19 Prozent auf Medikamente? Was soll das?

Medikamente sind lebenswichtig, wer wüsste das besser als wir. Trotzdem wird in Deutschland der volle Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent auf diese Warengruppe erhoben. Die Apothekenspitzelin hat dazu eine klare Meinung.

Habt ihr es eigentlich schon gemerkt? Alles wird teurer! Ha – die Frage war ein Scherz, denn an der Erfahrung kommt man als Bundesbürger nun wirklich nicht vorbei. Ein Gehalt, das vor drei Jahren noch einigermaßen auskömmlich war, ist heute deutlich geschrumpft. Selbst Gehaltserhöhungen haben die zwischenzeitlichen Inflationsraten von sieben, acht oder neun Prozent nur teilweise auffangen können. Das führt mich zu der Frage: Kann eigentlich auch mal irgendwas billiger werden?

Nun hat der Präsident der Bundesärztekammer vor ein paar Tagen einige Vorschläge gemacht, wie das Gesundheitssystem nach der kommenden Bundestagswahl gestaltet werden sollte. Einen davon finde ich besonders interessant. Nämlich: Einfach die Mehrwertsteuer auf Medikamente zu reduzieren. Die beträgt nämlich 19 Prozent, das ist der volle Satz, den der deutsche Fiskus auf Arzneimittel erhebt.  

Medikamente sind unerlässlicher Grundbedarf

Wir Profis wissen das natürlich, denken aber häufig nicht daran bzw. nehmen es einfach so hin. In vielen anderen Ländern Europas ist der Staat gnädiger. Frankreich? 2,1 Prozent. Spanien? 4 Prozent. Italien? 10 Prozent – und selbst das fühlt sich im Vergleich fast wie ein Geschenk an. In Deutschland sind Medikamente steuerlich gleichgestellt mit einem neuen Fernseher, dem neuesten Paar Sneaker, dem Neuwagen aus dem Autohaus oder Schmuck, Blingbling, Tingeltangel, Killefitt.  

Ist das gerecht? Nö, meine ich!

Die Logik dahinter bleibt ein Rätsel. Während der Grundbedarf in anderen Bereichen – wie Bücher oder Lebensmittel – steuerlich begünstigt wird, muss der Mensch bei seiner Gesundheit tief in die Tasche greifen. Gesundheit scheint in den Augen der Politik kein Grundbedürfnis zu sein. Arzneimittel sind aber keine Luxusgüter, finde ich. Und meist konsumiert man sie auch nicht aus freien Stücken, sondern notwendigerweise, oft genug sind sie sogar lebenswichtig. Wegen unserer Krankenkassen wird der Mehrwertsteuersatz nicht gerade zu einer Frage des Überlebens, deshalb werden die 19 Prozent nicht allzu häufig thematisiert. Dabei wurde diese Unwucht schon längst erkannt. So hat es in den vergangenen Legislaturperioden immer wieder mal Initiativen gegeben, ihn zu senken. Leider sind die, aus den unterschiedlichsten Gründen, alle im Sande verlaufen.

Auch die Kassen würden sich freuen

Dabei würde eine geringere Mehrwertsteuer direkt zu niedrigeren Preisen führen – so zumindest die Hoffnung. Das ist eine gute Nachricht für alle, die regelmäßig Medikamente benötigen, vor allem für chronisch Kranke, Senioren und sozial Schwächere. Für die wäre eine Senkung ein echter Lichtblick, würde doch die Zuzahlung zu den rezeptpflichtigen Medikamenten reduziert. Von den OTC-Packungen, die man ja gänzlich aus eigener Tasche zahlt, ganz zu schweigen. Am meisten profitieren würden jedoch die Krankenkassen. Von sechs Milliarden weniger Ausgaben ist die Rede, sollte die MwSt. auf den ermäßigten Satz von sieben Prozent gesenkt werden. Die Kassen würden zumindest etwas mehr Luft gewinnen, um Beiträge länger stabil halten zu können. Auch das ist nur eine Hoffnung, aber zumindest eine, die begründet ist.

Ihr merkt schon, ich mache mir hier meine Gedanken aus der Arbeitnehmer- und Beitragszahler-Perspektive. Aber ich finde das legitim, denn in meiner letzten Gehaltsabrechnung hat meine Krankenkasse den Beitrag erhöht. Meine Meinung: Das hätte nicht sein müssen, zumindest nicht in dieser Höhe, wenn die Mehrwertsteuer auf Medikamente geringer wäre in Deutschland.

Andere Länder zeigen, wie es geht

Andere Länder – siehe oben – zeigen jedenfalls, dass es geht. Frankreich, Spanien, Portugal – sie alle haben verstanden, dass Gesundheit Vorrang haben sollte. Ich finde, Deutschland darf nicht weiter der unrühmliche Spitzenreiter in der Steuerlast für Medikamente bleiben. Das würde auch uns in der Apotheke zugutekommen. Zum einen sorgen günstigere Preise für mehr Umsatz, gerade im OTC-Sortiment, zum anderen ist auch die robusteste Apothekenmitarbeiterin hin und wieder auf eine Verordnung von Onkel oder Tante Doktor angewiesen. Wenn der Preis für verordnete Medikamente geringer wäre als heute, würde ich das – aus beiden Perspektiven, nämlich als Apothekenangestellte wie als Patientin – für einen Fortschritt halten.  Eine Senkung der Steuer wäre ein deutliches Zeichen: Gesundheit ist keine Ware, sondern ein Recht. Es wäre eine kleine, aber effektive Maßnahme, um die soziale Gerechtigkeit in Deutschland zu stärken.  

Die kommende Regierung hat eine historische Chance, in diesem Punkt endlich etwas zu ändern. 19 Prozent auf Gesundheit? Das ist nicht haltbar, finde ich. Es ist an der Zeit, die Steuer auf Medikamente deutlich zu senken – auf ein Niveau, das mit vergleichbaren europäischen Ländern kompatibel ist. Sieben Prozent wären schon mal ein guter Anfang!

Liebe Politiker, die ihr gerade Wahlversprechen formuliert: Tut etwas. Ihr müsst es nur machen – nicht einmal erfinden, denn andere exerzieren es uns vor. Wir in der Apotheke sind bereit, diesen Weg zu unterstützen. Aber die erste Pille müsst ihr schlucken: Die Mehrwertsteuer auf Medikamente gehört gesenkt. Jetzt!