Wochenrückblick: Nobelpreise für Medizin und Chemie, Neandertaler-Gene und Click-Chemie

In der vergangenen Woche wurden die beiden Nobelpreise in Medizin und Chemie verkündet. Die damit ausgezeichneten Forschungsansätze könnten Einfluss auf die Suche nach neuen Therapiemöglichkeiten und Medikamenten haben.

Neandertaler-Gene

Er ist eine absolute Größe seines Fachs – jetzt wurde er mit dem bedeutendsten Preis belohnt, mit dem sich ein Forscher schmücken kann: Svante Pääbo, schwedischer Anthropologe und einer von fünf Direktoren des Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, erhält den Nobelpreis für Medizin des Jahres 2022, der am 10. Dezember in Stockholm verliehen wird. Pääbo und sein in Leipzig forschendes Team konnten unter anderem das Neandertaler-Genom entschlüsseln und damit eine wichtige Pionierleistung auf dem Gebiet der Paläogenetik erbringen. Mit neuen, von ihm entwickelten Methoden konnte Pääbo zeigen, dass der Neandertaler kein direkter Vorfahre des heutigen Menschen ist, aber bis zu fünf Prozent der Neandertaler-Gene in uns (nicht aber in afrikanischen Menschen) fortexistieren, vermutlich, weil Neandertaler und Homo Sapiens vereinzelt gemeinsamen Nachwuchs hatten. Martin Stratmann, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, würdigte Pääbos Arbeit mit den Worten: „Seine Arbeiten haben unser Verständnis der Evolutionsgeschichte der modernen Menschen revolutioniert“. Und wieso sind derartige Erkenntnisse wichtig? Das Gen-Erbe des Neandertalers machen Forscher dafür verantwortlich, dass heutige Menschen einerseits ein relativ starkes Immunsystem besitzen, zum anderen aber für Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems anfällig sind. Dieses Wissen könne mittelfristig zu neuen Therapieansätzen führen, so die Hoffnung.

„Click-Chemie“

Neue Therapiemöglichkeiten erhofft sich das Nobelkomitee auch durch die Arbeit der drei Forscher, die am 10. Dezember den diesjährigen Chemie-Nobelpreis erhalten: Barry Sharpless aus den USA, Morten Meldal aus Dänemark und Carolyn Bertozzi, ebenfalls aus den USA. Sharpless, der den Nobelpreis für Chemie schon einmal 2001 für eine andere Arbeit bekam, und Meldal vereinfachten mit ihren Forschungen die Synthetisierung organischer Moleküle, wie sie zum Beispiel bei der Herstellung neuer Medikamente eine große Rolle spielt. Bis zu Beginn ihrer Forschungen mussten derartige Moleküle unter großem Aufwand in zahllosen Reaktionsschritten und schwierigsten Laborbedingungen gewonnen werden, häufig waren die Ergebnisse verunreinigt oder erbrachten zu wenig Ausbeute. Sharpless setzte diesem Problem die Idee entgegen, eine passgenaue Reaktion zu finden, die die Synthese der Moleküle vereinfacht und beschleunigt. Er fand sie in der heute so genannten „Click-Chemie“, bei der Molekülblöcke schnell und effizient gleichsam „zusammenschnappen“. Unabhängig voneinander entdeckten Sharpless und Meldal das, was das Nobelkomitee „das Kronjuwel der Click-Chemie“ nennt: die durch Kupfer katalysierte Azid-Alkyn Reaktion. Heute ist der Baukasten der auch als „funktionale Chemie“ bekannten Methode um einige Reaktionen reicher, unter anderem um die Verfahren, die Carolyn Bertozzi einbrachte: Sie schaffte es, die Reaktionen so anzupassen, dass das zellschädigende Kupfer außen vor bleiben und Click-Reaktionen in der lebenden Zelle ablaufen konnten. Inzwischen wird daran geforscht, wie Bertozzis Erkenntnisse genutzt werden können, Krebserkrankungen zu diagnostizieren und zu behandeln.

