Asoziale Drängler in freier Wildbahn

Nervige Kunden gibt es nicht nur in der Apotheke, wie unsere Apothekenspitzel:in feststellen musste. Lest selbst…

In unserer Apotheke stehen zuweilen Leute vor dem HV-Tisch, mit denen ich im echten Leben nie und nimmer Kontakt haben wollte: Unfreundlich, fordernd, laut und schnell auf 180. Das kennt ihr wahrscheinlich alle. Zum Glück bin ich Profi genug, um mit solchen Charakteren fertig zu werden. Ich versuche dann meist, ruhig bleiben, meinen Standpunkt klar zu vertreten und nie, wirklich niemals unhöflich zu werden. Denn erstens handelt es sich bei der Person um einen Kunden, und zweitens kann ihr Verhalten womöglich auch in Sorge um die eigene Gesundheit oder die von Angehörigen begründet sein. Das lässt Leute schon mal dünnhäutig werden. Außerdem hilft mir beim Beilegen aufkommenden Unmuts auch eine Art natürlicher Autorität gegenüber dem/der betreffenden Kund:in (ja, tatsächlich sind auch Frauen ganz schön gereizt und explosiv…). Ob die jetzt von meinem Kittel herrührt oder von einem spürbaren Kompetenzgefälle, das durch vorherige, eingehende Beratung aufgebaut wurde, ist mir letztlich egal. Es wirkt jedenfalls…

Etwas irritiert war ich deshalb, als ich neulich nach dem Dienst noch im Supermarkt einkaufen war. Warum ich was aus dem Supermarkt zum Besten gebe? Na, weil ich eben nicht vollständig zur PTA berufen bin, sondern auch noch ein Leben nebenherführe. Ich sag nicht, welches Geschäft ich da beehrt habe, nur, dass das Logo von dem Farben Gelb und Blau dominiert wird. Was war geschehen? Nun, ich hatte gerade meinen Einkaufskorb mit den benötigten Lebensmitteln (und ein oder zwei Leckereien) gefüllt und setzte mich in Richtung Kassen in Bewegung. Davon gibt‘s in dem Markt genau vier Stück, aber weil es schon relativ spät war, etwa halb acht abends, war nur eine geöffnet. `Oooch Manno´, denke ich, ‘das kann ja dauern. In der Schlange vor mir waren noch fünf oder sechs Kunden – alle mit schön gefüllten Körben – und hinter mir staute sich die Reihe ebenfalls auf. Nach ein, vielleicht zwei Minuten fiel das auch der Kassiererin auf, deshalb drückte sie den Knopf der Sprechanlage, aus der heraus es „Bitte eine weitere Kasse besetzen!“ in den Laden tönte.

Vier Tiefkühlpizzen – das hätte mich warnen sollen

Nach flotten 20 Sekunden kam die herbeigebetene Kollegin herbei und ließ durch eilenden Gang erkennen, dass sie sich an Kasse 1 niederlassen wollte, ganz links. Die drei Leute vor mir hatten ihre Einkäufe bereits auf das Band gelegt, schön getrennt durch diese länglichen, dreiecksförmigen Trennkörper (weiß eigentlich jemand, wie die Dinger wirklich heißen?). Ich dachte also, `nun ja, ich habe da noch nichts liegen und kann noch wechseln, also gehe ich jetzt zu Kasse 1 und stapele dort meine Waren auf das Band´. Pustekuchen! Kaum hatte ich mich in Bewegung gesetzt, stürmt eine Kundin aus der Reihe hinter mir mit durchaus körperlichem Einsatz vorbei und knallt der Kassiererin vier Tiefkühlpizzen hin. Die Auswahl hätte mich warnen sollen…

„Ähh, Entschuldigung bitte! Ich denke, dass sie mich vorlassen sollten, denn an der Kasse nebenan stand ich deutlich vor Ihnen in der Schlange und habe deshalb auch schon länger gewartet…“

Die Frau, Anfang Dreißig vielleicht, unauffällig jugendlich mit Jeans, Sneakern und Hoodie gekleidet und das dunkelblonde Haar zum Pferdeschwanz gebunden: „Was wollen Sie denn? Mir komisch kommen? Bewegen Sie sich doch ein bisschen schneller, dann wären Sie jetzt vor mir…“

Kennt ihr dieses schöne, beinah kribbelnde Gefühl gerechter Empörung, die Hitzewallung, die mit starker Rötung von Wangen und Nasenwurzel einhergeht, das plötzlich vernehmbare Pochen des Blutflusses im Innenohr, die leicht ins Zittern gleitenden Muskelkontraktionen sowie das schnappende Atemholen, das eher einem Verschlucken ähnelt?

