Welt AIDS-Tag in Deutschland: "Leben mit AIDS. Anders als du denkst."

Der 1. Dezember wird weltweit als der Welt-Aids-Tag begangen, ein Tag, der auf die Herausforderungen und Fortschritte im Kampf gegen das HI-Virus aufmerksam macht. In Deutschland steht der diesjährige Welt-Aids-Tag unter dem Motto: „Leben mit Aids. Anders als du denkst.“

Das Motto soll gegenüber Menschen sensibilisieren, die mit HIV leben. Und mit Vorurteilen aufräumen, auf die sie vielerorts noch treffen. Die Botschaft ist klar: Im Gegensatz zu den ersten Jahren der Aids-Epidemie, als die Krankheit oft als Todesurteil betrachtet wurde, haben Fortschritte in der Medizin die Perspektiven für Menschen mit HIV erheblich verbessert. Dank moderner und möglichst früh eingeleiteter Therapien können Menschen mit HIV ein ganz normales Alltags-, Berufs- und Liebesleben haben, denn unter der Therapie gegen die Krankheit ist eine Ansteckung anderer Menschen ausgeschlossen, weil das Virus nicht weitergegeben wird.

Klar, du weißt das – schließlich bist du Profi und hast im Berufsalltag gewiss auch mit positiven Patientinnen und Patienten zu tun.

Unwissenheit führt zu Diskriminierung – drei Beispiele

Nur: Viele Nicht-Betroffene da draußen haben von diesem Fortschritt wenig Ahnung und halten HIV-Infizierte immer noch für eine Ansteckungsquelle im Alltag. Und das, obwohl Alltagsinfektionen niemals eine Rolle gespielt hätten, so die Deutsche Aidshilfe. Oft wurzelten Vorbehalte in Moralvorstellungen, weil „HIV mit Homosexualität, negtativ bewertetem Sexualverhalten und Drogenkonsum in Verbindung gebracht“ werde. Es folgen: Diskriminierung und Ausgrenzung.

Von solchen Erfahrungen berichten Infizierte in der aktuellen Kampagne zum Welt-AIDS-Tag, so auch die 45-jährige Barbie Breakout, eine Make-Up-Artistin und Drag-Person, die durch verschiedene Fernsehformate Bekanntheit erlangte. Diskriminierung erlebt Barbie zum Beispiel beim Daten, wie sie im Interview sagt. Und natürlich auf Social Media, wo sie offen mit ihrer Infektion umgeht. „Da wird dann geschrieben: Du bist eine Aids-Hure, oder sowas. Die Leute wollen mich kleinmachen.“ Wie sie damit umgeht? „Mit solchen Leuten kann man nicht diskutieren. Also: Blocken, löschen, weitermachen.“

Auch Menschen, die kein so schrilles Leben führen wie Barbie Breakout müssen sich aufgrund ihrer Infektion mit Vorbehalten herumschlagen. Julia, 31 Jahre alt und Heilerzieherin in Köln, erging es jedenfalls so. Sie erfuhr nach der Bluttypisierung vor einer geplanten Knochenmarkspende, dass sie positiv war, im Alter von 21 Jahren. Woher die Infektion kam? Ein früherer Freund habe das Virus an sie weiter gegeben sagt sie, denn: „Als ich in die Beziehung mit ihm ging, war ich nach einem Test definitiv negativ.“ Schlimm wurde es dann innerhalb der Partnerschaft, als die Familie des Freundes Druck ausübte, bloß nicht mit anderen über die Infektion zu reden. Als dann noch die Frage gestellt worden sei, ob die Infektion ihres Sohnes nicht auch von ihr stammen könne, hätten Schuldgefühle ihr Leben bestimmt. Die wären erst nach der Trennung vom Freund, einer anschließenden Fernreise allein und einer Psychotherapie wieder verschwunden. Heute sagt sie: „Schuldgefühle? Da spiel ich nicht mit!“

Selbst in Bereichen, die eigentlich professionell mit AIDS zu tun haben, gibt es weiterhin Vorurteile. So schildert es im Rahmen der Kampagne zum Welt-Aids-Tag auch Sabine aus Berlin, inzwischen 64 Jahre alt. Vor drei Jahren war sie in einer anderen Augenarztpraxis, die ihre hatte geschlossen. Nach der Untersuchung erwähnte sie eher beiläufig, dass sie positiv sei. Die Ärztin sei daraufhin zwei Meter zurückgerollt und habe sie zusammengestaucht: „Sie meinte, das hätte ich gleich am Empfang sagen müssen. Schließlich müssten ihre Kolleg*innen selbst entscheiden dürfen, ob sie mich als HIV-Positive überhaupt behandeln wollten. Ich dachte, ich hör nicht richtig. Ich habe dann versucht, zu erklären, dass es für diese Haltung keine medizinische Grundlage gibt, aber ich war auch sehr verdattert. Sowas war mir seit den 90ern in Berlin nicht mehr passiert.“ Reaktionen wie diese hat Sabine gründlich satt. Ihre Schlussfolgerung: „Wir müssen unseren Protest noch mal neu adressieren. Er gehört in die Politik und in die Medien.“

