Mykoplasma – was ist dran am Schreckgespenst?
Vor allem Kinder und Jugendliche erkranken aktuell an einer sogenannten atypischen Lungenentzündung, die durch Mykoplasmen verursacht wird. Sind diese Keime eher harmlos oder doch gefährlich? Wir haben recherchiert.
Mykoplasma – klein und heimtückisch
Mykoplasmen sind die kleinsten (150 bis 350 nm) Bakterien, die sich selbst vermehren können. Sie gehören zur Gruppe der Mollicutes, sind gramnegativ und leben fakultativ anaerob. Aber eine Eigenschaft unterscheidet sie deutlich von anderen Bakterien: Sie besitzen keine Zellwand, weswegen Antibiotika, die Zellwände angreifen, wirkungslos sind.
Es gibt verschiedene Arten, die auf den Schleimhäuten des Menschen leben und zur normalen oralen und urogenitalen Flora gehören. Bei Immunkompetenten gibt es vor allem zwei Arten, die immer wieder Infektionen verursachen: Mykoplasma pneumoniae, das häufig Atemwegserkrankungen und (aktuell viele) atypische Pneumonien und – allerdings seltener – auch Otitis media und Pleuritis verursacht. Weiterhin gibt es Mykoplasma hominis und genitalis, das mit zahlreichen urogenitalen Erkrankungen sowie neonatalen Infektionen in Verbindung gebracht wird.
Ansteckung und Häufigkeit
Üblicherweise werden die Mykoplasmen durch Tröpfcheninfektion übertragen und der Mensch ist das alleinige Erregerreservoir. Durch die fehlende Zellwand und die kleine Größe können sie sich leicht verformen, viele handelsübliche Bakterienfilter durchwandern und sich mühelos in Räumen ausbreiten.
Verlässliche Fallzahlen gibt es für Deutschland nicht, da die Infektionen nur im Bundesland Sachsen meldepflichtig sind. Im europäischen Ausland sowie in Asien sind erhöhte Mykoplasmen-Inzidenzen ebenfalls auffällig.
Laut Robert-Koch-Institut (RKI) ist eine Erkrankungswelle zurzeit jedoch unbestritten. Im Vergleich zur Vor-Coronazeit sind die Infektionen um das zehn bis zwanzigfache angestiegen. Der Landesuntersuchungsanstalt für das Gesundheits- und Veterinärwesen Bayern gab es in diesem Bundesland im Jahr 2023 circa 2.000 Fälle von Mykoplasmen-Infektionen, im Jahr 2024 wurden bis September bereits mehr als 12.000 Fälle gemeldet.
Alle drei bis sechs Jahre kommt es zu größeren Epidemien, da sich die Verteilung der zirkulierenden Untertypen immer wieder verändert. Zugleich wird vermutet, dass die Bevölkerung durch die Hygienemaßnahmen während der Pandemie zu wenig Erregerkontakt hatte und somit die spezifische Immunantwort zu schwach ausfällt. Die Herdenimmunität hat also nachgelassen.
Welche Symptome treten auf?
In der Regel verlaufen die Infektionen mild und schleichend. Es kann zwischen ein und vier Wochen nach Erregerkontakt dauern, bis Symptome auftreten. Betroffene haben Halsschmerzen, Husten, Müdigkeit und leichtes Fieber. Bei Jüngeren können auch Durchfall oder Erbrechen hinzukommen. Innerhalb von drei bis vier Tagen entwickelt sich ein hartnäckiger, festsitzender Husten, der über Wochen bestehen bleiben und durch Muskelverkrampfung auch zu Brustschmerzen führen kann. Bei ungefähr jedem zehnten Kind entwickelt sich ein Hautausschlag mit roten Flecken und kleinen Erhebungen. Kommt eine Mutter (oder ein Vater) wegen des Hustens ihrer/seiner Kinder immer wieder und verlangt nach Medikamenten, solltet ihr deshalb ruhig dazu raten, ärztlichen Rat einzuholen.
Das gilt auch, obwohl die Symptome im Vergleich zu einer typischen Pneumonie (beispielsweise durch Pneumokokken verursacht), die mit hohem Fieber, Atemnot, Schüttelfrost und starkem Husten einhergeht, „eher harmlos“ wirken und Klinikeinweisungen im Kindesalter zum Glück selten sind. Für Ältere oder Immungeschwächte kann die Infektion aber durchaus gefährlich werden, denn sie können, wie bei anderen Infektionen auch, Komplikationen wie Enzephalitis, Myokarditis oder eine Hämolyse entwickeln.
Wie wird die Infektion behandelt?
Viele Mykoplasmeninfektionen müssen gar nicht behandelt werden, da das Immunsystem selbst damit fertig wird. Ähnlich wie bei einer Erkältung wird symptomatisch behandelt. Erweisen sich die Symptome aber als besonders schwer, hartnäckig und langanhaltend, sollte – siehe oben – eine Arztpraxis aufgesucht und gezielt antibiotisch behandelt werden. Da viele Antibiotika, die an der Bakterienzellwand angreifen (z. B. Penicilline und Cephalosporine) bei Mykoplasmen unwirksam sind, ist ein korrekt durchgeführter Rachenabstrich zum Erregernachweis sehr sinnvoll.
Wirksam gegen Mykoplasmen sind beispielsweise Tetrazykline, Makrolide und Chinolone. Allerdings sind nicht alle Wirkstoffe für Säuglinge und Kleinkinder geeignet. So können Clarithromycin oder Erythromycin bereits Säuglingen ab Geburt gegeben werden. Azithromycin hingegen darf erst ab 10 kg Körpergewicht und Roxithromycin ab 40 kg Körpergewicht verabreicht werden. Die Tetrazycline Doxycyclin und Minocyclin dürfen aufgrund irreversibler Zahnverfärbungen frühestens ab 8 Jahren verabreicht werden, und das auch nur, wenn keine anderen Antibiotika verfügbar sind. Die Fluorochinolone Ciprofloxacin, Levofloxacin und Moxifloxacin sind zwar wirksam gegen Mykoplasmen, dennoch gelten sie nicht als Mittel der Wahl. Sie sind bei Kindern unter 18 Jahre in der Wachstumsphase kontraindiziert.
Andauernde Lieferengpässe bei Antibiotika
Was zurzeit oft das größere Problem in den Apotheken ist, ist die Nichtverfügbarkeit mancher Antibiotika. So sind Clarithromycin-haltige Arzneimittel seit Monaten nicht lieferbar. Pulver zur Herstellung von Azithromycin-haltigen Säften sind ebenfalls nur in sehr kleinen Mengen zu bekommen, bei Erythromycin sind nicht alle Stärken und Packungsgrößen erhältlich. Hier gilt es, Dosierungen und Gesamtmengen umzurechnen.
Den Lieferengpässen müssen wir im Sinne unserer Patentinnen und Patienten mit aller Macht entgegenwirken. Hier ist tagtäglich unsere Kompetenz gefragt, um in enger Absprache mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten die bestmögliche Therapie zu ermöglichen.