Personalgewinnung: Motivation durch Vielseitigkeit – eine Apothekeninhaberin berichtet

Der Apothekenmarkt ist nicht mehr derselbe wie vor 20 Jahren. Was hat sich über die Zeit verändert? Aus der Sicht einer Apothekeninhaberin sind es drei wesentliche Punkte. Welche diese sind, hat sie uns im Interview erzählt.

Hermine Günther ist geborene Neuwiederin und studierte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Pharmazie. Auch heute, nach mehr als 30 Jahren Berufserfahrung, begeisterte sie sich nach wie vor für die Welt der Arzneimittel. „Ich habe keinen Tag bereut, Apothekerin zu sein und würde es immer wieder werden“, sagt die 58-jährigen Apothekeninhaberin aus Tübingen. Doch der Fachkräftemangel in der Apotheke sei nicht einfach zu bewältigen.

AMIRA-Redaktion: Frau Günther, Sie sind Inhaberin von zwei Center-Apotheken in Tübingen. Was sind denn die Vorteile im Gegensatz zu einer Land-Apotheke?

Günther: Flexibilität! Es ist auf jeden Fall für jeden etwas dabei. So kann man durch die langen Öffnungszeiten bis 20 Uhr sogar nur zwei Stunden am Abend arbeiten, beispielsweise von 18 bis 20 Uhr. Das ist ideal für Eltern, die zum Beispiel tagsüber keine Betreuung für ihr Kind haben, aber abends noch arbeiten und im Beruf bleiben wollen. Auch kann man an einem Samstag viele Stunden arbeiten Eine Center-Apotheke ist definitiv familienfreundlich. Die Apotheken sind weniger „rezeptlastig“ und daher haben wir sehr viel Selbstmedikation mit eigenen Gestaltungsmöglichkeiten zum Beispiel beim Sortiment. Bei einer Land-Apotheke oder einer sehr „rezeptlastigen“ Apotheke muss man Vorgaben des Arztes erfüllen. Das Freiwahlsortiment ist weniger abwechslungsreich, da das Publikum dafür fehlt.

Wie viele Mitarbeiter*innen haben Sie?

Insgesamt 29, darunter viele Teilzeitkräfte und vier Botenfahrer für die beiden Apotheken.

Als langjährige Apothekeninhaberin haben bzw. hatten Sie sicherlich auch mit Personalmangel zu kämpfen, wenn auch nur zeitweise. Woran liegt das?

Das Personal wandert zu vermeintlich besseren Arbeitsbedingungen in der Industrie, Verwaltung und im Krankenhaus ab. Dort wird mitunter besser bezahlt, die Arbeit am Samstag fällt weg – das ist zunächst sehr einladend.

Warum „vermeintlich“?

Es gibt da sehr viele sehr langweilige Jobs. Nicht jede Arbeit in der Industrie ist so abwechslungsreich und spannend. Die direkte positive Rückmeldung durch den Kunden fehlt.

Wechseln Apothekenmitarbeiter*innen heutzutage den Arbeitsplatz häufiger als früher?

Der Jobwechsel kommt heute häufiger vor als in der Vergangenheit. Die Treue zum Arbeitsplatz ist seltener geworden. Wir sind alle mobiler geworden, haben einen hohen Anspruch an Arbeit und Leben – die Work-Life-Balance ist wichtig. Wir sind alle gestresster, auch die Belastungen in der Freizeit sind hoch. Das kann zu Unzufriedenheiten führen, weil auch in den Medien oft eine Welt gezeigt wird, die optimal ist. So eine Welt gibt es aber leider nicht. Daher können Artikel in Online- und Printmedien die Unstimmigkeiten verschlimmern.

Letzteres hatten Sie uns auch geschrieben.

Genau, ich hatte mich beim Lesen des AMIRA-Pocket-Magazins Winter 2020 sehr gewundert. Die PTA stellte die Arbeit in der Apotheke als sehr negativ dar und das in einem Magazin, welches sich doch an das Personal der Offizin richtet. Es gibt viele positive Dinge über die berichtet werden könnte. Der Beruf ist so vielseitig: Habe ich ein Faible für Kosmetik ermöglicht eine ergänzende Ausbildung zur Kosmetikerin dies auszubauen. So können Aktionen geplant werden und selbständig umgesetzt werden. Wenn ich mich mit Naturheilkunde beschäftige, geht es in Richtung Heilpraktiker mit vielen intensiven Beratungsgesprächen. Arbeite ich gerne im Labor habe ich hier eine anspruchsvolle Aufgabe. Und mache ich alles gerne, dann bin ich eine zufriedene PTA mit unglaublich vielen verschiedenen Aufgaben – die Anerkennung von Kunden und Chefs ist garantiert.

