Die Anti-Gicht-Ernährung

„Gicht kommt über Nacht“, „Obst sollte wegen der Fructose gemieden werden“: Diese und andere Behauptungen kursieren rund um das Thema Gicht. Was davon ist Fakt und was darfst du bewusst ignorieren, wenn du deine Patienten berätst?

Von allen Stoffwechselerkrankungen war Gicht die erste, bei der ein Zusammenhang zwischen Ernährung und Erkrankung erkannt wurde. Und auch wenn die Erkenntnis hinzukam, dass die genetische Disposition eine „Mit-“ oder möglicherweise sogar eine „Hauptschuld“ trägt, sind diätetische Empfehlungen wie „kein Fleisch, keine Meeresfrüchte, kein Alkohol, Gewicht reduzieren“ praktisch Allgemeingut. Die Beratung in den Apotheken fällt selbstverständlich viel differenzierter aus, auch, weil es immer wieder neue Erkenntnisse gibt.

Im Folgenden findet ihr Behauptungen rund um Gicht und Hyperurikämie. Sind sie richtig oder falsch? – So viel vorab: manche Antwort wird überraschen!

Gicht kommt über Nacht

Falsch und richtig: Ohne vorherige Hinweise auf einen erhöhten Harnsäurespiegel erleiden viele Patienten aus dem vermeintlichen Nichts einen Gichtanfall, charakterisiert durch frühmorgendlich plötzlich einsetzende, starke Schmerzen in einem Gelenk. Der Überschuss an Harnsäure war dann über Jahre oder sogar Jahrzehnte unbemerkt akkumuliert, es sei denn, die Problematik wäre bei einem Routine-Checkup aufgefallen.

Bei Werten über 6,5 mg/dl Harnsäure im Serum spricht man „nur“ von Hyperurikämie. Das Risiko einen Gichtanfall zu erleiden ist zunächst gar nicht so hoch. Erst bei Werten über 8 mg/dl steigt das Risiko auf 40 Prozent an und bei Werten über 9 mg/dl muss innerhalb des nächsten Jahres zu beinahe 100 Prozent mit einem Gichtanfall gerechnet werden – erst mit diesem schmerzhaften Ereignis wird aus der Hyperurikämie eine Gichterkrankung. Aber danach wird es im Allgemeinen auch schwierig, ohne Arzneimittel auszukommen – und eine Diät muss zusätzlich eingehalten werden.

Purine zählen ist wie Kalorien zählen, nur einfacher

Richtig: Auf der Seite der Gicht-Liga findet sich ein Purin-Rechner www.gichtliga.de/purinrechner, in den man ganz einfach die zu verzehrenden oder bereits gegessenen Lebensmittel eingibt. Anschließend errechnet und addiert das Tool die Purine. Einfacher kann man bei erhöhten Werten nicht unter 500mg/Tag und 3.000 mg/Woche bleiben oder nach einem Gichtanfall die maximal zulässigen 300 mg/Tag und 2.000 mg/Woche einhalten. Das Ziel ist es, den Harnsäuregehalt im Serum unter 6 mg/dl zu stabilisieren.

Wer nicht so Internet-affin ist, der kann in dem Buch „Gicht-Ampel“ aus dem Trias Verlag nachschlagen, das 2.600 Lebensmittel auflistet. Oder er druckt eine Tabelle aus, die unter der Webadresse www.lifeline.de/purinrechner oder unter www.gichtinfo.de/purinrechner zum Download bereitsteht.

Gemüse mit einem hohen Purin-Gehalt wie Hülsenfrüchte, Spargel, Spinat oder Sojabohnen (Tofu) sollte man, obwohl sie eigentlich „gesund“ sind, als Gichtpatient lieber meiden.

Falsch (mit kleinen Einschränkungen): Es sind vor allem die tierischen Purin-haltigen Lebensmittel, die sich ungünstig auf den Harnsäurespiegel auswirken. In vielen Studien wurde mittlerweile gezeigt, dass dieser nach dem Verzehr pflanzlicher Produkte viel weniger ansteigt als zu erwarten gewesen wäre, wenn man den reinen Purin-Gehalt betrachtet. Möglicherweise sind es die pflanzlichen Ballaststoffe, die regulierend wirken. Ein klein wenig muss man die Purin-Mengen im Auge behalten, aber eine vegetarische Ernährung ist grundsätzlich empfehlenswert.

Da Obst Fructose enthält, sollte der Verzehr eingeschränkt werden.

