Antibiotika-Resistenzen – die unterschätzte Gefahr
Stille Pandemie, Pulverfass, Zeitbombe, Gefahr ohne Grenzen – das sind Überschriften über Beiträgen, die sich mit Antibiotika-Resistenzen befassen. Ist die Panik berechtigt?
Inzwischen nimmt das Thema großen Raum ein – gefährden die Resistenzen doch die großen Erfolge im Kampf gegen Infektionskrankheiten, die seit 1940 errungen wurden und Millionen Menschen das Leben retteten und retten.
Die Relevanz
Der Ernst der Lage lässt sich auch ablesen an aktuellen Veröffentlichungen der großen Gesundheits-Organisationen, die kontinuierlich versuchen, Aufmerksamkeit für das Problem herzustellen:
Die Europäische Behörde für die Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen (HERA) nennt unter den Top 3 der größten Gesundheitsgefahren „Bedrohungen aufgrund antimikrobieller Resistenzen“.
Im November 2022 berichtet die europäische Behörde für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) von jährlich mehr als 35.000 Menschen, die an antibiotikaresistenten Infektionen sterben – eine Größenordnung, die tatsächlich vergleichbar ist mit den Sterbefällen an Influenza, Tuberkulose und HIV/AIDS zusammen.
Eine Untersuchung der WHO ergibt, dass im Jahr 2019 weltweit 1,3 Millionen Todesfälle direkt auf Antibiotika-resistente Erreger zurückzuführen waren.
Die Entstehung der resistenten Bakterien
Im Grunde ist die Entstehung von Resistenzen ein natürliches Phänomen, geradezu ein Urprinzip der sehr anpassungsfähigen Bakterien. Wenn diese sich vermehren, erfolgen bei den Kopien der DNS häufig zufällig ablaufende Reproduktionsfehler: Mutationen entstehen. Bakterien können über den sogenannten horizontalen Gentransfer aber auch kleinere Einheiten oder Plasmide untereinander oder auch mit anderen Arten austauschen. Eigentlich sollten derart veränderte Bakterien weniger überlebensfähig sein. Haben die Mutationen jedoch dazu geführt, dass diese Bakterien resistent gegen ein Antibiotikum wurden, dann sind eben sie es, die nicht sterben und sich dann ungestört weiter vermehren können – sie haben nun einen evolutionären Selektionsvorteil.
Nicht nur resistente, sondern mehrfach- oder multiresistente Keime
Besonders problematisch ist, dass es mittlerweile eine ganze Reihe von Mikroorganismen gibt, die gegen mehrere Antibiotika Resistenzen aufweisen; wenn es mehr als drei sind spricht man von multiresistenten Keimen. Deren bekanntester Vertreter ist Staphylococcus aureus, der nicht nur gegen das (namensgebende) Antibiotikum Methicillin resistent ist (MRSA=Methicillin resistenter Staphylococcus aureus), sondern auch gegenüber Erythromycin, Chinolonen und Clindamycin.
Zu nennen sind in diesem Zusammenhang auch Vancomycin-resistente Enterokokken (E. faecialis und E. faecium), grampositive Stäbchen wie Clostridium difficile sowie vor allem auch Multiresistente Gramnegative Bakterien (MRGN) wie E. coli und Pseudomas aeruginosa. Letztere werden sogar schon in 3MRGNund 4MRGN unterteilt, je nachdem ob sie gegenüber 3 oder 4 Antibiotika-Klassen (!) resistent sind.
Insbesondere in den Krankenhäusern werden diese Keime zunehmend zu einer großen Herausforderung, zumal es gerade diese Bakterien sind, die zu nosokomialen Infektionen, also Infektionen im Zusammenhang mit einer medizinischen Maßnahme, führen, an denen in Deutschland bis zu 600.000 Patienten erkranken. Hygienemaßnahmen sind dementsprechend ein wichtiger Bestandteil im Kampf gegen die resistenten Keime, wobei diese auch teilweise bereits Mechanismen entwickelt haben, Desinfektionsmittel zu tolerieren.
