Ka-iihhhhh! Keine Angst vor neuer Technologie.
AMIRA hat sich Gedanken gemacht, welche Rolle die Künstliche Intelligenz in der Apotheke einnehmen wird. Ist KI total „ihhh“? Oder ein dringendes Update, um endlich den Fachkräftemangel zu bewältigen?
Künstliche Intelligenz ist aktuell ein viel gewälztes Thema: Mal soll ChatGPT seine Fähigkeiten beweisen, indem es unter den Augen versierter Fachredakteure die perfekte Reiseapotheke zusammenstellt. So gefordert und für einigermaßen brauchbar befunden von der Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung. Andere sehen das Phänomen weniger pragmatisch und mahnen mit dystopischen Phantasien wie aus dem Science-Fiction-Reißer vor der bevorstehenden Machtübernahme der KI. Vielleicht deshalb billigt manche PTA der Apotheke gar keine Zukunft mehr zu: „Eine Apotheke der Zukunft stelle ich mir gar nicht erst vor. Onlinehandel mit Drohnenservice vielleicht. Kein menschliches Personal vonnöten.“ So beschreibt eine befragte PTA, die sich nur anonym äußern möchte, künftige Arzneimittelversorgung.
Dabei ist der Einsatz von Künstlicher Intelligenz bereits länger Teil unseres Alltags, denn schon seit einigen Jahren nutzen Suchmaschinen und Übersetzungsprogramme KI und unterstützen uns damit in Job und Freizeit. Und in der Apotheke? Klingt eine KI – noch – nach Zukunftsmusik! Ein genauer Blick zeigt jedoch, dass KI auch hier ein großer Helfer sein kann. Können die akuten Probleme sogar mithilfe innovativer, kreativer Lösungen, wie z.B. einem digitalen Apothekenassistenten, überwunden werden?
Die Apotheke: Eine Gesundheitsinstitution. Kompetent, verlässlich, emphatisch.
Getragen von Menschen vor und hinter den Kulissen des HV-Tischs. Teams, denen es von Tag zu Tag wichtig ist, ihre Kunden bestmöglich durch Beratung und persönlichen Kontakt mit Medikamenten zu versorgen. Unter anderem so beschreiben Apothekenangestellte sich selbst. Auch für die Kundschaft sind Begriffe wie „Vertrauen“, „Beratung“, „Wissen“ und „Zuverlässigkeit“, wichtig, wenn sie danach gefragt werden, was eine Apotheke ausmacht. Es fällt auf: Dies alles sind Attribute, die durch „künstlich“ nur schwer zu ersetzen sind.
Jobs in der Apotheke – zunehmend unattraktiv?
Andererseits besteht die Realität heute aus Lieferengpässen, Bürokratiefrust, psychischer Belastung und dem allgegenwärtigen Fachkräftemangel. Auch in der AMIRA-Welt lässt sich die Desillusionierung angesichts der Arbeitsbedingungen in der Apotheke heraushören: Die Nichtverfügbarkeit von Arzneimitteln verlangt viel Flexibilität und Organisationstalent. Über der Offizin schwebt täglich die unsichtbare Konkurrenz aus dem Internet. Papiere stapeln sich, werden gefaxt, eingescannt und abgeheftet. Dazu kommt das Tagesgeschäft aus Beratung, Recherche und hohem Druck. Belastungen, denen häufig keine angemessene Honorierung gegenübersteht. Die Folge ist, dass das Personal wegbleibt. Bereits seit 2015 gelten Apothekenberufe laut Bundesagentur für Arbeit als sogenannte Engpassberufe. 2019 blieb von Juni bis Dezember eine Stelle etwa 154 Tage unbesetzt. Das Personal hat es schwer mit dem kontinuierlich steigenden Pensum und der daraus resultierenden psychischen Belastung, ein Job in der Apotheke ist wenig attraktiv. „Das Gehalt ist absolut zu wenig für ein gutes Leben. Die Arbeitszeiten werden immer länger. Die Kunden immer unverschämter und die Bürokratie ist erdrückend.“, ist nur eines von vielen Beispielen, wie Apothekenangestellte ihre aktuelle Jobsituation beschreiben.
Die Apotheke vor Ort einfach aussterben zu lassen und die Arzneimittelversorgung ins Internet zu verlagern ist unrealistisch und würde für viele Menschen eine Verschlechterung der Medikamentenversorgung bedeuten. Es müssen andere, verträglichere Lösungen her, die gleichzeitig moderner sind.
Leider ist die Freude über Modernisierungsankündigungen eher gedämpft. Digitale Lösungen entlasten längst nicht immer, wie etwa die Erfahrung mit Updates zeigt. Oft ist teaminternes Chaos programmiert, wenn der Dienstleister die nächste, garantiert fehlerfreie, Version ankündigt. Und warum soll man eigentlich ein neues KI-gestütztes System integrieren, wenn doch die Kollegin auf jahrzehntelange Erfahrung zurückblicken kann? Sie weiß genauso gut, welches Mittel neu am Lager ist und kennt die „Marotten“ der Kundschaft ebenso, wie die Pröbchen, mit denen sich aufkommender Unmut beschwichtigen lässt.