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Sie sind seit 20 Jahren Apothekeninhaberin, was hat sich in dieser Zeit verändert?

Meiner Meinung nach gibt es drei Dinge, die sich im Laufe der Zeit geändert haben. Zum einen ist es schwerer geworden, gutes und motiviertes Personal zu finden. Das ist aber auch ein gesellschaftliches Problem. Zum anderen ist der Anspruch der Kunden ein anderer als der vor 20 Jahren: Wir kriegen zwar mehr Anerkennung als früher, aber viele Kunden sind auch sehr fordernd und dreist, haben ein großes Ego und verletzen uns. Da muss man mit umgehen können. Und drittens – die Rahmenbedingungen für Apotheken haben sich drastisch geändert. Manches davon bekommen Mitarbeiter*innen oft nur am Rande mit. Uns werden in immer schnellerem Tempo Dinge bzw. Prozesse aufgezwungen, beispielsweise die Technische Sicherungs-Einrichtung (TSE) und Securpharm, um nur zwei zu nennen.

Sie haben recht, als angestellte Fachkraft bekommt man nicht alles mit, was der Chef bzw. die Chefin erlebt oder welche Anforderungen sie so alles erfüllen müssen. Kommen wir auf ihre Mitarbeiter*innen zu sprechen. Was ist Ihnen generell wichtig?

Dass sie Spaß an der Arbeit und Interesse an der Pharmazie haben. Dass sie ehrlich und wissenschaftlich fundiert beraten, denn das ist in unseren Apothekenberufen sehr wichtig. Und sie sollten auch mal was abraten. Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn sie das tun, solange es begründet ist. Beispiele wären hier die Ablehnung der Abgabe von Produkten wie bestimmte Schlankheitspräparate Sie sollten den Anspruch haben, Neues zu lernen. Denn Fortbildung macht unsere Arbeit interessant und das gibt neue Energie.

Was tun Sie dafür, dass Ihre Mitarbeiter*innen gut beraten?

Ich erwarte, dass alle sich fortbilden und unterstütze das auch.

Das heißt, Sie übernehmen auch generell die Fortbildungskosten?

Ja natürlich, so lange die Fortbildung relevant ist. Dann übernimmt die Apotheke die Kosten und es ist Arbeitszeit. So biete ich den Besuch vieler Schulungen sowie Seminare an und gehe auch gerne auf die individuellen Wünsche und Bedürfnisse der Mitarbeiter*innen ein.

Bei rund 30 Mitarbeiter*innen läuft sicherlich nicht immer alles nach Plan ab und es gibt immer wieder mal den einen oder anderen Konflikt. Wie gehen Sie damit um?

Wir haben einen Kummerkasten, in den wir einen Zettel mit dem jeweiligen Problem schreiben. Dieser wird regelmäßig entleert und die Punkte gemeinsam besprochen und offen kommuniziert. In der Apotheke haben wir viele kleinteilige Prozesse, die alle genau umgesetzt werden müssen. Umso dankbarer bin ich dafür, dass es ein Qualitätsmanagementsystem (QMS) gibt, dass dies steuert und nicht untergehen lässt.

Was steht denn zum Beispiel auf so einem Zettel?

„Wir haben nicht rechtzeitig geöffnet.“ Bei einer Teambesprechung gehen wir dann der Sache auf den Grund und fragen uns beispielsweise „Warum ist das so passiert?“ und „Wie können wir es vermeiden, dass so etwas nochmal vorkommt?“. Wichtig ist, dass es hier nicht um persönlicheSachen geht, sondern um Prozesse. Das müssen alle verinnerlichen. Nur so können wir die Prozesse optimieren.

Was raten Sie Apothekeninhaber*innen?

Ausbilden, ausbilden, ausbilden! In allen Bereichen ist es hilfreich Praktikumsplätze anzubieten. Das Beste, was einem als Inhaber passieren kann, ist, dass eine PTA-Praktikantin bleibt und als ausgebildete PTA weiterarbeitet. Außerdem ist es wichtig, dass Interesse für die Berufsbilder zu wecken und die positiven Seiten der Apotheke in den Vordergrund zu stellen. Dazu zählen vor allem die Vielseitigkeit der Aufgabengebiete und die krisensicheren Arbeitsplätze, dessen wir uns im Zuge der Pandemie nochmal bewusst geworden sind.

Vielen Dank für Ihre Zeit, Frau Günther!