Reiseübelkeit bei Kindern

Viele Eltern kennen und fürchten auf Reisen den Satz: „Mama, mir ist so schlecht!“ Häufig kommt kurz nach der Ansage gleich die Fontäne von hinten, das Kind muss sich übergeben. Was kann empfohlen werden?

Übelkeit „aus heiterem Himmel“

Die plötzliche Übelkeit ist ein Symptom der Reisekrankheit, auch Kinetose genannt. Sie wird ausgelöst, wenn unser Gehirn plötzlich nicht übereinstimmende Sinneseindrücke wahrnimmt. Beispielsweise nimmt das Gleichgewichtsorgan im Innenohr Bewegung durch das ruckelnde, fahrende Auto wahr, während das Auge Stillstand durch das Lesen eines Buches oder Sitzen meldet. Dieser sensorische Konflikt wird durch den Botenstoff Histamin an das Gehirn weitergeleitet, wo dann schließlich das Brechzentrum aktiviert wird.

Prinzipiell kann jeder betroffen sein, egal ob mit Auto, Schiff oder Flugzeug unterwegs, ob Kind oder Erwachsener. Erste Symptome können Schläfrigkeit, Benommenheit, vermehrter Speichelfluss und eine blasse Gesichtsfarbe sein, auf die dann Schwindel, Kaltschweiß, Übelkeit und schließlich Erbrechen folgen.
Statistisch gesehen leidet jedes zehnte Kind zwischen zwei und zwölf Jahren an Reiseübelkeit, bei Babys tritt sie seltener auf, da deren Gleichgewichtssystem noch nicht vollständig entwickelt ist.

Wie kann man (sich) helfen?

Um die Reiseübelkeit zu verhindern, kann es helfen, die Bewegungsreize so gering wie möglich zu halten und die optischen Reize anzupassen. Im Auto ist die Wahl des Sitzplatzes entscheidend. Während ein betroffener Erwachsener möglichst selbst das Auto fahren sollte, ist der beste Platz für das Kind die Mitte der Rückbank. So hat es weite Sicht und der Horizont kann fixiert werden. Auch ein sogenannter Reboarder (rückwärtsgerichteter Kindersitz) bietet eine weite Sicht durch die Heckscheibe, die Bilder ziehen langsamer vorbei und können so besser verarbeitet werden. Ein stützendes Nackenkissen kann den Kopf und somit das Gleichgewichtsorgan stabilisieren, wenn es holprig wird.

In einem Flugzeug sollte man Plätze in der Mitte bevorzugen, auf Höhe der Tragflächen ist es am ruhigsten. Gleiches gilt auf einem Schiff. An Bug oder Heck sind die Wellenbewegungen am stärksten spürbar. Dennoch kann es hilfreich sein, sich an Deck aufzuhalten, auf die Wellen zu schauen und den Horizont zu fixieren. So erhält das Gehirn vom Auge und dem Gleichgewichtsorgan die gleichen Informationen. Auf das Anschauen eines Buches, eine Spielekonsole oder Handyspiele sollte verzichtet werden. Besser sollten mit den Kindern Suchspiele, wie „Ich sehe was, was du nicht siehst!“, das Zählen von roten Autos oder Kennzeichensuchen gemacht werden, die dazu animieren in die Ferne zu sehen. Aber auch Musik oder ein spannendes Hörbuch oder Hörspiel kann die Kinder wirkungsvoll ablenken.

Vor und während der Fahrt sollten kleine leichte Mahlzeiten (Müsli, Apfel, Banane, Zwieback, Brezel, Salzstangen, etc.) verzehrt werden. Fettige oder schwerverdauliche Speisen fördern eher die Übelkeit.
Gleiches gilt für zuckerhaltige Getränke mit viel Kohlensäure. Besser verträglich sind stilles Wasser oder ungesüßte Kräutertees mit Pfefferminze oder Ingwer.
Es kann auch hilfreich sein, für „gute Luft“ im Auto zu sorgen. Am besten sollte bei den Pausen gut durchgelüftet werden. Aber auch dezente, naturreine Zitrusdüfte wie Orange, Zitrone, Bergamotte oder Limette (z. B. von Taoasis oder Primavera) können Übelkeit entgegenwirken. Falls möglich sollte nachts gefahren werden, da im Schlaf auch unser Gleichgewichtsorgan ruht und somit keine widersprüchlichen Reize ans Gehirn gemeldet werden.

Empfehlungen bei leichten Beschwerden

Eine weitere Möglichkeit zur Vorbeugung und Linderung der Reiseübelkeit bieten Akupressur-Armbänder. Diese werden an beiden Handgelenken getragen und lindern innerhalb von Minuten die Symptome. An der Innenseite des Handgelenks wird der sogenannte Nei-Kuan-Punkt stimuliert, der die Übelkeit lindert oder sogar ganz verhindert. Die Sea-Band® Armbänder gibt es in verschiedenen Größen, Farben und Designs für Kinder, Erwachsene (normal und XL) und Schwangere. Sie sind waschbar und wiederverwendbar.

(Quelle: istock/matdesign24) Ob als Tee, Kapsel oder kandierte Wurzel – Ingwer kann helfen, den Magen zu beruhigen und Übelkeit auf Reisen zu lindern.