Es fehlen neue Antibiotika
Alle Antibiotika, die in den letzten Jahren eine Zulassung erhielten, sind ausdrücklich für den Einsatz bei Problemkeimen entwickelt worden. Darunter versteht man entweder resistente Formen „gewöhnlicher“ Keime oder aber auch Bakterien, die an sich als kompliziert gelten. Entsprechend zurückhaltend werden diese Neueinführungen verordnet und eher als Reserveantibiotika eingesetzt.
Abgesehen davon gibt es jedoch seit etwa 20 Jahren keine Innovationen. Die Pharmaindustrie tut sich schwer, Substanzen zu entwickeln und agiert auch aus wirtschaftlichen Gründen sehr zurückhaltend. Es dauert einfach mindestens zehn Jahre und verschlingt bis zu einer Milliarde Euro, bis eine Zulassung erfolgen kann. Weil dann auch noch damit zu rechnen ist, dass sie aus oben genannten Gründen eher zurückhaltend eingesetzt werden, und sich die hohen Entwicklungskosten nicht amortisieren, zumal ja auch die Therapiedauer eher kurz ist, investieren Pharmafirmen nur ungern in diese Substanzklasse(n).
Immerhin haben Wissenschaftler und Politiker sich gemeinsam dieses Problemfeldes angenommen und zahlreiche Förderprogramme ins Leben gerufen, mit dem Ziel neue Antibiotika zuzulassen (z. B. will die GARDP - Global Antibiotic Research and Development Partnership – bis 2025 fünf neue Antibiotika zur Marktreife bringen).
Praxis-Tipps für die Abgabe von Antibiotika
In erster Linie muss es um einen angemessenen Einsatz von Antibiotika gehen. Seit einigen Jahren gibt es in diesem Zusammenhang das Konzept des „Antibiotic Stewardship“ (ABS). Darunter versteht man den rationalen und verant¬wor¬tungs-vollen Einsatz von Anti¬biotika – durch den Nachweis einer bakteriellen Infektion, die Auswahl des geeigneten Antibiotikums sowie eine geeignete Anpassung von Therapie¬dauer, Dosierung und Form der Antibiotika-Gabe.
Wir in der Apotheke sind zwar eher am Rande involviert, weil wir das Antibiotikum ja nur auf ärztliche Anweisung abgeben (und für Tiere sind wir ja nicht zuständig), aber genau im Moment der Abgabe haben wir die Chance, den Umgang mit Antibiotika sicherer zu machen und ein Teil der ABS-Initiative zu werden.
Auch wenn viele Patienten, die an Infektionen der Atemwege erkrankt sind, den Einsatz eines Antibiotikums geradezu einfordern, so ist die weit überwiegende Zahl der Erkrankungen viral bedingt, so dass ein Antibiotikum keinerlei Wirkung entfalten kann. Und selbst bei Streptokokken-Infektionen ist der Einsatz nicht unbedingt nötig. Die neue S3 Leitlinie Halsschmerzen empfiehlt ausdrücklich und sehr detailliert das Abwägen eines Einsatzes, zumal eine Antibiotikagabe die Beschwerdedauer laut Richtlinie lediglich um 16 Stunden verkürzt.
Es ist förderlich, die exakten Einnahmezeitpunkte auf der Tablettenpackung festzuhalten, ebenso das Ende der Einnahme (mit Datum). Das hilft vielleicht zu verhindern, dass das Antibiotikum vom Patienten eigenmächtig abgesetzt wird, sobald eine Besserung eintritt (weil Antibiotika grundsätzlich als gesundheitsschädlich angesehen werden).
Falls beispielsweise bei einem Harnwegsinfekt oder einer bakteriellen Halserkrankung auch das zweite innerhalb kurzer Zeit eingenommene Antibiotikum keine nachhaltige Besserung bewirkt, könnte ein vom Arzt erstelltes Antibiogramm hilfreich sein.
Ein Antibiotika Pass (für Erwachsene und Jugendliche sowie für Kinder bis zwölf Jahre, erhältlich über den Deutschen Apotheker Verlag) kann ein wirksames Instrument im Kampf gegen resistente Keime sein. Arzt und Patient behalten damit den Überblick über Art, Wirksamkeit und Häufigkeit von Antibiotika-Verordnungen.