Wochenrückblick: Deutsche sitzen zu viel, Cannabis gebilligt und ABDA's Postkartenaktion

Wir sitzen in der Tinte, weil wir zu viel sitzen! Und zusätzlich sitzen wir auch noch zu lange, wie aus einem Bericht der Deutschen Sporthochschule Köln hervorgeht. Ebenfalls gibt es eine neue Studie zu Cortison-Nebenwirkungen, Neuigkeiten beim Cannabis-Gesetz und Online-Apotheker verzeichnen weiter einen Rückgang.

Die Deutschen sitzen zu viel und zu lange

Einer aktuellen Umfrage zufolge sitzen die Deutschen an Arbeitstagen zunehmend länger. Durchschnittlich beträgt die Dauer mittlerweile 9,2 Stunden pro Tag, was eine halbe Stunde mehr ist als im Jahr 2021 während der Pandemie. Diese Erkenntnisse sind Bestandteil eines Berichts der Deutschen Sporthochschule Köln und der Deutschen Krankenversicherung (DKV), der am Montag in Berlin präsentiert wurde. Die Autoren um den Sportwissenschaftler Ingo Froböse kritisieren die steigende Sitzzeit der Bevölkerung als gesundheitsgefährdend, es könne das Risiko für Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, Adipositas und Bluthochdruck erhöhen.

Im Rahmen des DKV-Reports 2023 mit dem Titel „Wie gesund lebt Deutschland?“ wurden 2.800 Erwachsene telefonisch zu ihrer körperlichen Aktivität, Ernährung, Alkohol- und Tabakkonsum sowie ihrem Stresslevel befragt. Die Studie verdeutlicht, dass lediglich 17 Prozent der Teilnehmer die angestrebten Zielwerte für ein gesundes Leben in allen abgefragten Bereichen erreichen. Im Vergleich zu vorherigen Ausgaben des Berichts werden die diesjährigen Resultate auch als „Normalisierung nach der Zeit der Corona-Pandemie“ interpretiert, wobei sich hinsichtlich der Gesundheit wieder positive Entwicklungen abzeichnen, so die Forscher.

Cannabisgesetz im Kabinett gebilligt

Am Mittwoch ging das neue Gesetz zur Legalisierung von Cannabis durch das Bundeskabinett, das Karl Lauterbach im April vorgestellt hatte (AMIRA berichtete). Es sieht vor, Cannabis zu Hause oder gemeinschaftlich in speziellen Clubs anbauen und untereinander handeln zu können oder ganz legal einen Joint rauchen zu dürfen. Vorausgesetzt, man ist 18 Jahre alt und nicht im Besitz von mehr als 25 Gramm bzw. von mehr als drei Cannabis-Pflanzen. Zudem soll der Stoff den Plänen zufolge im Betäubungsmittelgesetz von der Liste der verbotenen Substanzen gestrichen werden.

Die Regierungskoalition verteidigt das Gesetz als unerlässlich, um den Schwarzmarkt auszutrocknen, außerdem hätten andere Länder mit einer Legalisierung gute Erfahrungen gemacht, es sei zu einem Rückgang des Konsums von Jugendlichen gekommen, so Vertreter der Regierungskoalition. Um Jugendliche dennoch bestmöglich zu schützen, so Bundesgesundheitsminister Lauterbach, wolle man Jugendliche mit Aufklärungskampagnen verstärkt vor den Gefahren des Cannabis-Konsum warnen. Die Gefährdung von Jugendlichen und Heranwachsenden hatten sowohl die Oppositionsparteien im Bundestag als auch Verbände, etwa die deutschen Kinder- und Jugendmediziner, scharf kritisiert. Polizeigewerkschaften und der Deutsche Richterbund befürchteten in ihren Stellungsnahmen eine Mehrbelastung von Polizei und Justiz, weil viele Regelungen des Gesetzes Spielraum für Interpretationen ließen. So gebe es im Entwurf noch keinen Grenzwert für Cannabis beim Autofahren, weshalb Polizei und Justiz von mehr Unfällen im Straßenverkehr ausgehen.

Nach der Sommerpause soll der Gesetzentwurf im Bundestag beraten und beschlossen werden. Voraussichtlich werden die neuen Regeln noch in diesem Jahr in Kraft treten.

AMIRA fragt: Ist es eigentlich normal, dass man die Legalisierung einer Droge beschließt, um im selben Atemzug vor deren Gefährlichkeit zu warnen und Aufklärungskampagnen zu starten, mit denen man Jugendliche von ihrem Konsum abhalten will? Und wo bleibt eigentlich die Jugend-Aufklärungskampagne gegen über dem Alkoholkonsum?