„Hören Sie, ich bin nicht im Leichtathletikstadion und trete hier nicht im Sprint an“, entgegnete ich, zugegebenermaßen leicht gepresst. „Sie drängeln sich einfach vor, obwohl Sie sehen können, dass andere länger warten als Sie. Finden Sie das nicht auch ziemlich unsozial?“

Ich muss sagen, die Antwort war lebensnah und lakonisch, sie atmete einen Hauch dreister Drängler-Erfahrung: „Stell dich nicht so an…!“

Kurz darüber grübelnd, ob ich zusätzlich zum Vordrängeln dem Blutdruck ein bisschen Zucker geben und noch das Abgleiten ins „Du“ thematisieren sollte, entgegnete ich schließlich nur: „Lassen wir‘s einfach. Zahlen Sie und dann geht‘s weiter…“ Das tat sie. Die Kassiererin schaute betreten. Ich war sauer. Aber immerhin legte sich meine Aufregung wieder.

Sag mir, wo die Erziehung ist, wo ist sie geblieben?

Die Unterhaltung war gut hörbar für alle Umstehenden. Während die Frau die Pizzen vom Band nahm, was ich innerlich mit einem „Wohl bekomm‘s, du…“ abhakte, sah ich mich um: Einige schauten neugierig, ein paar schienen eher verlegen, nach dem Motto „Warum macht die Tante so ein Aufhebens, das passiert doch alle Nase lang“. Die Kassiererin meinte zudem, sich noch wie folgt äußern zu müssen, als ich die Karte fürs Zahlen präsentierte: „Iiiich misch mich da nicht ein…!“

Echt jetzt: Ich habe das Verhalten meiner „Gegnerin“ schon des Öfteren beobachten dürfen, in verschiedenen Läden, von Männern und Frauen, von Menschen fast jeden Alters (die ganz Betagten sind außen vor). Auf das „Kommen Sie auch zu mir“, setzt jedes Mal der Kassenspurt ein. Ich finde es komplett asozial, sich derart vorzudrängeln. Es ist schlicht eine Frage des Benehmens, ob man es macht oder nicht. Leicht einsehbar, einfach zu unterlassen. Kennst mir das Lied „Sag mir wo die Blumen sind“? Ich dichte es mal kurz um: „Sag mir, wo die Erziehung ist, wo ist sie geblieben…?“

Und was die Kassiererin angeht, warum mischt sie sich nicht mit folgenden Worten eben doch ein, und zwar schon im Vorfeld: „Bitte kommen Sie auch zu mir an die Kasse, gern in der Reihenfolge, in der Sie gerade bei meiner Kollegin anstanden!“ Das noch mit einem von Lächeln begleiteten Zwinkern – schon wäre das Problem gelöst, denn garantiert würden sich die Leute in der Schlange an diese höfliche Aufforderung halten. Denn wenn das Gebot erst mal für alle gut hörbar formuliert ist, fällt es viel schwerer, dagegen zu verstoßen. Außerdem hat auch eine Kassiererin eine gewisse Autorität, denn ohne ihre Dienstleistung geht‘s nun mal, jedenfalls in den meisten Märkten, nicht.

Solche Vorfälle sind bei uns in der Apotheke zum Glück rar – aber unsere Offizin ist ja auch nicht „freie Wildbahn“, sondern eher gepflegtes Refugium, trotz der Reibereien, die auch bei uns auftauchen. Und darüber bin ich ganz schön froh…

Ansonsten werde ich meinen Blutdruck mal wieder öfter checken…

AMIRA fragt: Bestimmt hast du das auch schon mal erlebt. Wohl nur selten in der Apotheke, aber ziemlich regelmäßig im Supermarkt. Gibst du der Apothekenspitzel:in Recht, wenn Sie sagt, Vordrängeln beim Öffnen weiterer Kassen gehört sich nicht? Oder war die Spitzel:in hier zu zart besaitet und hätte sich tatsächlich nicht so anstellen sollen?