Bin ich hier die Fußmatte oder Fachkraft?

Der Kunde motzt, tippt am Handy, zeigt null Respekt – muss man das immer still aushalten? Wo hört Verständnis auf und wo darf Freundlichkeit auch mal eine Grenze haben?

Wenn Freundlichkeit schwerfällt

Draußen fallen schon die ersten roten und gelben Blätter, die Luft ist frisch, und der erste Herbstwind pfeift um die Glastür. Es beginnt die Zeit, in der die Apotheken wieder voller werden, weil sich die Kunden mit den Schnupfnasen, dem Halsweh und den kranken Kindern zuhause die Klinke in die Hand geben. Zum anderen sind alle auch gefühlt aus dem Urlaub zurück. Gerade ist der erste Kundenansturm vorüber und die Apotheke vorübergehend leer. PTA Laura lehnt sich kurz gegen den Kassentisch und atmet dankbar für die kleine Unterbrechung im HV auf. Die blickt zu ihrer Kollegin hinüber, die gerade die Rezepte vom Vortag kontrolliert: „Weißt du, irgendwann hab ich echt keine Lust mehr, mich dauernd so behandeln zu lassen.“

Apothekerin Sarah schaut von ihrem Bildschirm auf. „Was ist passiert?“

Handy ist wichtiger als Begrüßung

„Na die mit dem rosa Rucksack, die gerade bei mir war, hast du das gar nicht mitbekommen? Kein Guten Morgen, kein Blickkontakt, die ganze Zeit am Handy – nicht mal Auf Wiedersehen. Und während ich ihr erklärt habe, wie sie den Inhalator verwenden muss, hat sie irgendwelche Sprachnachrichten abgehört! Als ich gesagt habe, dass das Antibiotikum bestellt werden muss, hat sie genervt gestöhnt, als hätte ich ihr mit Absicht die Woche versaut, obwohl ich ihr den Botendienst angeboten habe.“

Sie zieht ein Papiertaschentuch aus der Kitteltasche, und schnaubt sich genervt die Nase. „Ich bin doch hier nicht der Fußabtreter den man behandeln kann wie es einem gerade passt.“

Was hinter der dem unfreundlichen Verhalten steckt

Sarah nimmt die Brille ab. „Bevor du dich da noch weiter reinsteigerst – ich kenne die Kundin. Sie pflegt gerade ihre Mutter zu Hause. Die ist schwer krank und wird wohl nicht mehr lange leben.“

Laura erstarrt. „Oh. Das wusste ich nicht.“

„Ja. Und das ist genau das Problem“, sagt Sarah ruhig. „Wir wissen nie, was die Leute gerade durchmachen. Viele, die bei uns in der Offizin stehen, kommen direkt von einem schlimmen Arzttermin, aus dem Krankenhaus, oder haben seit Wochen Schmerzen. Manche kämpfen mit einer Diagnose, die ihnen den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Da ist es auch irgendwie verständlich, dass nicht immer alle freundlich und nett und entspannt sind, meinst du nicht auch?“

Empathie zeigen, ohne sich selbst zu verlieren

„Aber …“, Laura runzelt die Stirn, „das kann doch nicht bedeuten, dass wir immer alles runterschlucken müssen, oder? Es ist ja nicht jedesmal wenn uns jemand so behandelt der Fall, dass es mit den Umständen zu tun hat. Manche sind doch immer irgendwie unverschämt oder respektlos, das weißt du doch selbst am besten.“

„Nein. Empathie heißt nicht, sich selbst aufzugeben“, sagt Sarah und lehnt sich an den HV-Tisch. „Aber bevor du dich persönlich angegriffen fühlst, lohnt sich manchmal ein zweiter Blick. Und trotzdem – wenn jemand respektlos wird, darfst du das ansprechen. Nur eben mit Fingerspitzengefühl.“

Laura seufzt. „Und wie sag ich das, ohne dass es gleich knallt?“

„Ich sage manchmal: Ich habe den Eindruck, dass Sie es heute eilig haben – trotzdem ist mir ein freundlicher Umgang wichtig. Möchten wir nochmal neu anfangen?“

Laura schmunzelt. „Das klingt ja fast nett. Aber klar – sowas ist entwaffnend, und wer dann noch nicht weiß, dass er sich im Ton vergriffen hat, der merkt echt garnichts mehr.“

Professionell bleiben

Sarah zuckt die Schultern. „Wir alle haben mal einen schlechten Tag. Und trotzdem darfst du sagen, wenn jemand dich unfair behandelt. Aber nicht jeder, der unfreundlich wirkt, meint auch dich persönlich.“

Auf einmal geht die automatische Tür auf, ein Vater mit müden Augen kommt herein, an der Hand ein Kind mit einem Gipsarm. Laura richtet sich auf, lächelt freundlich und tritt an den HV. „Guten Tag! Was kann ich für Sie tun?“

Und irgendwo in diesem Satz liegt beides: die Professionalität, die man als PTA braucht – und das Herz, das sie ausmacht. Und vielleicht, denkt sie, ist das der Trick: Freundlich bleiben, aber mit Rückgrat.