Virale Atemwegsinfektionen: So empfiehlst du leitliniengerecht
Mit den Empfehlungen für die Selbstmedikation bei unkomplizierten viralen Infektionen der unteren Atemwege zu Beginn der Saison stehen wir vor denselben Fragen wie angesichts unseres Kleiderschrankes: Was geht? Was kommt? Was bleibt?
Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) hatte Ende des vergangenen Jahres die Leitlinie „Halsschmerzen“ und Anfang dieses Jahres die Leitlinie „Akuter und chronischer Husten“ veröffentlicht und damit neue Erkenntnisse für unsere Beratung vermittelt. Bei viralen Infektionen der unteren Atemwege kannst du deiner Kundschaft folgende Empfehlungen für die Selbstmedikation geben.
Therapie bei Halsschmerzen
Bei Halsschmerzen erachtet die Leitlinie eine symptomatische kurzfristige Therapie mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) wie insbesondere Ibuprofen, Naproxen oder Acetylsalicylsäure als sinnvoll. Zusätzlich können Schleimhaut befeuchtende Lutschpastillen zum Einsatz kommen. Paracetamol zur Schmerzlinderung wird ausdrücklich nicht empfohlen.
Der Einsatz von lokalen Antibiotika bzw. Lokalantiseptika (z. B. Neo-Angin (Klosterfrau); Dorithricin Halstabletten (Medice)) wird eher kritisch gesehen. Ein wenig besser kommen Lutschtabletten mit Lokalanästhetika (z. B. Dolo Dobendan (Reckitt Benckiser)), Flurbiprofen-haltige Lutschpastillen (z. B. Dobendan (Reckitt Benckiser)), Ambroxol-haltige Lutschtabletten wie Mucosolvan (A. Nattermann & Cie.) sowie Salbei- oder Lakritz-Bonbons weg. Empfehlenswert sind der Leitlinie nach außerdem Lutschpastillen mit befeuchtender Wirkung wie Isla med (Engelhard) oder Gelo Revoice (G. Pohl-Boskamp), welche die Schleimhäute zudem nachhaltig pflegen.
Erkältungspräparate frühzeitig einnehmen
Virale Infektionen der Atemwege sind oberflächliche Infektionen. Die Viren haften sich an die Schleimhäute an, infiltrieren die Zellen und vermehren sich dort rasant. Der Körper reagiert sofort (etwa vier bis 96 Stunden nach Erstkontakt) durch die Aktivierung des Komplementsystems als Teil des unspezifischen primären Immunsystems.
Zwar geht dieser sehr effektive Abwehrmechanismus für die Patientin bzw. den Patienten mit einer Schleimbildung und einer lokalen Entzündung unangenehm einher – auch in tieferen Schichten des Gewebes. Aber bis eine spezifische adaptive Immunantwort durch Antikörper, T- und B-Zellen aktiviert ist, befindet sich die virale Infektion meistens schon wieder im Abklingen. Frühzeitig eingenommen, verringern antientzündliche Medikamente das Krankheitsgefühl ohne Verlust der immunologischen Funktion.
Pelargonium-Extrakt wirksam bei Atemwegsinfektionen
Der in Umckaloabo (Dr. Willmar Schwabe) enthaltende Pelargonium-Extrakt EPs 7630 unterstützt den Körper bei einer Abwehr der viralen Erreger durch eine Hemmung der Replikation von Influenzaviren und Rhinoviren (sowie SARS-CoV-2). Zudem wird das primäre angeborene Immunsystem aktiviert und Entzündungen in den Atemwegen werden frühzeitig eingedämmt. In 30 klinischen Studien mit mehr als 10.000 Patienten, darunter über 4.000 Kindern zeigte sich, dass sowohl die Schwere als auch die Dauer eines Atemweginfektes signifikant reduziert wurden. Die Relevanz einer Leberschädigung durch Pelargonium-Präparate wurde allerdings noch nicht abschließend festgestellt.
Für alle Fälle: Zink
Sowohl die vorbeugende Einnahme von Zinkpräparaten als vor allem der Einsatz im Infekt-Fall sind ausgesprochen empfehlenswert. