Insulin - das rettende Hormon

Heute vor 101 Jahren, am 11. Januar 1922, wurde der erste Patient mit Insulin behandelt. Wo das war und wie die Entwicklung des Insulins in der Folge verlief, lest ihr hier.

Früher, wir reden von ganz früher, gab es eine Geschmacksprobe, die über das weitere Leben von Patienten eine böse Prognose verhängte. Steckte der Arzt im 16. oder 17. Jahrhundert den Finger in den Urin eines Patienten und nahm einen süßlichen Geschmack wahr, hieß das: Dieser Patient wird nicht mehr sehr lange leben. Zwar wusste man noch nichts über die physiologischen Grundlagen der Zuckerkrankheit, nämlich über die Unfähigkeit der Bauchspeicheldrüse, Insulin zu produzieren, aber die Folgen waren bekannt: Siechtum und Tod. Im späten 19. frühen 20. Jahrhundert machten Ärzte entscheidende Entdeckungen. So wurde in mehreren Schritten der Zusammenhang zwischen dem Blutzuckerspiegel und der Bauchspeicheldrüse erkannt. Was therapeutisch zunächst nicht viel weiterhalf: Noch lange Zeit blieben strengste Diäten das Mittel der Wahl, um das Hinscheiden der Patienten zu verzögern, andere Therapien standen nicht zur Verfügung. Schließlich brachte das Jahr 1922 einen Meilenstein: Das Insulin wurde entdeckt. Und heute, am 11. Januar vor 101 Jahren, fand im Krankenhaus von Toronto die erste erfolgreiche Behandlung eines Diabetes-Patienten mit Insulin statt.

Insulin-Entdeckung und erste Behandlung in Kanada

Zu verdanken haben Diabetiker die Entdeckung den beiden Kanadiern Frederick Banting und dessen Assistenten Charles Best. Sie begannen ihre Arbeit 1921 an der Universität von Toronto und konzentrierten sich auf die Gewinnung von Insulin aus der Bauchspeicheldrüse von Rindern. Im Juli 1921 gelang es ihnen, Insulin erfolgreich zu isolieren, ein gutes halbes Jahr später, am 11. Januar 1922, konnten sie das neue Medikament erstmals an einem Diabetes-Patienten testen. Das ist heute genau 101 Jahre her. Ihr Patient, der damals 14-jährige Leonard Thompson, hatte eine schwere Form von Diabetes und befand sich bereits in kritischem Zustand. Nach der Insulininjektion erholte er sich jedoch rasch und seine Blutzuckerspiegel normalisierten sich.

Das war ein Durchbruch: Erstmals stand eine effektive Behandlung von Diabetes zur Verfügung, die vielen Patienten das Leben rettete. Schon ein Jahr später erhielten Banting und Best für Ihre Entdeckung den Nobelpreis für Physiologie, wie der Medizin-Nobelpreis eigentlich heißt. Heute ist Insulin ein unverzichtbarer Bestandteil der Behandlung von Diabetes und ermöglicht es Betroffenen, ein nahezu normales Leben zu führen.

Allerdings zeigten sich auch bald die Grenzen der Gewinnung aus den Pankreasdrüsen von Schlachttieren: Zum einen vertrug nicht jeder Patient das tierische Insulin, zum anderen waren dafür die Bauchspeicheldrüsen von Millionen von Schweinen oder Rindern erforderlich. Sie wurden aus Schlachthöfen in aller Welt bezogen, um daraus Insulin zu extrahieren, zu reinigen und in patientenverträgliche Darreichungsformen umzuwandeln. Angesichts dieses Aufwands war die Entdeckung des synthetischen Insulins im Jahr 1978 ein weiterer Meilenstein in der Behandlung von Diabetes.

Der Weg dorthin wurde seit den frühen 1970er Jahren beschritten, als Wissenschaftler die Chemie des Hormons studierten. Im Jahr 1978 gelang es einem Team von Wissenschaftlern, angeführt von der Firma Genentech, erfolgreich das erste synthetische Insulin zu produzieren. Es war identisch mit dem natürlichen Insulin, das von Rinderpankreas gewonnen wurde, und hatte die gleiche Wirkung auf den Körper.

Die synthetische Variante hatte mehrere Vorteile gegenüber natürlichem Insulin. Es konnte in größeren Mengen hergestellt werden, was es erschwinglicher machte und deshalb deutlich mehr Diabetes-Patienten zur Verfügung stand. Zudem war es sauberer und chemisch einheitlicher als natürliches Insulin, da es in einem Labor hergestellt wurde und nicht von der schwankenden Qualität tierischer Vorprodukte abhängig war.

Über synthetisches Insulin zum Gentechnik-Produkt

Die jüngste Entwicklung in der Insulinherstellung ist seine gentechnische Herstellung. Mit diesem 1982 eingeführten Verfahren ist es noch schneller – das heißt effizienter und preisgünstiger – möglich, Insulin in großen Mengen zu produzieren. In der Regel kommen bei dieser Technik gentechnisch veränderte Bakterien zum Einsatz, die ein Insulin hoher Reinheit und guter Verträglichkeit produzieren.

Obwohl die großen Vorteile des auf gentechnischem Wege hergestellten Insulins sich unmittelbar bemerkbar machten, hatten deutsche Hersteller es schwer, entsprechende Verfahren zu etablieren. Das lag aber nicht etwa an mangelndem Know-how, sondern an Widerständen aus der Politik, Stichwort „Angst vor Gentechnik“. So beantragte das Pharmaunternehmen Hoechst den Bau einer Anlage für gentechnische Produktion von Insulin bereits im Jahr 1984. Die Herstellung startete ganze 14 Jahre später …

Heute ist das gentechnisch hergestellte Insulin das Mittel der Wahl, das Diabetikern, vor allem solchen mit Typ I Diabetes, weltweit hilft, ein annähernd normales Leben zu führen. Der 11. Januar vor 101 Jahren war der Startschuss für diese Entwicklung.