HIV führt nicht mehr zwingend zu AIDS – das Todesurteil ist aufgehoben

Zwar weiß die Öffentlichkeit inzwischen zu rund 80 Prozent, dass die Infektion kein Todesurteil mehr ist, das erbarmungslos schnell vollstreckt wird, wie es noch in den 80er und 90er Jahren traurige Wahrheit war und durch Filme wie „Philadelphia“ thematisiert wurde. Die Angst vor Ansteckung war seinerzeit riesig, Heilmittel nicht in Sicht, und die Magazine überschlugen sich mit Warnungen und AIDS-Titelblättern. Dann kamen die ersten lebensverlängernden Therapien, und ab 1996 schließlich Medikamente, die ein weitgehend normales Leben ermöglichen. Oder, wie Barbie Breakout die AIDS-Historie zusammenfasst: „Leben mit HIV war lange „Sterben mit HIV“, dann „Überleben mit HIV, jetzt ist es „Leben mit HIV“. Das ist ein riesengroßer Fortschritt“, sagt die Künstlerin.

Wirksame Medikamente, auch gegen die Weitergabe

Aber welche Medikamente gibt es eigentlich? Werfen wir einen kurzen Blick auf die Präparate: Sie verhindern die Vermehrung des Virus im Körper und setzen dabei an verschiedenen Stellen an. Zur Verfügung stehen heute:

Entry-Hemmer: Eintrittshemmer hindern das Virus daran, sich an Körperzellen zu binden und in sie einzudringen. Davon gibt es vier Untergruppen: CCR5-Korezptorblocker, CD4-Blocker, Fusionshemmer und Attachment-Inhibitoren.

Reverse-Transkriptase-Hemmer: Reverse-Transkriptase-Hemmer verhindern, dass das Virus sein Erbgut in die Zelle einbaut und dort das Kommando übernimmt. Diese Medikamentenklasse unterteilt sich noch einmal in Nukleotid- und Nukleosidanaloge Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTIs) und Nicht-nukleosidale Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTIs).

Integrase-Hemmer: Integrase-Hemmer verhindern, dass das Virus sein Erbmaterial in den Kern der menschlichen Zelle einbaut.

Protease-Hemmer: Protease-Hemmer verhindern, dass in der HIV-infizierten Zelle neue Virusbausteine produziert und hinterher zusammengesetzt werden.

Capsid-Hemmer: Das Erbmaterial von HIV kommt in einer Art Transportverpackung, dem „Capsid“. Capsid-Hemmer stören dessen Aufbau, so dass das Erbmaterial von HIV vorzeitig eliminiert wird, bevor es die Zelle „umprogrammieren“ kann.

Mittlerweile sind mehr als 20 Wirkstoffe in Gebrauch, die mit der Zeit immer einfacher, effektiver und verträglicher geworden sind. Bei einer HIV-Therapie werden immer verschiedene Medikamente gleichzeitig eingesetzt, teilweise muss täglich nur noch eine Pille als Kombinationspräparat genommen werden. Immerhin 97 Prozent der Menschen, die von ihrer Infektion wissen, nehmen diese Medikamente und verringern damit das Risiko schwer zu erkranken – für sich und andere.

Auch medikamentöse Vorbeugung ist möglich

Neueste pharmazeutische Bemühungen versuchen, natürliche Antikörper von Menschen zu isolieren, die zwar als infiziert gelten, aber nie eine Erkrankung durchgemacht haben. Klappt das, könnte auf einen Schlag eine ganz neue Medikamentenklasse gegen die Folgen einer HIV-Infektion zur Verfügung stehen. Schon heute dagegen können sich Menschen, die Situationen mit Ansteckungsgefahr erleben (wollen), einer Infektion medikamentös vorbeugen. Entsprechende Medikamente werden als Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) bezeichnet. Die PrEP-Medikamente enthalten in der Regel die Wirkstoffe Tenofovir und Emtricitabin, sie können das Risiko einer HIV-Infektion um bis zu 99 Prozent reduzieren. Nach eigener Schätzung, basierend auf Apotheken-Abrechnungsdaten, nutzen zurzeit rund 39.000 Menschen bundesweit die Präexpositionsprohylaxe, teilte das Robert-Koch-Institut anlässlich des Welt-Aids-Tages mit. Allerdings, darauf weisen einhellig alle Fachleute hin, seien die Präparate kein Ersatz für beispielsweise Kondome oder hygienisch einwandfreie Injektionsbestecke im Falle von Drogennutzern.

Auch wenn der Wunsch nach einer Impfung gegen die Infektion sich noch nicht erfüllt hat – die heute verfügbaren Therapien haben infizierten Menschen zu einem weitgehend normalen Leben verholfen und das Risiko von Ansteckungen drastisch verringert. Eigentlich könnte also alles gut sein.

Wenn die langlebigen Vorurteile nicht wären. Helfen wir alle mit, sie zu beenden. Menschen mit HIV verdienen Normalität, nicht Diskriminierung.

AMIRA fragt: Wie erlebst du die Lage: Ist HIV immer noch ein großes Thema? Weißt du von Vorurteilen in deiner Umgebung – beruflich wie privat? Und was tust du, wie argumentierst du, wenn auch solche Vorbehalte triffst?