Mehr Mut zum „Nein“ – So setzt du bewusst Grenzen

Wer kennt es nicht: Bei Aussagen wie „Könntest du mal eben…?“ oder „Es wäre toll, wenn du…“ fällt es uns schwer, Nein zu sagen – selbst, wenn es uns überhaupt nicht passt. Lerne jetzt, bewusst für deine eigenen Bedürfnisse einzustehen.

Stell dir vor …

Ein kleines Gedankenexperiment vorweg: Stell dir vor, eine Freundin ruft dich am Sonntagabend an und erzählt dir, dass sie mit ihrem Umzug komplett überfordert ist. Sie fragt, ob du ihr morgen helfen kannst, weil noch so viele Kisten zu packen sind, die Wände gestrichen werden müssen und ohne deine Hilfe schaffe sie das bis Mittwoch nicht. Du weißt aber: Montag ist in der Apotheke immer viel zu tun und so kurzfristig frei nehmen klappt jetzt auch nicht mehr. Gleichzeitig macht sich beim Gedanken daran, der Freundin abzusagen, ein schlechtes Gewissen in dir breit, und du hast Angst, dass sie es dir übelnehmen könnte.

Was würdest du tun? Sagst du zu, obwohl du dich damit gar nicht wohlfühlst oder kannst du Nein sagen und für deine eigenen Bedürfnisse einstehen?

Ich wette, die meisten von euch würden in dieser Situation nicht lange zögern und der Freundin zusagen – und es im selben Augenblick noch bereuen. Doch warum fällt es uns so schwer, einfach mal Nein zu sagen? Und wie kannst du lernen, ohne schlechtes Gewissen oder Rechtfertigungen für deine Bedürfnisse einzustehen?

Warum die meisten von uns „Ja“-Sager:innen sind

Kurz gesagt: Das „Nein“-Sagen fällt oft schwer, weil tief verwurzelte Ängste und Glaubenssätze unser Verhalten prägen. So haben beispielsweise viele von uns Angst vor Ablehnung - wir möchten (möglichst von allen) gemocht werden und glauben, dass wir dies nur erreichen können, indem wir die Erwartungen und Wünsche anderer erfüllen. Diese Angst vor Ablehnung ist oft gekoppelt mit dem Wunsch, es allen recht zu machen – sei es im privaten Umfeld oder am Arbeitsplatz. Wir streben nach Anerkennung, Lob und Zugehörigkeit, und glauben, dass ein „Ja“ uns diese Dinge verschafft.

Ein weiterer Grund ist die Angst vor Konflikten. Wir befürchten, dass ein „Nein“ zu Spannungen oder schlimmstenfalls zu Auseinandersetzungen führen könnte, die wir natürlich unbedingt vermeiden wollen. Diese Konfliktscheu kann besonders stark sein, wenn es um Autoritätspersonen oder wichtige Beziehungen geht, wo wir das Gefühl haben, dass beispielsweise unser sozialer Status auf dem Spiel steht. Gerade am Arbeitsplatz könnte die Sorge, als unkooperativ oder wenig teamfähig wahrgenommen zu werden, dazu führen, dass wir widerwillig zustimmen, auch wenn es uns insgeheim schadet.

Hinzu kommt die Angst, eine Gelegenheit oder ein spannendes Event zu verpassen, über das in den nächsten Tagen überall geredet werden wird (zumindest denken wir das). Diese „fear of missing out“ kann uns dazu treiben, mehr zu unternehmen, als wir eigentlich bewältigen können.

Und last but not least steckt hinter all diesen Gründen auch ein weitverbreiteter Glaube, der uns suggeriert, dass unser Wert und unsere Beziehungen davon abhängen, wie oft wir „Ja“ sagen. Viele von uns wurden in Umgebungen sozialisiert, in denen es als normal und angebracht galt, stets verfügbar zu sein und die Wünsche anderer über die eigenen zu stellen. Diese tief verwurzelten Glaubenssätze lassen uns fälschlicherweise annehmen, dass wir nur dann Liebe, Anerkennung und Freundschaft erhalten, wenn wir uns den Bedürfnissen und Erwartungen anderer unterordnen.

