Der Christstollen-Krimi: Blausäure im Weihnachtsgebäck, was ist dran?

Es weihnachtet sehr! Die Adventszeit ist angebrochen und an jeder Ecke duftet es nach Zimt und Kardamom. Was auf keinen Fall fehlen darf, ist ein Christstollen. Ein Blick auf die Zutatenliste lässt den erfahrenen Pharmazeuten jedoch stutzen…

Der Stollen ist ein Klassiker: Erlesene Zutaten und Gewürze, dazu der Puderzucker, der den Laib schön weißt und angeblich an das gewickelte Jesuskind in der Krippe erinnern soll. Ob stimmt? Was auf jeden Fall stimmt, ist die laut Rezept empfohlene Beigabe von 45 Gramm Bittermandeln, fein gehackt. Bittermandel? Moment, da war doch was! Wird die im Körper nicht zur hochgiftigen Blausäure?

Wie war das nochmal und wie gefährlich ist die Bittermandel wirklich für den Menschen? Amira macht den Fakten-Check.

Der rosa blühende Mandelbaum ist ein im gesamten Mittelmeerraum vorkommendes Gewächs asiatischen Ursprungs. Die Gattung Prunus dulcis ist für seine süßen Kerne bekannt, gern als Backzutat. Die bittere Süßmandel, Prunus dulcis var. Amara, ist jedoch in unbehandelter Form ungenießbar und giftig.
Grund dafür sind die 3-5 Prozent des enthaltenen Amygdalins. Gelangt es in den Verdauungstrakt, verstoffwechseln körpereigene Enzyme das cyanogene Glykosid zu Cynwasserstoff, die hochgiftige Blausäure. Es bildet sich nach dem Verzehr von nur einer Bittermandel ca. 1mg Blausäure. Vor allem sind Kinder gefährdet, denn für sie reichen bereits 5-10 Mandeln für eine tödliche Dosis aus. Erwachsene müssen hingegen 50-60 der stark bitteren Kerne verzehren.

Übrigens, die Kerne anderer Prunus Arten, wie von Pfirsich, Aprikose, Nektarine usw. enthalten natürlicherweise auch Amygdalin und sind demnach ähnlich giftig beim Verzehr.

Hauptsache lecker?

Wie kommt man also darauf, eine solch hochgiftige Zutat ins Weihnachtsgebäck einzuarbeiten? Ganz einfach, die Bittermandel ist für den speziellen Geschmack des Christstollens verantwortlich. Giftig ist das Amygdalin nach dem Backen nicht mehr, denn die Blausäure ist flüchtig und nicht hitzestabil. Ihr Gehalt sinkt laut Landesapothekerkammer Thüringen beim Backen um bis zu 30 Prozent. Klingt nicht nach viel – reicht aber aus, um die Gefahr zu bannen.

Trotzdem ist es gut, sich mit den Symptomen einer Blausäurevergiftung auszukennen. Sie äußert sich anfangs mit Magen-Darm-Beschwerden, Gesichtsrötung und Herzrasen. Im Verlauf kommen Bewusstseinsstörungen, Koma, Atemstillstand und Herzreislaufversagen hinzu. Mit Blausäure ist also nicht zu Spaßen. Sie dient nicht nur der Chemikalienherstellung und als Pflanzenschutzmittel. Vergiftungen sind schnell möglich, ob unbewusst oder auch gewollt. Nicht umsonst ist die Blausäure das Lieblingsgift der bekannten Krimiautorin Agatha Christie gewesen. Es kam in 13 ihrer Bücher zum Zuge.

Die Giftzentrale Erfurt klärt auf ihrer Homepage zu den „Gefahren der Weihnachtszeit“ durch Pflanzen, Gewürze und Backzutaten auf. Sollte es zu Symptomen nach dem Verzehr von Bittermandeln kommen, rät die Zentrale, ein wenig Flüssigkeit (max. ein Glas stilles Wasser) zu sich zu nehmen und die entsprechende Informationsstelle anzurufen. Bei auffälligen Symptomen sollte der Notruf gewählt und keinesfalls ein Erbrechen ausgelöst werden.

Giftmorde sind heute wegen der leichten Nachweisbarkeit zwar selten, Vergiftungsgefahren – etwa durch Unachtsamkeit oder Unwissenheit – sollten bei der Abgabe gewisser „Mittelchen“ in der Apotheke jedoch nicht außer Acht gelassen werden.

Vor der Abgabe aufklären

Das gilt erst recht für Bittermandeln, die auch in vielen Apotheken abgegeben werden, gerade in der Vorweihnachtszeit. Dort sollten Mitarbeiter allerdings auch immer auf die Gefahren hinweisen. Zugleich sollte die maximale Abgabemenge von 10-20 g nicht überschritten werden, auch der gut sichtbare Hinweis auf der Packung, dass die Mandeln unzugänglich für Kinder zu lagern seien, ist wichtig, schreibt die die Apothekerkammer Thüringen. Auf ihrer Homepage weist sie auf die besondere Verantwortung der Approbierten hin: „Werden für die „Stollenbäckerei“ mehr als die empfohlenen Höchstmengen verlangt, liegt die Verantwortung und Entscheidung über eine Abgabe bei der Apothekerin oder dem Apotheker.“
Seit 2013 wird Amygdalin als bedenkliches Rezepturarzneimittel eingestuft und das BfArM deklarierte 2014 Amygdalin-haltige Arzneimittel als bedenklich nach §5 Absatz 2 des AMG. Als Lebensmittel unterliegt die Bittermandel jedoch nicht dem Arzneimittelgesetz und kann somit ohne Weiteres in der Apotheke verkauft werden.

Die Bittermandel, in erhitzter Form unbedenklich, ist unbehandelt vor allem für Kinder hochgiftig. In Apotheken sollte die Abgabe mit einer entsprechenden Warnung erfolgen. Wer lieber sicher gehen möchte, kann verarbeitete Öle oder Aromastoffe ohne Bittermandel verwenden, verliert aber den charakteristischen Bittermandelgeschmack. Als Alternative empfiehlt sich die Verwendung von Süßmandeln, wie sie im Supermarkt aus dem Backregal zu kaufen sind. Geschmacklich ergeben sich keine riesengroßen Unterschiede.

Ein Fall für Krimiautoren ist der Christstollen aufgrund der Bittermandel also nicht, nur als Snack beim sonntäglichen Tatort sollten die bitteren Kerne nicht roh auf dem Couchtisch stehen.

Amira wünscht ein unbedenkliches Stollenbacken und Genießen.