Lauterbach auf dem Apothekertag: Verständnis nur in homöopathischen Dosen

Zur Eröffnung des Deutschen Apothekertags 2024 in München meldet sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach per Videobotschaft. Wieder einmal, denn das war auch im vergangenen Jahr so. Wir haben zugehört.

Großer Saal, jede Menge weiße Kittel, auf der Bühne eine riesige Leinwand. Die wird man brauchen, denn der Gesundheitsminister hat sich zwar angesagt, aber nur digital. Was vielleicht als Fingerzeig in Sachen Telepharmazie zu deuten ist, und auf die der Minister so große Stücke hält. Er sei durch wichtige Kabinettsberatungen verhindert, sagt er, wäre aber gern selbst gekommen.

Auch ohne persönliches Erscheinen birgt seine Rede Zündstoff

Natürlich geht Lauterbach ausführlich auf die geplanten Gesundheitsreformen sowie die Apothekenreform ein. Was jetzt passiere, dass seien nur erste Überbrückungsmaßnahmen: „In spätestens zwei Jahren soll eine größere Reform kommen, nach der Sie direkt mit den Krankenkassen über die Honorare verhandeln können“, erklärte er.

Lauterbach räumte ein, dass die lange Zeit nicht erhöhte Pauschale zu starren Rahmenbedingungen geführt habe, die eine Weiterentwicklung erschweren. „Ihr Bereich ist derjenige, der sich durch eine nicht verändernde Pauschale quasi selbst gefesselt hat. Das kann sich durch die Reform zu Ihren Gunsten ändern“, so Lauterbach weiter. War das Ironie? Jedenfalls sorgt das im Punlikum für Lacher. Lauterbachs Erwartung: „Die Reform wird dazu führen, dass Sie die Abschlüsse direkt mit den Krankenkassen verhandeln können.“ Wenn die Apothekerschaft dies ausschlüge, warnte der Minister, „dann haben sie eine Gelegenheit verpasst.“

Zentrales Thema seiner Ausführungen war die Digitalisierung im Gesundheitswesen, die er vor allem mit Entwicklungen im medizinisch-ärztlichen Bereich illustrierte. So sehr, dass manche Delegierte tuschelten, ob es dem Minister bewusst sei, dass er hier auf dem Deutschen Apothekertag rede. Lauterbachs Credo: Auch für die Apothekenbereich sei eine große Reform unumgänglich: „Die Digitalisierung wird auch in den Apotheken vieles verändern.“ Zwar verstehe er den Protest, dass es seit Jahren keine Anhebung der Pauschale gegeben habe, aber dies hätte den Apotheken langfristig nicht geholfen, meinte der Minister. Stattdessen plädierte er dafür, die Rolle der Apotheken im Bereich der Impfung und Prävention weiter auszubauen: „Ich habe mich immer dafür eingesetzt, dass Sie impfen dürfen und sollen. Das wollen wir ausbauen.“

Er hob zudem die Bedeutung der Apotheken vor Ort hervor: „Apotheken sind ganz zentrale Erbringer medizinischer Leistungen. All diese Dinge kann der Versandhandel nicht leisten.“ Gleichzeitig gab er zu, dass es Meinungsunterschiede über die Rolle der Telepharmazie gebe, die er dennoch als wichtigen Bestandteil der Gesundheitsversorgung ansieht: „Ich bin der Meinung, dass der Ausbau der Telepharmazie dem Ausbau der Telemedizin in den Praxen entsprechen sollte.“

Lauterbach: „Ich bin gegen die typisch deutsche Reform“

Auf Nachfragen aus dem Plenum erläuterte Lauterbach noch einmal sein Arbeitsprinzip. Ihm komme es darauf an, etwas zu vermeiden, was er die „Deutsche Reform“ nennt. Die sei dadurch gekennzeichnet, dass ein nicht funktionierendes System noch einmal stabilisiert werde, indem „noch einmal Geld reingepumpt wird. Diese Art von Reformen habe ich von vornherein abgelehnt. Ich schließe Reformen, die nur eine höhere Honorierung ergeben, von vornherein aus. Das nimmt nur den Druck weg, zu einer Strukturreform zu kommen.“

Die geplante Strukturreform manifestiert sich in den Plänen zur sogenannten „Apotheke light“: Darin ist die Anwesenheit einer approbierten Kraft nicht mehr vorgesehen, was aber dank Telepharmazie auch nicht mehr nötig sei. Teleberatung, so die feste Ansicht des Ministers, sei weiterhin eine apothekerliche Leistung, nur eben digital erbracht. Nötig sei das, weil nicht anzunehmen sei, „dass wir mit der rund um die Uhr-Präsenz Apotheke gelingen wird, die Zahl der Apotheken gerade im ländlichen Bereich zu führen, wo die dauerhafte Präsenz erforderlich ist. Mir ist lieber, dass ein Apotheker zugeschaltet wird, bevor dort kein Apotheker mehr vor Ort ist“, sagte Lauterbach den Delegierten.