Falsch: Dass die Aufnahme von Fructose sich sehr ungünstig auf den Harnsäurespiegel auswirkt, weiß man erst seit etwa 15 Jahren. Fructose regt die körpereigene Harnsäure-Produktion an und hemmt – on top – auch noch über eine gesteigerte Insulinausschüttung die Harnsäure-Ausscheidung. Dass die Zahl der Gichtpatienten, auch weltweit eher zu- als abnimmt, ist tatsächlich diesem Faktor zuzuschreiben. Problematisch ist das Monosaccharid Fructose aber nicht als Bestandteil von Obst, sondern von Säften und Softdrinks (durch den zugesetzten „High-fructose corn syrup“).

Der Konsum von Kaffee stellt kein Problem dar.

Richtig: Bis vor einiger Zeit noch mit dem Etikett „wenig empfehlenswert bei Hyperurikämie“ versehen, ist gegen den Genuss von etwa drei Tassen/Tag nichts einzuwenden. Eigentlich sollte man annehmen, dass Koffein als Purin-Alkaloid negativ zur Bilanz beiträgt, aber: Koffein wird nicht zu Harnsäure metabolisiert und weist sogar eine Allopurinol-ähnliche Wirkung auf. Zwischenzeitlich gab es Hinweise, dass Kaffee sogar besonders empfehlenswert sei, aber die Ergebnisse weltweit durchgeführter Studien zeigen derzeit eher eine Plus-Minus-Null-Tendenz.

An den Genuss von Alkohol ist nicht mal zu denken.

Falsch: So generell ist die Aussage falsch. Der Genuss von Bier (wegen der Hefe) und hochprozentigen Getränken erhöht die Wahrscheinlichkeit für einen Gichtanfall definitiv. Hat ein Patient gerade ein solches Ereignis überstanden, dann bleibt er besser für einige Zeit abstinent; hatte er bereits mehrere Gichtattacken, sollte er auf Bier ganz verzichten. Aber gegen den moderaten Genuss von Wein ist ernährungsphysiologisch nichts einzuwenden.

Anti-Gichtische* Superfoods:

*gichtisch ist wirklich das Adjektiv zu Gicht

Wasser: So einfach und doch so effektiv: 2 Liter am Tag, im akuten Gichtstadium sogar 3 Liter (wenn nicht andere Faktoren aus medizinischer Sicht dagegensprechen) sind eine Menge – aber so wird die Harnsäureausscheidung intensiviert. Der Tipp mit dem Wasser kann tatsächlich schon ein „Gamechanger“ sein.

Paprika: Die rote (!) Paprika schafft es in diese Auswahl, weil sie mit 140 mg/100 g den höchsten Vitamin C-Gehalt aller Gemüse aufweist. Allerdings müssten jeden Tag 350 g Paprika verzehrt werden, um auf die empfohlene Dosis von (mindestens) 500 mg Vitamin C/Tag zu kommen. In dieser Dosis , die eigentlich nur als Nahrungsergänzungsmittel praktikabel ist, wird der Harnsäurespiegel vor allem durch eine erhöhte Ausscheidungsleistung der Nieren um etwa 20 % gesenkt.

Sauerkirschen: Bereits 10 bis 15 Kirschen pro Tag, oder auch 30 ml Sauerkirsch-Extrakt, bewirken eine um 75 % erhöhte Harnsäureausscheidung und einen um 15 % reduzierten Harnsäurespiegel. Außerdem garantieren die enthaltenen Anthocyane antientzündliche und antioxidative Effekte. Ganz besonders profitieren diejenigen Patienten von der Kirsch-Wirkung, die Allopurinol einnehmen: Bei kombinierter Einnahme lässt sich das Risiko eines Gichtanfalls um 75 % senken.

Magermilchprodukte: Milch- und Milchprodukte sind an sich schon Purin-arm und stellen somit eine geeignete Proteinquelle für Patienten mit erhöhten Harnsäurewerten dar. Und nachdem sie auch noch die renale Harnsäureausscheidung befördern, sind sie ideale Nahrungsmittel für diese Patientengruppe – allerdings sollen die Joghurts idealerweise naturbelassen sein, da man bei Fruchtjoghurts wieder in die Fructose-Falle tappen könnte.

Extrahiert:
  • Bei einem Wert von über 9 mg/dl Harnsäure im Serum ist von einem akuten Gichtanfall innerhalb des kommenden Jahres zu rechnen. Eine Ernährung mit vielen pflanzlichen Anteilen ist nach wie vor erstrebenswert, trotz hoher Purinanteile in manchen Gemüsen.
  • Alkoholkonsum ist problematisch. Aber wenn schon Alkohol, dann lieber Wein als Bier. In moderaten Mengen.
  • Fructose verstärkt das Gicht-Risiko. Dabei ist weniger Obst problematisch als künstlich zugesetzte Fructose in Fruchtsäften und Softdrinks.