Neue Studie: Cortison-Nebenwirkungen geringer als gedacht

Eine neue Studie legt nahe, dass geringe Mengen an Cortison bei langfristiger Anwendung weniger Auswirkungen auf den Blutdruck und das Gewicht von Rheuma-Patienten haben, als oft befürchtet wurde. Laut Forschern im Fachjournal "Annals of Internal Medicine" führte eine zweijährige Therapie mit solchen Dosierungen lediglich zu einer durchschnittlichen Gewichtszunahme von etwa einem Kilo im Vergleich zu Patienten ohne diese Behandlung. Ein messbarer Einfluss auf den Blutdruck wurde nicht festgestellt. Die Untersuchung, an der unter anderem Wissenschaftler der Charité in Berlin beteiligt waren, analysierte Daten von über 1100 Betroffenen mit rheumatoider Arthritis aus fünf vorherigen Studien. Die Studienautoren betonen, dass bei mittleren bis hohen Glukokortikoid-Dosen zweifellos verschiedene Nebenwirkungen auftreten können, da diese Präparate unter anderem zur Behandlung entzündlicher Erkrankungen eingesetzt werden. Allerdings stammen viele Erkenntnisse zu Nebenwirkungen aus Zeiten, in denen höhere Dosierungen üblich waren. Heute seien diese geringer.

Das Forscherteam konzentrierte sich auf Studien mit hochwertiger Methodik, insbesondere randomisierte und verblindete Untersuchungen. Frank Buttgereit, Leiter der Studie an der Charité, betonte, dass die Ergebnisse die bestehenden Leitlinien nicht überflüssig machen, da Glukokortikoide auch andere schwerwiegende Nebenwirkungen wie Osteoporose, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Anfälligkeit für Infektionen mit sich bringen können. Dennoch sei die Sorge vor Blutdrucksteigerung und Gewichtszunahme für viele Rheuma-Patienten und Ärzte nicht so relevant, wie es früher angenommen wurde. Stattdessen sollten bei der Entscheidungsfindung eher die anderen möglichen Nebenwirkungen in Betracht gezogen werden.

Die Furcht vor einer Cortisonbehandlung ist dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zufolge immer noch weit verbreitet. Diese Ängste seien jedoch oft auf falschen Vorstellungen oder fehlerhaften Informationen begründet. Das Risiko von Nebenwirkungen sei bei korrekter Dosierung und angemessener Behandlungsdauer geringer, als die meisten Menschen annehmen.

Medizingerätehersteller Philips findet neuen Anteilseigner

Die italienische Unternehmer-Familie Agnelli, Gründungsmitglied des Autobauers Fiat und über Investmentgesellschaften an vielen Unternehmen beteiligt, erwarb diese Woche 15 Prozent der Aktien des niederländischen Philips-Konzerns. Warum wir das melden? Weil es einen speziellen Hintergrund gibt, der mit Medizingeräten zu tun hat, die uns allen bekannt sind: Der Aktienkurs von Philips ist in diesem Jahr nämlich besonders niedrig, was Investoren stets spannend finden. Und niedrig ist er, weil der Konzern derzeit mit den kostspieligen Rückrufen von Beatmungsgeräten und Schlaftherapiegeräten zu tun hat. Die betroffenen Beatmungsgeräte enthielten einen Dämmschaumstoff, aus dem sich Partikel lösten. Dieser Schaumstoff steht unter Verdacht, im Laufe der Zeit toxisch zu werden. Allerdings sollen Stand Ende Juli etwa 99 Prozent der Ersatzgeräte und Teile hergestellt worden sein, von denen der Großteil bereits an Kunden und Patienten ausgeliefert wurde. Das Unternehmen hat etwa eine Milliarde Euro für den weltweiten Rückruf von rund 5,5 Millionen Geräten eingeplant und zusätzlich 575 Millionen Euro als Teil einer geplanten Vergleichszahlung in den USA für die Entschädigung von Patienten zurückgestellt. Trotzdem laufen in den USA weiterhin Sammelklagen gegen das Unternehmen. Das Ende vom Lied: Unter anderem wegen dieser Belastungen führte Philips ein Sparprogramm ein, das bis 2025 rund 10.000 Stellen abbauen soll.

DocMorris weiter in den Miesen

Online-Apotheker DocMorris verzeichnete im ersten Halbjahr einen Rückgang seines Umsatzes, wie das Unternehmen am Donnerstag mitteilte. Trotzdem sei es gelungen, die Verluste zu verringern. DocMorris befand sich im Umbruch, insbesondere nach dem Verkauf seines Schweizer Geschäfts unter dem Namen Zur Rose. Auf dem nun als wichtigsten Markt geltenden Deutschland verzeichnete das Unternehmen im ersten Halbjahr einen Umsatzrückgang von etwa 21 Prozent auf 468,5 Millionen Franken. DocMorris setzt auf die Einführung des E-Rezepts in Deutschland, diese sollen hier bis Anfang des nächsten Jahres flächendeckend in allen Praxen verfügbar sein und den Medikamentenkauf beim Online-Händler deutlich erleichtern, so die Erwartung. Trotzdem blieb das Gesamt-Unternehmen unter dem Strich tief in den roten Zahlen, wie ein Nettoverlust von 58,2 Millionen Franken zeigt. Da dieser Verlust geringer sei als das Minus von 83,6 Millionen im Vorjahr, hat DocMorris das Ziel, die operative Gewinnschwelle im Jahr 2024 zu erreichen, erneut bestätigt.