Delegierte widersprechen heftig

Das blieb in der anschließenden Fragerunde nicht unwidersprochen. Der einhellige Vorwurf der Fragesteller: Das werde die Qualität der pharmazeutischen Versorgung deutlich verschlechtern. Zur Ankündigung, es sei eine große Digitalisierungsoffensive für die Apotheken nötig, bemerkte eine Apothekerin aus Berlin: „Ich möchte klarstellen, dass die Vor-Ort-Apotheke schon längst digital ist.“ Die Delegierten applaudierten. Beifall auch für die Wortmeldung einer Delegierten aus Nürnberg: „Im Gegensatz zu Ihren Vermutungen zeigen Untersuchungen, dass 30 Prozent der Apotheken schließen werden, wenn ihre Vorstellungen umgesetzt werden. Wir können schon Telepharmazie, wir möchten dafür die Honorierung von Ihnen haben. Wir beraten bereits jetzt telepharmazeutisch, zum Beispiel in der Beratung für krebskranke Patienten. Fazit: Wir machen das schon alles, honorieren sie uns. Wenn der Patient die Lösung aus der Apotheke bekommt, dann ist das gelebte Pharmazie.“

Abschließend wollte Lauterbach „sich ehrlich machen“. Er sagte: „Sie haben Angst, dass der Beruf entwertet wird, weil sie glauben, dass die Beratung durch PTA erfolgt und nicht durch Sie. Aber das können sie selbst steuern. Sie haben Freiheit das so einzusetzen, dass die Qualität erhalten bleibt. Sie müssen das übrigens auch nicht machen, es wird niemand gezwungen, wir wollen ihnen nur die Möglichkeit eröffnen.“

Bayerische Gesundheitsministerin Gerlach fordert mehr Kompromissbereitschaft von Lauterbach

Vor allem auf die wenig einsichtige und kompromisslose Art und Weise, mit der Lauterbach die geplante Apothekenreform verteidigte, ging die Bayerische Staatsministerin für Gesundheit, Judith Gerlach, ein und streichelte damit viele Seelen im Plenum. Kein Wunder, Gerlach gehört der CSU an und ist damit politisch grundsätzlich anders verortet als der SPD-Minister. Sie kritisierte, dass Lauterbach eine Reform analog zu Reformen im ärztlichen und Krankenhausbereich anzustreben: „Lauterbach vergleicht Apotheken mit Kliniken – aber das ist nicht korrekt. Apotheken funktionieren, während wir in den Kliniken dringend eine Strukturreform brauchen“, betonte Gerlach.

Auch sie kritisierte, dass Lauterbach Reformen ohne Einbindung der betroffenen Akteure umsetze, was den Zusammenhalt gefährde: „Er macht den Fehler, dass er Ihnen zu wenig zuhört und sie nicht einbezieht. Lauterbach ist zu apodiktisch: ‚Das ist meine Reform, und wer die nicht mitmacht, der hat eben verloren.‘ Das darf so nicht sein. Das führt dazu, dass Sie mangelnde Wertschätzung empfinden.“ Zum Abschluss ermutigte Gerlach die anwesenden Apothekerinnen und Apotheker, weiterhin selbstbewusst zu bleiben: „Sie sind viel mehr als ein digitaler Avatar. Behalten Sie sich dieses Bewusstsein und setzen Sie sich weiter für die Interessen Ihrer Patienten ein.“

ABDA-Präsidentin Overwiening erwartet mehr Unterstützung und bessere Rahmenbedingungen für Apotheken

Das warme Dankeschön von ABDA-Präsidentin war der Ministerin gewiss: „Frau Ministerin, sie haben uns jetzt allen sehr gutgetan“, sagte sie unter viel Applaus, um dann auch noch kurz die eigene Rolle in der politischen Debatte zu reflektieren: „Wenn es mir nicht mehr gelingt, mit dem Minister in ein vertrauensvolles Gespräch zu kommen – Ihnen würde ich es zutrauen.  Wir brauchen Menschen, die uns etwas Beton ins Kreuz kippen, denn wir müssen viel tragen zurzeit. Deshalb vielen Dank für diesen Beton.“ Anschließend rechnete Overwiening noch einmal mit den Vorhaben von Bundesgesundheitsminister Lauterbach ab. Ihr zentraler Appell lautete: „Statt weniger, brauchen wir mehr Apotheke – Gesundheit braucht mehr Apothekerinnen und Apotheker.“ Mit dem Slogan „Mehr Apotheke wagen“ betonte Overwiening, dass Apotheken eine zentrale Rolle im Gesundheitssystem spielen und gestärkt werden müssen.