KI-Vorstufen für Apotheken sind schon längst am Markt
Ist Künstliche Intelligenz also eher unter „Fehlanzeige“ zu buchen? Ganz und gar nicht, Vorstufen zum Beispiel sind längst da! Etwa im Lager. Viele Apotheken versorgen ihre Kundschaft nicht mehr aus meterlangen Schubladenreihen. Mithilfe weniger Klicks aktivieren sie einen Roboter, der innerhalb kürzester Zeit die gewünschten Packungen aus dem Lager holt. In seinem eigenen Sortiersystem, dass für menschliche Betrachter chaotisch wirkt, aber Platz und Zeit spart, findet sich der Kommissionierroboter bestens zurecht. Seit über 20 Jahren sind die Systeme in vielen Teams integriert und werden gar mit liebevollen Spitznamen wie „Roberta“ geadelt. Schon jetzt sind sie ganz schön geschmeidig, demnächst werden sie auch noch künstlich intelligent: Geplant sind KI-Upgrades, die das Lager bedarfsorientiert und nach Verfügbarkeiten optimieren, so dass das Unternehmen Apotheke schneller und individuell auf Marktsituationen reagieren kann.
KI-Experte und Berater Markus Odenthal, sieht „definitiv künstliche Intelligenz im Mittelpunkt“ der Zukunftsapotheke. Für ihn werden menschliche Apothekenmitarbeiter eine persönliche Assistenz besitzen, die nicht nur bei Arzneimittelinteraktionen reagiert, sondern auch Therapievorschläge gibt, die auf aktuellsten Publikationen basieren. „Das wäre super für die Gesundheit der Patienten und könnte auch die Gefahr von Medikationsfehlern verringern“, sagt Odenthal. Ziemlich sicher werde KI bei der Überprüfung von Arzneimittelwechselwirkungen, Dosierungsanleitungen und möglichen Risiken unterstützen.
Eine KI kann eine Lösung für den Fachkräftemangel sein, indem sie unbeliebte Aufgaben abnimmt, z.B. Anträge bearbeitet, Personaleinsatzpläne schreibt und To-Dos plant. Andere Branchen arbeiten bereits erfolgreich mit derartigen KI-Systemen. Schichtpläne werden beispielsweise aufgrund von Kapazitäten, Skills und Verfügbarkeiten geschrieben. Teams arbeiten mit dieser Unterstützung nachhaltiger und effizienter.
Die Zukunftsapotheke integriert KI, indem sie diese – neben Mörser und Pistill – zu einem neuen Werkzeug macht. Mit eingespeisten Daten übernimmt sie etwa eigenständig Inventur, Bestellungen und Prozessoptimierung. Mancher Beobachter stellt sich unter einer modernen Apotheke die Einbindung in größere Zusammenhänge vor, schwärmt von Digitalisierung und dem Austausch von Patientendaten im Gesundheitssystem. Das wird mithilfe einer KI kein Problem mehr sein, die gesammelten Daten können zum Nutzen des Patienten und zur Kostensenkung analysiert und neue Wege gefunden werden. Allerdings stellen solche Potenziale noch einmal ganz neue Anforderungen an den Datenschutz. Den gläsernen Patienten, den die KI komplett durchleuchtet jedem jederzeit präsentiert, will sicherlich niemand.
KI als Lösung für den Fachkräftemangel
Ersetzen wird eine KI den Menschen in der Apotheke jedoch nicht, sie schafft Platz für neue, attraktive Arbeitsbereiche und löst veraltete Strukturen auf. Beratungen könnten zwar online stattfinden, aber hinter dem Bildschirm befindet sich noch immer ein Mensch, der gemeinsam mit einer Assistenz Lösungen findet. Und das können solche sein, die womöglich individueller und persönlicher als zuvor sind. „Es bedeutet mehr Zeit für das Kerngeschäft und das ist die persönliche Vermittlung von Wissen. Es ist auch das individuelle Erzeugen von mehr Verständnis für die Arzneimitteltherapie der Patientinnen und Patienten, es ist aber auch das Begleiten der Menschen während einer Therapie“, sagt ABDA-Präsidentin Gabriele Overwiening zum Potenzial von KI. Derartige Systeme könnten Apothekenberufen neue Attraktivität verleihen, da sich menschliche Tätigkeiten wieder mehr auf die Patientensicherheit und weniger auf Dokumentationsbögen oder das Abarbeiten bürokratischer Anforderungen besinnen könnten.
Anders gesagt: Die KI könnte uns viele Dinge in der Apotheke erleichtern, der Fokus könnte sich wieder mehr auf pharmazeutische Tätigkeiten richten. KI könnte helfen, die Apotheke neu zu denken und zu gestalten.
Es gibt schlechtere Perspektiven...