ABDA startet Postkartenaktion

ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening hat die Apothekerschaft zur Teilnahme an einer neuen Postkartenaktion im Rahmen der sogenannten „Eskalationsstrategie“ aufgerufen. „Wir müssen und wir werden bei der Politik weiter die Wertschätzung für die Apotheken vor Ort und deren Teams und eine gerechtere Honorierung einfordern. Hier bleiben wir konsequent dran“, so Overwiening in einer Videobotschaft, die am Montagvormittag veröffentlicht wurde.

Overwiening machte deutlich, dass man in der politischen Kommunikation nachlegen wolle, und zwar mit Patient:innen als Testimonials. Viele von ihnen hätten gefragt, wie sie den Apotheken vor Ort helfen und sie unterstützen können. Jetzt sollen sie in eine Protestaktion eingebunden werden, bei der sie per Postkarte bekunden sollen, warum sie ihre Apotheke so schätzen.

Von Kritik an der Aktion aus der Apothekerschaft berichtet indes die DAZ. Demnach hätten sich verschiedene Stimmen einfallsreichere Maßnahmen gewünscht als eine beschauliche Postkartenaktion. Auch hätten die Freien Apotheker vor kurzem erst eine ähnliche Aktion gestartet, die sich mit der von der ABDA gewünschten Initiative überschneide. Das sähe aus wie Abkupfern und gehöre sich nicht, so die Kritiker.

AMIRA meint: Wir sind gespannt, wie die „Eskalationsstrategie“ sich entwickelt. Postkartenaktionen fühlen sich erstmal nicht nach Eskalation, sondern eher wie ein laues Lüftchen.

PTA-Patenschaft startet zum neuen Ausbildungsjahr

Oft beschweren sich Pharmaziestudierende und angehende PTA und PKA über den mangelnden Praxisbezug im Studium bzw. in der Ausbildung. Ein Projekt des Landesapothekerverbands Baden-Württemberg e. V. (LAV) setzt hier an und will Abhilfe schaffen: mit der PTA-Patenschaft. 
„Auf freiwilliger Basis bieten wir den Schülerinnen und Schülern an, ab Tag eins der schulischen Ausbildung regelmäßig, aber mit nur wenigen Stunden pro Woche, in einer am Projekt teilnehmenden Apotheke mitzuarbeiten“, erklärt Rouven Steeb, der als Vizepräsident des LAV zusammen mit einer Arbeitsgruppe aus Apothekerinnen und Apothekern die Initiative entwickelt hat.
Die Vorteile schildert der LAV wie folgt: „Anstatt für ihr Taschengeld irgendwo zu jobben, können die PTA-Schülerinnen und Schüler ihren angestrebten Beruf erleben, echte Apothekenluft schnuppern, den erfahrenen Apothekenteams über die Schulter schauen und aktiv mitarbeiten. Die PTA-Schulen profitieren von diesen Erfahrungen, die die Teilnehmenden zurück in den Unterricht tragen und so das schulische Geschehen beleben. Für die Apotheken, deren Teams ihr praktisches Wissen weitergeben und sich so aktiv in die Ausbildung einbringen, ist die Übernahme einer PTA-Patenschaft nicht nur Motivationsfaktor, sondern stärkt sie auch bei der Personalsuche und -bindung.“ Besonders letzterer Aspekt dürfte für die Apotheken von großem Interesse sein.
Wie soll das Projekt praktisch umgesetzt werden? Die Apotheken sollen inhaltlich durch eine von Lehrkräften an PTA-Schulen entwickelte Arbeitshilfe unterstützt werden. Der „Leitfaden zur PTA-Patenschaft“ transferiert pro Schul-Quartal das erworbene schulische Wissen in praktische Tätigkeiten in der Apotheke – und das über die gesamte schulische Ausbildung hinweg. Steeb erklärt: „Im Leitfaden sehen wir also nicht nur, was in der Schule gerade unterrichtet wurde, sondern finden gleich daneben Beispiele für Tätigkeiten in der Apotheke, die dieses Wissen abrufen, festigen und verstetigen. So können wir die Schülerinnen und Schüler in der Apotheke optimal fördern, ohne sie zu überfordern.“ Das Projekt ist bereits angelaufen. Weitere Informationen dazu finden sich auf der Seite des LAV und der Homepage www.apotheker.de/.
Eine wichtige Einschränkung gibt es allerdings: Die PTA-Patenschaft dürfe nicht als Ersatz für die in der Ausbildung verankerten Praktika betrachtet werden, sondern als ein ergänzendes Angebot, das noch dazu freiwillig ist, betont der LAV-Vizepräsident. Formal gesehen handele es sich um ein einfaches und vertraglich vereinbartes Arbeitsverhältnis. Um eine Überforderung der Schülerinnen und Schüler zu vermeiden, soll die wöchentliche Arbeitszeit etwa vier bis fünf Stunden nicht überschreiten.

 

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