Sie kritisierte die Bundesregierung scharf dafür, dass bisher nichts unternommen wurde, um die Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten sicherzustellen. Probleme wie das Skonto-Urteil und die anhaltenden Lieferengpässe würden die Lage für Apotheken weiter verschärfen, ohne dass seitens der Politik eine Lösung in Sicht sei. „Was hat die Regierung unternommen? Nichts“, sagte Overwiening deutlich. Sie warf Lauterbach vor, ein System „auszutrocknen, das funktioniert“, und damit die medizinische Versorgung zu gefährden.

Und selbstverständlich arbeitete sich auch Overwiening an der „Apotheke ohne Apotheker“ ab. Das sei eine „schräge Idee ausschließlich des Bundesgesundheitsministeriums und ein Angriff auf das Herzstück unseres Berufes.“ Denn die geplanten Reformen würden die Abwanderung aus dem Beruf verstärken und die Zahl der Pharmaziestudierenden verringern. Und wenn der Apotheker künftig lediglich eine Überwachungsfunktion übernehme und nur noch ein- oder zwei Mal pro Woche in die Apotheke komme, habe das ernste Folgen. „Das wird die Versorgungsqualität senken und das Vertrauen der Bevölkerung in unser Gesundheitssystem weiter untergraben“, so Overwiening.

Weiterhin kritisierte sie die mangelnde Dialogbereitschaft von Lauterbach: „Der Minister spürt den Widerstand, aber es dringt nicht zu ihm durch, wo das Problem liegt. Oder es wird ignoriert.“ Sie warnte davor, dass das geplante Reformgesetz den Eindruck erwecke, „den Markt öffnen zu wollen, um unsere Leistungen und Kompetenzen anderen Playern zugänglich zu machen.“ Etwa ausländischen Versendern, wofür Overwiening deutliche Anzeichen sieht. Auch der Vorschlag, dass pharmazeutisch-technische Assistenten (PTA) künftig selbst entscheiden könnten, ob eine telepharmazeutische Beratung notwendig sei, sei ein Abbau der Versorgungsqualität, kein Fortschritt in der Digitalisierung. „Wenn alles kaputt ist“ sagte sie, „werden von der Politik Alternativmodelle ins Spiel gebracht. Das wäre das Ende der heilberuflich geführten Apotheken."

Overwiening: Apothekerschaft darf sich nicht spalten lassen

Overwiening wies zudem darauf hin, dass die Reformpläne nicht die Interessen der Patienten berücksichtigten. „Menschen, die zu uns kommen, sind keine Nummern und sie zählen auf uns. Genau deshalb werden wir nicht zulassen, dass das ApoRG in dieser Form durchkommt.“ Die ABDA-Präsidentin rief dazu auf, den Zusammenhalt der Apothekerinnen und Apotheker zu bewahren und sich nicht durch die „Strategie des Säens von Misstrauen“ spalten zu lassen: „Zwischen uns Apotheker passt kein Blatt, wir haben gemeinsame Ziele, wir gestalten gemeinsam und wir siegen gemeinsam.“

Ihr Appell an die Politik: Die Apotheken bräuchten bessere Rahmenbedingungen und eine angemessene Honorierung, um ihre Aufgaben weiterhin erfüllen zu können. „Statt an der Strukturreform herumzureiten, muss das eigentliche Problem gelöst werden: die unzureichende Honorierung.“ Sie forderte die Politik auf, die wohnortnahe Versorgung zu sichern und das Vertrauen der Bevölkerung in Apotheken nicht zu untergraben. „Nur so kann ‚Mehr Apotheke wagen‘ Realität werden.“

Das alles in Kurzform: Die Gegensätze sind enorm, die Konfliktlinien klar gezeichnet. Dass Lauterbach auf seine Kritiker und die Forderungen der Apothekerschaft zugeht, scheint unwahrscheinlich. Es scheint, als wolle der Minister seine Reform im höchsten Reinheitsgrad exekutieren, auch auf Kosten eines ganzen Berufsstandes. Ob die Bevölkerung von diesem Ansinnen profitiert, ist zweifelhaft. Die Apotheken tun es gewiss nicht.