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Laureaten werden also über kurz oder lang in medizinische Verfahren und pharmazeutische Produkte übersetzt. Man nennt das: Fortschritt.

Doppel-Nobelpreis-Gewinner

By the way: Wer aufmerksam gelesen hat, weiß jetzt, dass Barry Sharpless den Nobelpreis zum zweiten Mal erhält. Weil ein wenig Poser-Wissen immer hilft, verraten wir hier, wer Sharpless´ Forscherglück teilen durfte und ebenfalls Doppel-Preisträger war:

John Bardeen (USA), Physik, für die Entwicklung des Transistors (1956) sowie für die Formulierung der Theorie der Supraleitfähigkeit (1972).

Frederick Sanger (GB), Chemie, für die Strukturaufklärung des Insulins (1958) und für die Methode, die Reihenfolge der Nukleinbasen in DNA zu bestimmen (1980).

Linus Pauling, (USA), erhielt 1954 den Chemienobelpreis für seine Forschung zur Natur der chemischen Bindung und 1962 den Friedensnobelpreis, weil er sich gegen Atomwaffentests eingesetzt hatte.

Marie Curie, (Polen/Frankreich), wurde 1903 in Physik für ihre Untersuchungen zur Radioaktivität ausgezeichnet, 1911 erhielt sie den Chemie-Nobelpreis für die Entdeckung der Elemente Radium und Polonium.

Paracetamol: Erhöhtes Risiko in der Schwangerschaft?

Paracetamol in der Schwangerschaft wurde wegen möglicher Schäden für das ungeborene Kind schon in der Vergangenheit untersucht. Nun liegen mit der im September veröffentlichten „First Baby Studie“ neue Erkenntnisse vor, die auf ein erhöhtes Risiko für Schlaf- und Aufmerksamkeitsstörungen von Neugeborenen hindeuten. Die allerdings seien ihrerseits zu hinterfragen, wie Dr. Wolfgang Paulus, Oberarzt und Leiter der Beratungsstelle für Reproduktionstoxikologie der Universität Ulm, nach Veröffentlichung der Studie erklärte. So sei die Art der während der Schwangerschaft eingenommenen Medikamente erst ganz am Ende per Telefoninterview erfragt worden. Auch seien genauere Angaben zur exakten Dosierung und zum Zeitpunkt der Einnahme in den jeweiligen Schwangerschaftswochen nicht erfasst worden. Trotzdem, so Paulus, lägen die Ergebnisse nur minimal über der Signifikanzgrenze. Ein kausaler Zusammenhang zwischen der Einnahme von Paracetamol in der Schwangerschaft und neurologischen Defiziten bei Kindern könne durch diese Studie deshalb nicht als nachgewiesen betrachtet werden.

EU verzichtet auf angepasste Zertifikate

Seit Anfang September sind die Impfungen mit angepassten Covid-19-Impfstoffen gestartet. Bis jetzt sind drei an die Omikron-Variante adaptierte Impfstoffe verfügbar:

• Comirnaty Original/Omicron BA.1

• Comirnaty bivalent Original/Omicron BA.4/5

• Spikevax bivalent Original/Omicron BA.1

Doch frisch Geimpfte, die sich in der Apotheke ein digitales Zertifikat erstellen lassen wollten, gehen bis jetzt leer aus. Aus den Apothekerverbänden kam dazu die Information, dass die technischen Spezifikationen und die Datensätze der Europäischen Union für die Zertifikate fehlten. Am Anfang wurde eine Lösung für Mitte September in Aussicht gestellt und auch Ende September hat der Deutsche Apothekerverband erklärt, dass mit Hochdruck an der Umsetzung der Vorgaben gearbeitet wird. Mittlerweile hat das Bundesgesundheitsministerium allerdings die Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden informiert, dass die Europäische Kommission entschieden hat, vorerst „keine eigenen Value Set Codes“ für die drei oben genannten variantenspezifischen Impfstoffe zu definieren. „Demzufolge werden bis auf Weiteres die bestehenden Codes Comirnaty (EU/1/20/1528) und Spikevax (EU/1/20/1507) für das digitale Impfzertifikat der EU verwendet. Wenn eine Person beispielsweise eine zweite Auffrischimpfung mit dem neuen variantenspezifischen Comirnaty Impfstoff Comirnaty bivalent Original/Omicron BA.4/5 erhalten hat, bekommt diese Person ein digitales Impfzertifikat mit dem bestehenden Code EU/1/20/1528 und der Kodierung 4/4 zur Indikation der erhaltenen Dosis“, heißt es in dem auf den 29. September 2022 datieren Brief des Bundesgesundheitsministeriums.

