Zehntausende Seiten Unterlagen für ein Arzneimittel
Bevor ein Arzneimittel in der Apotheke erhältlich ist, muss es mehrere Schritte durchlaufen und zugelassen werden. Wie funktioniert der Prozess der Zulassung eigentlich genau?
Viele tragische Ereignisse in der Vergangenheit, wie der Contergan- und Vioxx-Skandal, haben dazu geführt, dass Behörden jedes einzelne Dokument sorgfältig prüfen. Um ein Arzneimittel auf den Markt zu bringen, muss der Pharmahersteller ein Zulassungsdossier mit mehreren zehntausend Seiten vorbereiten, ein essenzieller Schritt gemäß dem Arzneimittelgesetz. Was muss alles vorbereitet werden und welche Zulassungsarten es gibt?
Die Zulassung, oder in einigen Fällen die Registrierung, ist ein entscheidender Schritt für die Vermarktung des Arzneimittels. In Deutschland ist das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit Sitz in Bonn für die Zulassung von Arzneimitteln verantwortlich. Dieses prüft, ob ein Arzneimittel wirksam und unbedenklich ist und die erforderliche pharmazeutische Qualität aufweist. Die dafür notwendigen Zulassungsunterlagen werden von dem pharmazeutischen Unternehmer eingereicht, der das Arzneimittel auf den Markt bringen möchte. Die gesetzliche Grundlage für die Zulassung in Deutschland ist das Arzneimittelgesetz.
Ein geprüftes Arzneimittel wird für fünf Jahre zugelassen, und um die Zulassung weiterhin aufrechtzuerhalten, ist die Beantragung der Verlängerung erforderlich. Bei Nichtinverkehrbringen des Arzneimittels nach der Zulassung erlischt die Zulassung, bekannt als „sunset clause“. Auch jede Änderung bei der Herstellung des Arzneimittels, sei es in der Zusammensetzung, den Prüfmethoden oder der Adresse des Herstellers der aktiven Substanz, muss bei der Behörde eingereicht und erneut bestätigt werden.
Struktur und Zweck des Common Technical Documents (CTD)
Das Common Technical Document (CTD) ist das Standardformat für Zulassungsdossiers von Humanarzneimitteln in der Europäischen Union. In Deutschland kann das Zulassungsdossier elektronisch, in Form von eCTD, eingereicht werden. Es besteht aus fünf Modulen:
Modul 1 enthält regionale administrative Informationen.
Modul 2 enthält das Inhaltsverzeichnis sowie Zusammenfassungen der Module 3 bis 5.
Modul 3 enthält Angaben zur pharmazeutischen Qualität.
Modul 4 umfasst Berichte zu präklinischen Studien.
Modul 5 umfasst Berichte zu klinischen Studien zum Nachweis der Wirksamkeit.
Zulassungsverfahren
Grundsätzlich gibt es für nicht innovative Wirkstoffe, die bereits seit Jahren auf dem Markt sind, wie z. B. Metoprolol oder Paracetamol, drei Zulassungsverfahren:
Nationale Verfahren: Wenn ein Arzneimittel ausschließlich in einem Land zugelassen werden soll, erfolgt dies über die zuständige nationale Behörde wie das BfArM in Deutschland oder die AGES in Österreich.
→ Die meisten Pharmahersteller streben jedoch eine Zulassung in mehreren Staaten gleichzeitig an. Dies ist durch das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung und das dezentralisierte Verfahren möglich.
Das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung: Ein Arzneimittel hat bereits eine nationale Zulassung in einem Land und diese wird von einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten anerkannt.
Das dezentralisierte Verfahren: Hier hat das Arzneimittel keine nationale Zulassung und wird parallel in mehreren Ländern zugelassen.
Anders ist es, wenn ein innovatives Arzneimittel zugelassen werden muss. Dies erfolgt in Europa direkt bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA), die Ihren Sitz in Amsterdam hat. Hierbei kann der Antragsteller mit einem einzigen Antrag die Zulassung für ein Arzneimittel in allen Mitgliedsstaaten des europäischen Wirtschaftsraums erhalten.
Das zentralisierte Verfahren ist obligatorisch für Humanarzneimittel mit einem neuen Wirkstoff zur Behandlung von Krankheiten wie HIV/AIDS, Krebs, Diabetes, neurodegenerativen Erkrankungen und auch für Orphan Drugs.
In bbegründeten Ausnahmefällen, wenn Patienten schnellen Zugang zu neuen Therapien benötigen, besteht die Möglichkeit einer beschleunigten Bearbeitung, der Erteilung einer bedingten Zulassung oder einer Zulassung unter außergewöhnlichen Umständen.
Während der COVID-19-Pandemie wurde das Verfahren der bedingten Marktzulassung genutzt, um die Zulassung sicherer und wirksamer COVID-19-Behandlungen und -Impfstoffe in der EU zu beschleunigen.
Orphan Drugs – wenn Krankheiten zu selten sind, um Geld zu verdienen
Diese Arzneimittel sind zur Behandlung seltener Leiden bestimmt. Selten bedeutet eine Erkrankung, die nicht mehr als 5 von 10.000 Personen betrifft, was etwa 40.000 Menschen in Deutschland entspricht. Zum Vergleich: Etwa 20 bis 30 Millionen Bundesbürger haben Bluthochdruck.
Es ist klar, dass es nicht wirtschaftlich für den Pharmaunternehmen ist, mehrere Milliarden Euro in die Entwicklung eines Medikaments zu investieren, das so wenige Menschen benötigen. Um diese zu motivieren, unterstützen die Behörden die Forschung und Entwicklung durch spezielle Anreize wie Gebührenreduzierungen und Marktexklusivität.