Wie du es schaffst, Grenzen zu ziehen und für diese einzustehen

Es ist wichtig zu erkennen, dass ein gesundes „Nein“ in aufrichtigen Beziehungen nichts an der Qualität des Miteinanders ändern sollte. Wenn eine Beziehung oder ein Job nur dann funktioniert, wenn wir ständig nachgeben und unsere eigenen Bedürfnisse vernachlässigen, ist es an der Zeit, diese Verbindungen zu überdenken. Das „Nein“-Sagen ist daher nicht nur ein Akt der Selbstbehauptung, sondern auch ein Weg, sich selbst und die eigenen Grenzen zu respektieren. Nur so können wir authentische Beziehungen führen, in denen wir wirklich wir selbst sein dürfen. Leichter gesagt als getan? Nein! AMIRA hat ein paar Tipps für dich, mit Hilfe derer auch du lernen kannst, öfter Nein zu sagen.

Nimm dir Zeit zum Überlegen: Auch wenn es dir oft so vorkommt - du musst nicht sofort zu- oder absagen. Wenn du dich von jemanden mit einer Bitte überrollt fühlst, atme einmal kurz durch und frage dein Gegenüber nach Bedenkzeit. So wischst du den antrainierten Verhaltens- und Denkmustern einen aus und fällst du keine übereilten Entscheidungen, die du im Nachhinein bereust. Das können schon einfache Sätze sein wie „Ich stehe gerade etwas unter Zeitdruck, bitte gib mir etwas Zeit, um darüber nachzudenken. Ich gebe dir gleich Bescheid.”

Gib eine ehrliche Begründung: Den wahren Grund für die Absage zu kommunizieren ist keine Ausrede. Der Unterschied zwischen Begründung und Rechtfertigung liegt in deiner inneren Haltung. Wenn du dein Nein mit einem Grund untermauerst, den du wirklich vertrittst (à la: „Heute habe ich leider keine freien Kapazitäten mehr“ oder „Ich habe letzte Nacht schlecht geschlafen und brauche Ruhe, um mich zu erholen“), wird es dein Gegenüber leichter akzeptieren können.

Schlage eine Alternative vor: Indem du eine Alternative anbietest, zeigst du deine Hilfsbereitschaft und setzt gleichzeitig klare Grenzen. Es signalisiert der anderen Person, dass du nicht von Vornherein abgeneigt bist, ihr zu helfen und sie fühlt sich trotz der Absage verstanden und wertgeschätzt. Das gelingt zum Beispiel durch Aussagen wie: „Projekt XY beansprucht gerade meine ganze Zeit, aber sobald ich fertig bin, helfe ich dir gerne.“ Oder „Diese Woche bin ich schon total verplant, aber nächste Woche würde es bei mir gut passen.

Verständnis und Wertschätzung zeigen: Wenn du deinem Gegenüber signalisierst, dass du sein/ ihr Anliegen nachvollziehst und gleichzeitig deine Wertschätzung ausdrückst, wird dein Nein besser angenommen. Zeige, dass du die Situation verstehst, aber trotzdem nicht helfen kannst, und bedanke dich für das Vertrauen, das dir entgegengebracht wird. Sätze wie „Ich verstehe dein Anliegen und schätze, dass du dich mir anvertraust, aber ich kann dir gerade leider keine Lösung anbieten.“ zeigen Empathie und Dankbarkeit.

Fazit: Es ist möglich

Auch wenn es anfänglich Überwindung kostet, aber genauso, wie du dir das Ja-Sagen angewöhnt hast, kannst du auch lernen, ehrlich und bewusst Nein zu sagen. Lass dich nicht von anfänglichen Schwierigkeiten entmutigen, es wird sich für dein Wohlbefinden auszahlen! Und denke daran: Höre auf deine persönlichen Grenzen. Auch wenn es uns unsere Sozialisation und die Gesellschaft uns anders eintrichtern: Es ist völlig in Ordnung, nicht rund um die Uhr verfügbar zu sein und es allen recht zu machen. Du brauchst dich für ein Nein nicht zu rechtfertigen - es reicht vollkommen aus, wenn du das Warum kennst.

AMIRA fragt: Wann hast du das letzte Mal bewusst und ehrlich NEIN gesagt?