte, dass die Anzahl der Depressionen bei Jugendlichen seit der Corona-Pandemie zugenommen habe. Suchterkrankungen, insbesondere alkoholbedingte Fälle, waren mit etwa 8.800 Fällen (11 Prozent) die zweithäufigste Diagnose. Schepker betonte, dass schwere Abhängigkeiten zugenommen haben. Belastungs- und Anpassungsstörungen machten etwa 10 Prozent der Behandlungsfälle aus. Obwohl viele psychisch kranke Kinder und Jugendliche ambulant behandelt werden, bleibt die Zahl der stationären Behandlungen bedeutend, so Schepker. 

Junge Erwachsene sind eifrige Apothekenkunden, wenn es um OTC geht

Eine aktuelle Umfrage von Pharma Deutschland zeigt, dass Apotheken der dominierende Kaufort für rezeptfreie Medikamente in Deutschland sind. Die im Mai durchgeführte Erhebung von NielsenIQ unter 1.000 Personen ergab, dass 67 Prozent ihr letztes rezeptfreies Arzneimittel in einer Apotheke kauften, 20 Prozent in einer Online-Apotheke, sechs Prozent in einem Drogeriemarkt, zwei Prozent über Amazon und zwei Prozent in einem Supermarkt. Überraschend: Besonders jüngere Menschen (18- bis 29-Jährige) bevorzugen stationäre Apotheken, während ältere Personen (60- bis 99-Jährige) laut Umfrage häufiger in Online-Apotheken einkaufen. Gründe für die Wahl des Kauforts sind die Nähe (32 Prozent der Apothekenkäufer), günstige Preise (58 Prozent der Online-Apothekenkäufer) und Vertrauen in Empfehlungen (21 Prozent der Apothekenkäufer).

Dorothee Brakmann, Hauptgeschäftsführerin von Pharma Deutschland, betont angesichts der Ergebnisse die Wichtigkeit eines flächendeckenden Apothekennetzes mit qualifizierten Fachkräften für eine sichere Arzneimittelversorgung. Der Verband mit rund 400 Mitgliedern will die die Erhaltung und Zukunftssicherung dieser Strukturen intensiv unterstützen, hieß es bei Vorstellung der Ergebnisse.