"Wir Apotheken sind keine Zeitungs-Kioske"

Steigende Energiekosten, Inflation, Kürzung der Vergütung – das neue Jahr ist für Apotheken weiterhin eine ökonomische Herausforderung. Für Zugaben wie Kalender gibt es nicht viel Spielraum. Ein Apothekeninhaber berichtet.

Den Gürtel (noch) enger schnallen, heißt es jetzt in vielen Apotheken. Nicht nur die Kosten steigen, nun sinkt auch noch das Honorar, gesetzlich beschlossen im November 2022. „GKV-Finanzstabilisierungsgesetz“ heißt das Spargesetz, das bei vielen Apothekeninhaber:innen die Laune weiter vermiesen dürfte. Denn für Apotheken bedeutet es, dass sie von Januar bis Dezember 2023 einen erhöhten Herstellerabschlag an die Krankenkassen abführen müssen. Bislang waren es sieben Prozent des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmers (ohne Mehrwertsteuer). Auf ein Jahr befristet erhöht sich dieser Wert auf zwölf Prozent. Und nicht nur das: Von Anfang Februar 2023 bis Ende Januar 2025 erhöht sich der Kassenabschlag auf 2 Euro je verkaufter Rx-Packung, zuvor waren es 1,77 Euro.

Die Apotheken reagieren mit Sparmaßnahmen, die auch die Kundschaft direkt betreffen. So schreibt ein Apotheker: „Es gibt nur noch die Apothekenumschau – ohne Fernsehteil. Auch die Rätselzeitung läuft aus in diesem Jahr. 2023 gibt es auch keine Kalender mehr“. Das sei unter anderem eine „Reaktion auf die Kürzung der Vergütung“, die auch in dieser Form an die Kundschaft kommuniziert werden solle. Fakt ist: Zeitschriften kosten die Apotheken viel Geld. Aus dem Berufsalltag ist bekannt, dass sich die Kundschaft dessen häufig nicht bewusst ist, wie auch eine Studie des Instituts für Handelsforschung (IFH Köln) zeigt. Demnach kosten die Zeitschriften für Apotheken insgesamt mehr als 100 Millionen Euro jährlich. Mehr als die Hälfte der Verbraucherinnen und Verbraucher geht hingegen davon aus, dass Apotheken nichts für die angebotenen Zeitschriften bezahlen oder im Gegenteil für die Auslage sogar noch entlohnt werden.

Worauf manche Apotheken jetzt verzichten

Über die aktuelle Situation der Apotheken haben wir mit Dr. Stefan Hartmann gesprochen. Der 60-Jährige aus Gilching ist ein leidenschaftlicher Vertreter seines Berufsstandes und Erster Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Apothekenkooperationen (BVDAK). Der Apotheker beschäftigt in acht Betrieben (davon drei Apotheken) 70 Mitarbeiter. Auch er hat den Kalender als Zugabe abgeschafft – doch zu welchem Preis?

 

AMIRA: Herr Dr. Hartmann, sie haben drei Apotheken. Wird es bei Ihnen Sparmaßnahmen geben und wenn ja, welche?

Dr. Hartmann: Alles steht auf dem Prüfstand. Die Themen werden mit den Filial- und den Abteilungsleitungen gemeinsam besprochen und einvernehmlich beschlossen. Wir suchen nach weiteren Synergieeffekten. Noch wirtschaftlicherer Einkauf, gepaart mit einem aktiven Preismanagement im Bereich OTC und Freiwahl. Die Lieferfähigkeit wird immer wichtiger. Gleichzeitig investieren wir verstärkt in Führungscoaching und Teambuilding-Maßnahmen. Der Katalog an freiwilligen sozialen Leistungen für die Mitarbeitenden wird weiter ausgebaut. Oftmals bekommt unsere Kundschaft gar nicht mit, in welchen Bereichen wir uns optimieren. „Sparen“ klingt so negativ.

Bieten Sie derzeit Kundenzeitschriften an? Wird es sie auch weiterhin geben?

Ja, wir bieten sie immer noch an. Auch hier befinden wir uns aktuell in der Diskussion.

Und was ist mit dem „K-Wort“? Allseits bei den Kundinnen und Kunden beliebt, wird häufig schon im August danach gefragt. Sie haben die Kalender abgeschafft, ein mutiger Schritt. Wie reagierte Ihre Kundschaft?

Die meisten sind zwar anfangs traurig, da es dieses Kundenbindungstool immer gab. Hier ist die Kommunikation sehr wichtig. Wir haben deshalb immer erklärt, warum wir diesen Weg gehen. Denn ich finde: wir Apotheken sind kein Zeitungskiosk. Wir legen mehr Wert auf Lieferfähigkeit und Beratung. Hier ist die Begründung entscheidend. Wie vermittle ich dem Kunden, dass die Kalender zwar wegfallen, aber er letztendlich was Besseres davon hat? Die Kunden reagieren darauf sehr verständnisvoll. Außerdem sind meine Mitarbeitenden einheitlich gebrieft, sodass die externe Kommunikation reibungslos abläuft.

