Das war's mit Weitblick - Willkommen im Zeitalter der Kurzsichtigkeit
Kurzsichtigkeit nimmt zu. Eigentlich nicht allzu schlimm, denn: Wozu gibt´s Brillen? Aber fragen wir einmal, woran das liegt, welche Folgen uns drohen und was wir dagegen tun können. Hier die Antworten.
Lange war ein „Nasenfahrrad“ allzu einladend für Hänseleien. Wer eine Brille trug, ist gern als „Blindschleiche“ oder „Vierauge“ beschimpft worden. Blickt man heute um sich, tragen viele Nasen inzwischen ein Brillengestell, im Laufe des letzten Jahrzehnts ist die Brille zu einem kultigen Accessoire geworden. Wer keine benötigt, der kauft sich ein Gestell mit Fenstergläsern. 2019 gab es 41,1 Mio. Erwachsene, die eine Brille trugen.
Der Trend zum Brille tragen ist jedoch nicht nur modischen Ursprungs. Ophthalmologen sprechen von einer globalen Epidemie, der Myopie. Bis 2050 soll die Verbreitung von Kurzsichtigkeit bei voraussichtlich 50 Prozent liegen. Wir verbringen unsere Freizeit an Bildschirmen von Smartphones und Computern, die Arbeitszeit findet häufig an Monitoren statt und wenn wir lernen, ist der Blick ebenfalls auf Kurzdistanz eingestellt. Während der Covid-19-Pandemie, durch die veränderten Arbeits-, Freizeit- und Bildungsumstände, ist die Zahl der Brillenträger um einiges gestiegen. Caroline Klaver, Augenärztin in Rotterdam, nennt dieses Phänomen „Quarantäne-Myopie“. Der sonst so gepriesene Digitalisierungsfortschritt zeigt jetzt schon in großem Maße gesundheitliche Veränderungen der Gesellschaft. Myopie ist keine Krankheit, jedoch Risikofaktor für spätere Erkrankungen, seien es Grauer Star, Grüner Star, Makuladegeneration oder Netzhautablösung.
Firmen springen auf diese Problematik – pardon: den Trend – auf. Es gibt innovative, modische, praktische Brillen. Laut einer Befragung des Online-Brillenhandels Edel Optics 2021 gilt eine Brille größtenteils als „modern“, „schick“ und „schlau“. Neben der klassischen Brille entwickeln Unternehmen smarte Brillengläser, die sich an die körperlichen Gegebenheiten der Träger individuell, oder automatisch an verschiedene Entfernungen anpassen.
Atropin Augentropfen für Kinder. Eine sinnvolle Prävention?
Wie kann sich die Apotheke in der Thematik positionieren? Gibt es im Bereich der Myopie überhaupt einen Versorgungsauftrag, den Apotheken erfüllen müssten? Das Phänomen der sich verbreitenden Kurzsichtigkeit wird schon seit längerem beobachtet. Gleichzeitig wird nach Lösungen gesucht. Die Behandlung mit Atropin Augentropfen ist eine bewährte Methode. Atropin, das Gift der Tollkirsche, bremst eine fortschreitende Kurzsichtigkeit aus. „Kurzsichtigkeit entwickelt sich bei Kindern, wenn der Augapfel übermäßig stark wächst. Atropin bremst dieses Wachstum“, erklärt Prof. Dr. Wolf Lagrèze, Leitender Arzt an der Klinik für Augenheilkunde des Universitätsklinikums Freiburg. In der Apotheke werden diese Augentropfen als Rezeptur hergestellt und bieten schon jetzt eine mögliche wirksame Lösung für Schulkinder.
Der positive Effekt des Alkaloids ist lange bekannt. Seit 1874 wird über den Einsatz von Belladonna gegen Kurzsichtigkeit berichtet. In China reduzierte laut einer Studie von 2020 eine niedrige Atropin-Gabe in Form von Augentropfen die Kurzsichtigkeit bei den untersuchten Kindern um 34,2%. Für durchgängige und allgemeine Empfehlungen mangelt es aber an Daten zu Langzeitwirkung und möglichem Rebound-Effekt. In Deutschland allerdings werden Atropin Augentropfen schon Off-Label zur Myopie-Bekämpfung eingesetzt.
Draußen spielen verringert das Risiko
Myopie-Management wird zwar ausschließlich von Optikern und Fachärzten betrieben, jedoch sind einige vorbeugende bzw. therapiebegleitende Maßnahmen in der Apotheke denkbar. Neben der Beratung zu Atropin-Augentropfen sollte zu positiven Effekten, wie einem Wechsel zwischen digitalem Lernen und analogem Sehen beraten werden. Bewegung und ein umherschweifender Blick sind erste Methoden, die in den Alltag integriert werden können. „Wenn Kinder zwei Stunden am Tag draußen sind, halbieren sie ihr Kurzsichtigkeitsrisiko im Vergleich zu denen, die das nicht machen“, so Lagrèze. Ein einfacher Rat, der vielen Eltern im Beratungsgespräch mitgegeben werden könnte. Als Anlaufstelle für allgemeine Fragen zur Gesundheit sollte die Apotheke auch Fragen zu Augenkrankheiten beantworten und Hilfestellung leisten können. Wegen der drastisch steigenden Anzahl an Kurzsichtigkeit wird es in Zukunft immer wichtiger, die Patienten aufzuklären, wie sie eine Sehschwäche vermeiden oder verringern können. Hilfreiche Tipps oder Beratungsleistungen, wie beispielsweise das Myopie-Toolkit der WHO, sollten auch von der Apotheke zu Verfügung gestellt werden.
Wie in so vielen Themen der Gesundheit kann auch hier die Apotheke vor Ort ein Bindeglied werden. Bindeglied zwischen Optikern, Ärzten und anderen Gesundheitsberufen. Dabei gilt es, über Krankheiten unabhängig aufzuklären, Lösungen anzubieten oder eine Therapie zu unterstützen.
Mit entsprechendem Weitblick werden wir am Horizont noch viele Möglichkeiten entdecken, die Zukunft erfolgversprechend zu gestalten.
AMIRA fragt: Gebt ihr manchmal den Rat, Atropin-Augentropfen anzuwenden? Werden diese vom Augenarzt verschrieben und ihr bereitet sie in der Rezeptur zu? Wie steht ihr zum Rat, dass Kinder mehr draußen spielen sollten, statt den ganzen Tag auf den Bildschirm zu schauen?