Bekannt ist auch die antiemetische Wirkung des Ingwers. Sowohl Tees, die aus dem getrockneten oder frischen Rhizom zubereitet werden, als auch Lutschpastillen oder Bonbons können sowohl vorbeugend als auch lindernd wirken. Beispielsweise können die zuckerfreien Sea-Band Ingwer Lutschbonbons, die Isla Ingwer Halspastillen von Engelhard, EmEukal Ingwer Shot® oder die Ibons® Ingwer Bonbons können von Kindern angewendet werden, sobald sie sicher lutschen können und sich nicht mehr verschlucken.

Die Zintona® Kapseln können ab dem Alter von sechs Jahren vorbeugend gegen Reisekrankheit gegeben werden. Circa eine halbe Stunde vor Reiseantritt werden zwei Kapseln eingenommen. Die Firma ProphyDent hat das Nahrungsergänzungsmittel Pediakid® Reise im Sortiment, ein Sirup, der Ingwer-, Minze-, Orangen-, Zitronen-, Salbei- und Mariendistelextrakt enthält. Dieser soll auf natürliche Weise Reiseübelkeit reduzieren und kann ab Beikostalter gegeben werden.

Auch die Homöopathie hat einige Mittel im Repertoire, die gegen Reiseübelkeit wirken. Diese könnten bereits Säuglingen verabreicht werden und haben keine Nebenwirkungen. Je nach Arzneimittelbild können Cocculus, Ipecacuanha, Nux vomica, Sepia oder Petroleum eingesetzt werden. Bei akuten Beschwerden sollten niedrige Potenzen gewählt werden. Bereits vor Reiseantritt kann mit der Einnahme begonnen werden. Diese kann halbstündlich bis stündlich erfolgen. Die DHU bietet das homöopathische Arzneimittel Travelin® an, das ab dem Alter von einem Jahr gegeben werden kann. Es enthält Cocculus in der Potenz D6.

Empfehlungen bei starken Beschwerden

Wen alle anderen Maßnahmen keine Wirkung zeigen, können vorbeugend und zur Behandlung Antihistaminika gegeben werden. Wirkstoffe wie Dimenhydrinat oder Diphenhydramin lindern die Übelkeit zuverlässig innerhalb von 30 Minuten. Bessere Wirksamkeit erzielt man durch eine vorbeugende Gabe circa 30 Minuten vor Reiseantritt. Dimenhydrinat steht in Form von Saft (Vomex A® Sirup oder Vomex A® Lösung im Beutel (12,5 mg oder 50 mg) von Klinge Pharma, VomiSaft® von Paedia), Zäpfchen (Vomex A® Kindersuppositorien (40 mg), Suppositorien forte (70 mg), Suppositorien (150 mg) von Klinge Pharma, Vomacur® 40 mg oder 70 mg) oder Tabletten (Vomex A® Dragees  oder Reise, Vomacur® Tabletten von Hexal, Reisetabletten® ratiopharm) zur Verfügung. Die Firma Hermes Arzneimittel bietet ein Produkt in Kaugummiform an. Die Superpep® Reise Kaugummi-Dragees enthalten 20 mg Dimenhydrinat und können ab einem Alter von sechs Jahren gekaut werden. Weiterhin gibt es Tabletten mit dem Wirkstoff Diphenhydramin (z. B. Emesan® Tabletten von Aristo). 

Diese Antihistaminika schützen bis zu sechs Stunden vor auftretender Reiseübelkeit. Wichtig ist, dass das Dosierungsintervall genau eingehalten und die Alters- und Gewichtsangaben berücksichtigt werden.
Bei Überdosierung können schwere, teilweise lebensbedrohliche Nebenwirkungen wie Krampfanfälle auftreten. Die nach Einnahme eines Antihistaminikums auftretende Müdigkeit ist eine normale Nebenwirkung, die aber von vielen Betroffenen auch als angenehm empfunden wird.

Exkurs: Unterschied Dimenhydrinat und Diphenhydramin

Dimenhydrinat ist eine Wirkstoffkombination aus dem sedierenden H1-Antihistaminikum Diphenhydramin und dem Xanthinderivat 8-Chlortheophyllin. Diese Kombination wurde entwickelt, um die antiemetische Wirkung von Diphenhydramin bei gleichzeitig reduzierter Sedierung zu nutzen. Während Diphenhydramin als Monosubstanz stark sedierend wirkt und neben der Behandlung allergischer Reaktionen auch als Schlafmittel eingesetzt wird, soll das stimulierende 8-Chlortheophyllin im Dimenhydrinat die zentraldämpfenden Effekte abmildern. Beide Substanzen wirken antihistaminerg und anticholinerg, wobei Dimenhydrinat vor allem zur Prophylaxe und Therapie von Reiseübelkeit eingesetzt wird. 

Und wenn es doch passiert ...

Die meisten Arzneimittel wirken am besten vorbeugend. Ist den Kindern bereits übel, kann ein Erbrechen manchmal nicht mehr verhindert werden. In diesem Fall gilt es Ruhe zu bewahren und vor allem das Kind zu beruhigen. Daher sollten eventuell Spucktüten (z. B. Sicsac®, Spuckbeutel Hasemed oder Purahelp Spuckbeutel), Feuchttücher, Mülltüten und Wechselkleidung für das Kind möglichst in greifbarer Nähe sein. 
Damit können die Spuren beseitigt werden, sodass der Spuk schnell vergessen ist.