DAV: Apotheken werden durch Spargesetz überlastet

Weiterhin umstritten ist das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz. Mit einigen seiner Maßnahmen trifft es auch die Apotheken vor Ort, etwa mit der geplanten Heraufsetzung des von den Apotheken geforderten Abschlags für rezeptpflichtige Medikamente von 1,77 Euro auf 2,00 Euro. Diesen Betrag müssen Apotheken den Gesetzlichen Krankenversicherungen als pauschalen Rabatt einräumen. „Im Jahr 2020 hat eine Durchschnittsapotheke 85.000 Euro vor Steuern aus der GKV-Versorgung erwirtschaftet. 2021 waren es noch 79.000 Euro. Schreibt man dieses Ergebnis mit den Kürzungsplänen für das nächste Jahr fort, sinkt der Betrag erneut um mehr als acht Prozent auf 72.500 Euro. Das geht zu weit und nimmt den Betrieben jede Luft zum Atmen“, erklärte dazu der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes (DAV), Thomas Dittrich. Unzeitgemäß seien die Sparforderungen des Gesetzentwurfs auch wegen der steigenden Energiepreise, erwarteter höherer Tarifabschlüsse und der galoppierenden Inflation. „Die Betriebe in dieser Situation mit weiteren Honorarabschlägen belegen zu wollen, ist einfach widersinnig“, so Dittrich vor der Anhörung des Gesundheitsausschusses im Bundestag vergangene Woche.

Habt ihr eine Meinung zum Gesetzentwurf? Stimmt ihr dem DAV-Vorsitzenden gar zu? Wir sind gespannt auf eure Antworten und Vorschläge!

Lauterbach stellt Kassenleistungen für Homöopathie infrage

Nein – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kümmert sich nicht nur um Corona. Jetzt sagte er dem Magazin „Spiegel“, dass er die Finanzierung homöopathischer Behandlungen durch Krankenkassen überprüfen werde. Lauterbach reibt sich vor allem an der mangelnden Wissenschaftlichkeit des Heilverfahrens und sagte dem Spiegel: „Obwohl die Homöopathie vom Ausgabenvolumen nicht bedeutsam ist, hat sie in einer wissenschaftsbasierten Gesundheitspolitik keinen Platz. Deshalb werden wir prüfen, ob die Homöopathie als Satzungsleistung gestrichen werden kann.“ Satzungsleistungen sind Leistungen, die die Kassen auf freiwilliger Basis über die gesetzlich festgeschriebenen Leistungen hinaus übernehmen können. So wird auch die homöopathische Behandlung und Medikation von einigen Kassen getragen, was unter Versicherten nach dem Motto „warum belastet meine Versichertengemeinschaft mich mit Kosten für Therapien, die nicht wirken?“, teilweise für Unmut sorgt. Auch Lauterbach hatte seiner Skepsis gegenüber der Homöopathie und der fehlenden wissenschaftlichen Evidenz schon früher Ausdruck verliehen.

Wie steht ihr zum Thema „Homöopathie“ im Rahmen von Satzungsleistungen? Hat Lauterbach Recht: Sollen die Kassen gezwungen werden, die Kosten für homöopathische Medikamente nicht länger zu übernehmen? Wird das zu Umsatzrückgängen führen? Eure Meinung interessiert uns!

Übrigens: Demnächst wird AMIRA sich mit dem Thema „Homöopathie“ gründlicher auseinandersetzen. Bleibt gespannt!