Lifestyle aus dem Tropf: Was bringen Vitamin-Infusionen?
Wer sich auf Online-Plattformen rumtreibt, stolpert früher oder später über Vitamin-Infusionen. Sogenannte „Drip-Bars“ sprießen gefühlt wie Pilze aus dem Boden. Doch was steckt hinter diesem Trend?
(Über-)Flüssiger Segen: Haben Tabletten und Co. ausgedient?
Wer mit den neuesten Trends auf Social Media nicht auf Kriegsfuß steht und hin und wieder durch seinen Feed scrollt, hat es vielleicht schon mal gesehen: Junge Menschen auf gemütlichen Stühlen strahlen in die Kamera – und das, obwohl ihnen eine Kanüle im Arm steckt, mit der sie an einer Infusion hängen. Ein ungewohntes Bild. Normalerweise ist man solch einen Anblick eher im Zusammenhang mit Erkrankungen und Krankenhausaufenthalten gewohnt. Doch die Leute im Video strotzen nahezu vor Vitalität; von Krankheit und Abgeschlagenheit keine Spur. In der Caption unter dem Video erhält man die Antwort: Bei den Infusionen handelt es sich um so genannte „Vitamincocktails“, bestehend aus einer Kombination von Vitaminen, Mineralstoffen und anderen essenziellen Nährstoffen. ‚Was ist das denn schon wieder für ein neumodischer Hype‘, mögen sich nun manche fragen. Doch schauen wir mal, was wirklich dahintersteckt: Handelt es sich nur um den nächsten Social-Media-Hype oder können solche Infusionen mit echten Vorteilen punkten?
Gesundheit per Kanüle: Das steckt hinter den Vitamin-Infusionen
Gefühlt dreht sich seit einigen Jahren alles um das Thema Selbstoptimierung: Von der perfekten Tagesroutine über die neusten Diäten hin zu Achtsamkeit und Selfcare. Neu dabei: Vitamin-Infusionen, die uns gesund und schön machen sollen. Und das alles, während wir auf einer gemütlichen Liege in einer ästhetischen „Drip-Bar“ sitzen und eine Zeitschrift lesen. Der Infusions-Trend stammt – wer hätte es gedacht – aus den USA, wo sich Promis und Influencer mit Kanüle im Arm auf Social Media gekonnt in Szene setzen. Doch was beinhalten diese Infusionskuren denn jetzt genau? Die genaue Zusammensetzung variiert natürlich je nach gewünschten Effekten. Allgemein lässt sich aber sagen, dass die – hoffentlich fachgerecht Infusionen eine Kochsalzlösung enthalten, die je nach Bedarf mit bestimmten wasserlöslichen Mineralien, Vitaminen und Aminosäuren angereicht ist. Durch die intravenöse Verabreichung – die ja nichts für Leute mit Angst vor Nadeln ist – gelangen diese Vitamine und Vitalstoffe direkt in den Blutkreislauf, wodurch die begrenzte Resorptionsfähigkeit der Darmschleimhaut ausgetrickst wird.
Angeboten werden eine ganze Reihe verschiedener Vitamincocktails: Von Beauty-Drips für einen strahlenden Teint und eine glänzende Haarpracht, über Anti-Aging- bis hin zu Immun-Drips, die unser Immunsystem in Schwung bringen sollen. Auch Detox-Drips zur Entgiftung des Körpers oder Hangover-Drips, die den Körper nach einer durchzechten Nacht wieder fit machen und dem lästigen Kater vorbeugen sollen, sind im Angebot.
Wann lohnt sich der „Drip“ wirklich?
Vorweg: Aussagekräftige medizinische Studien zu diesem Thema gibt es derweil noch nicht. Während es wissenschaftlich erwiesen ist, dass die Infusion von einzelnen Vitaminen und Mineralstoffen Patient:innen mit Nährstoffmangel helfen und Begleiterscheinungen bestimmter Medikamente lindern kann, ist die Studienlage bei gesunden Menschen ziemlich dünn. Bei einigen Menschen kann die orale Aufnahme von Vitaminen und Nährstoffen durch Verdauungsprobleme, Magen-Darm-Erkrankungen oder andere Faktoren eingeschränkt sein, zum Beispiel aufgrund einer chronischen Magenschleimhautentzündung, einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa oder nach Teilentfernung des Magens oder des Darms. In solchen Fällen stellt die intravenöse Zufuhr sicher, dass der Körper die benötigten Nährstoffe in ausreichender Menge erhält, da die Dosierungen individuell angepasst werden können, um den spezifischen Bedürfnissen der Patient:innen gerecht zu werden. Risikogruppen, die besonders häufig von einem Nährstoffmangel betroffen sind, sind unter anderem:
- Chronisch Kranke (z. B. bei Morbus Crohn)
- Senior:innen
- Frauen, die hormonell verhüten
- Diabetiker:innen
- Sportler:innen
- Alkoholkranke
- Vegetarier:innen und Veganer:innen.
Wann wird’s gefährlich?
So viel dazu. Doch wie sieht es nun bei gesunden Menschen aus? Für viele Verfechter:innen der Infusions-Therapie ist die direkte Aufnahme der Vitamine und Mineralstoffe in die Blutbahn ein Beleg für schnelle Wirksamkeit. Doch letztendlich gilt: Wenn es dem Körper nicht an Nährstoffen mangelt, bringt eine Vitamin-Infusion nichts. Tatsächlich können sie dem Körper unter Umständen sogar schaden, denn wie jede intravenöse Behandlung machen sie den Körper anfälliger für Infektionen und Blutgerinnsel. Auch für Patient:innen mit Anomalien im Magnesium- oder Kaliumblutspiegel, beispielsweise aufgrund einer Nierenerkrankung, können die Infusionen ins Gegenteil umschlagen und zu Herzrhythmusstörungen oder Muskelschwäche führen. Auch bei Menschen mit Herzerkrankungen oder Bluthochdruck kann es durch hochdosierte Vitamin-Infusionen zu Flüssigkeitsüberlastung kommen, was eine vorübergehende und manchmal dauerhafte Schädigung der Organe nach sich ziehen kann. Außerdem sollen Infusionen, bei denen Vitamine kombiniert werden, laut einigen Studienberichten Symptome wie Depression, Schlaflosigkeit und Magenbeschwerden verursachen.
Fazit: Mehr Schein als Sein
Kurz gesagt: Es liegen nur sehr wenige Studien vor, welche die Wirksamkeit solch intravenöser Vitamintherapien bei Personen ohne Mangelerscheinungen belegen. Für eine ausreichende Versorgung mit Vitaminen ist keine Infusion notwendig und am besten werden sie über die Nahrung zugeführt. In den meisten Fällen von Nährstoffmangel genügt außerdem die Supplementierung mit Präparaten aus der Apotheke – die deutlich günstigere Alternative zu einem Besuch einer „Drip-Bar“. Liegt also kein Nährstoffmangel vor, werden bei einer Infusions-Therapie die überschüssigen Vitamine im besten Fall einfach über den Urin ausgeschieden - und gleichzeitig das Geld für die Infusion im wahrsten Sinne die Toilette heruntergespült.