Von Top zu Flop: Irrtümer der Pharmaziegeschichte

Die Geschichte von Medizin und Pharmazie ist voll von Irrtümern über Heilmittel und Medikamente, die sich später als unwirksam, schädlich oder sogar tödlich herausstellten. AMIRA hat nachgeschaut, was einst als Renner galt und sich dann als Flop erwies.

Blutegel und Aderlass

Seit dem Altertum bis hinein ins 19. Jahrhundert glaubte man, streng nach der Lehre von Galenus und Dioskurides, dass viele Krankheiten durch ein Ungleichgewicht der Körpersäfte verursacht werden und dass man durch das Ablassen von Blut mittels Aderlass oder das Ansetzen von Blutegeln die Balance wiederherstellen könne. Diese Praxis war nicht nur überragend nutzlos, sondern auch potenziell tödlich, da sie zu Infektionen und Anämie führen konnte. George Washington etwa, erster Präsident der Vereinigten Staaten, soll durch mehrfache Aderlässe gestorben sein. Die heute am häufigsten angewandte Form des Aderlasses ist die Blutspende, die aber nur in den seltensten Fällen therapeutische Zwecke für den Spender erfüllt (Ausnahmen gibt es bei bestimmten Eisenbildungsstörungen).

Der Aderlass galt über Jahrhunderte als Standardtherapie bei einer Vielzahl von Leiden, hatte jedoch häufig üble Folgen. Bild: istock/221A

Quecksilber

Quecksilber wurde lange Zeit als Heilmittel für verschiedenste Beschwerden eingesetzt, vor allem für Syphilis. Die giftige Substanz verursachte jedoch schwere Nebenwirkungen wie Zahnverlust, Nervenschäden und Organversagen. Viele berühmte Persönlichkeiten wie Isaac Newton oder Ludwig II. von Bayern sollen an einer Quecksilbervergiftung gelitten haben.

Arsen

Ein giftiges Halbmetall, das im Mittelalter als Heilmittel für verschiedene Krankheiten wie Malaria oder Syphilis – damals weitverbreitet – verwendet wurde. Es konnte zwar einige Erreger abtöten, aber auch schwere Vergiftungserscheinungen wie Übelkeit, Durchfall, Atemnot und starke Schmerzen hervorrufen. In britischen Krimis und Spielfilmen („Arsen und Spitzenhäubchen“) spielt Arsen eine nicht zu unterschätzende Rolle als dauerhaft wirkendes Beruhigungsmittel.

Die Dosis macht das Gift: Arsen wurde häufig eingesetzt, um unliebsame Zeitgenossen aus dem Weg zu räumen. istock/mrdoomits

Tabak

Die Blätter der Pflanze wurden im 16. Jahrhundert von den europäischen Entdeckern aus Amerika mitgebracht. Zunächst stand nicht der Genuss im Vordergrund, sondern die medizinische Wirkung, denn Tabak galt als Wundermittel gegen Asthma, Kopfschmerzen und sogar Pest. Man rauchte ihn nicht nur, sondern schnupfte ihn auch oder blies ihn in den Darm ein. Erst im 20. Jahrhundert erkannte man die gesundheitsschädlichen Folgen des Tabakkonsums wie Lungenkrebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dass Tabakrauchen als Genusserlebnis tröstlich sein kann, ist keine direkte medizinische Therapie, andererseits für Konsumenten nicht zu unterschätzen.

Laudanum

Laudanum war eine alkoholische Tinktur aus Opium und anderen Kräutern, die im 17. Jahrhundert als Schmerz- und Beruhigungsmittel populär wurde. Es wurde nach unterschiedlichsten Rezepturen hergestellt und frei verkauft. Da es süchtig machte, wurde es oft missbraucht, was wiederum zu zahllosen Überdosierungen führte. Berühmte Schriftsteller wie Edgar Allan Poe oder Charles Dickens waren laudanumsüchtig.

Radium

Das radioaktive Element wurde Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckt und zunächst als Wundermittel für verschiedene Krankheiten angepriesen. Man verkaufte es in Form von Pillen, Salben oder Wasser, die unter anderem gegen Krebs, Impotenz oder Rheuma helfen sollten. Leider rief es die Leiden, gegen die es eingesetzt wurde, erst manifest hervor, denn die abgegebene Strahlung verursachte Schäden an Knochen, Haut und Organen sowie Krebs.

Kokain

Das Stimulans aus dem Cocastrauch wurde im 19. Jahrhundert als Lokalanästhetikum sowie als Tonikum gegen Müdigkeit oder Depression verwendet. Angeblich war es auch Bestandteil vieler Getränke wie Coca-Cola oder Vin Mariani (Wein mit Kokain). Inzwischen steht fest: Die Nachteile überwiegen jeden Vorteil, denn Kokain macht stark abhängig und kann zu Herzproblemen, Psychosen oder Hirnschäden führen. Das stimmt sogar dann, wenn Konsumenten die Dinge anders sehen und darstellen.

Der Coca-Strauch und seine Blätter sehen harmlos aus, entfalten aber fatale Wirkung. istock/Miguel Mamani

Heroin

Ende des 19. Jahrhunderts in den Bayer-Laboren erstmals in größeren Mengen hergestellt, handelt es sich um ein halbsynthetisches Opioid, das als Mittel gegen Husten und Schmerzmittel in Verkehr gebracht wurde. Es sollte eine weniger süchtig machende Alternative zu Morphin sein, erwies sich aber als noch stärker suchterzeugend und gefährlich. Wie alle wissen, ist Heroin heute eine illegale Droge mit hohem Sucht- und Überdosispotenzial. Dennoch dauerte es bis in die 30er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts, bis es gänzlich vom deutschen Markt verschwand.

Thalidomid

Thalidomid war ein Schlaf- und Beruhigungsmittel, das Ende der 1950er-Jahre auf den Markt kam und auch gegen Schwangerschaftsübelkeit eingesetzt wurde. Fataler Weise führte es bei Föten zu schweren Missbildungen an Armen und Beinen – in Deutschland unter dem Namen „Contergan-Skandal“ bekannt. Das Medikament wurde daraufhin vom Markt genommen, sein Wirkstoff wird aber heute noch in manchen Fällen eingesetzt, so etwa bei der Bekämpfung der Lepra.

AMIRA fragt: Kennst du weitere Beispiele? Schreib sie uns in die Kommentare. Wir sind gespannt!