Sie rücken die Lieferfähigkeit in den Fokus - wie stellen sie die sicher?

Wir arbeiten mit mittlerweile fünf Großhändlern zusammen, dadurch können wir unserer wachsenden Kundschaft oft weiterhelfen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht mag das zwar nicht sinnvoll erscheinen, aber das ist der richtige Weg, wenn man die Patientinnen und Patienten gut versorgen will. Und die Patientenzufriedenheit ist mir wichtiger als die monetäre Honorierung. Am Ende des Tages schätzen die Kundschaft unsere Lieferfähigkeit und damit die schnelle Versorgung, zusätzlich gewinnt die Beratungsqualität für sie immer mehr an Bedeutung. Dies ist auch ein Grund, warum der Versandhandel derzeit in Deutschland zurückgeht.

Sie sind Apotheker in fünfter Generation, haben sicherlich viel von Ihrem Vater und Großvater mitbekommen. Seit wann wurden den Kunden Zugaben mitgegeben? Finden Sie das in Ordnung oder sollten Apotheken darauf verzichten?

Ich bin in der Apotheke meines Vaters groß geworden und Zugaben haben immer eine Rolle gespielt. Im vergangenen Jahr gab es in meinen Apotheken keine Kalender mehr. Das waren die letzten Zugaben, die wir abgeschafft haben. Ich hatte etwas Bammel davor, sage ich ehrlich. Heute bin ich sehr froh. In welchem Einzelhandelsgeschäft gibt es so etwas noch? Wir wollen durch andere Dinge punkten: Beratungsqualität, Serviceorientiertheit, Lieferfähigkeit und viele Dinge mehr. Die Kundin bzw. der Patient entscheiden am Ende des Tages, wie sie sich versorgen und in welches Geschäft sie gehen. Und das ist gut so.

Wie sehen Sie die Zukunft der Apotheken und was wünschen Sie sich von der Politik?

Die Schere geht immer schneller, immer weiter auseinander. Die Konsolidierung nimmt derzeit Fahrt auf. Überleben werden am Ende des Tages nur diejenigen Apotheken, die es mit ihren Teams schaffen, sich in ein postpatriarchales Zeitalter zu transformieren. Die Mitarbeiterführung muss sich in eine Führung von Teams weiterentwickeln. Es werden diejenigen Apotheken überleben, die betriebswirtschaftlich kerngesund sind und damit in die Lage versetzt werden, in pharmazeutische Qualität und Personalführung investieren zu können. Betrachten wir die Gehälter von Quereinsteigern in der Apotheke, so muss das Honorar deutlich angepasst werden, damit wir auch marktgerechte Gehälter zahlen können.

Politik und Krankenkassen sehen Apotheken hauptsächlich als Kostenverursacher, richtig?

Ja. Aber die Lieferkettenprobleme führen uns eindrucksvoll vor Augen, wohin uns die Geiz-ist-Geil-Mentalität geführt hat. Eigentlich müsste im gesamten Gesundheitswesen umgesteuert werden. Ich bin aber lange genug dabei, um sagen zu können, dass sich nichts Grundsätzliches ändern wird. Innerhalb dieser Gemengelage müssen wir unsere Strategie und Entwicklungsprozesse also ständig überarbeiten, nachjustieren und neu ausrichten und mit den Gegebenheiten auch ein Stück weit abfinden. Klimawandel, Krieg und Inflation sind keine Krisen mehr, mit welchen wir es zu tun haben. Wir haben es hier mit Mutationen zu tun. Hier werden nur diejenigen überleben, die sich am besten anpassen können. Krisen sind beispielsweise Personalmangel und Lieferkettenprobleme und diese können wir aktiv durch vielfältige Maßnahmen selbst bewältigen.

Trotz allem haben Sie Freude an Ihrem Beruf. Was gefällt Ihnen daran besonders?

Ich bin dankbar, dass ich jeden Tag zur Apotheke gehen kann, mein Beruf bereitet mir große Freude. Ich kann es überhaupt nicht nachvollziehen, warum man jahrelang einer Arbeit nachgeht, die keinen Spaß macht. Am Apothekerberuf gefällt mir vor allem, dass ich Menschen helfen kann. Heutzutage ist das besonders wichtig. In Zeiten, wo wir viele Anforderungen haben, die wir mit bestmöglicher Qualität meistern, ist ein gut funktionierendes Team Gold wert. Ohne mein Team, also alleine, könnte ich die Herausforderungen nicht im Ansatz meistern.

Vielen Dank für das Interview, lieber Herr Dr. Hartmann!

AMIRA fragt: Wie sieht es in eurer Apotheke aus? Wurden bei euch Sparmaßnahmen angekündigt? Schreib deine Meinung und Erfahrungen in die Kommentare.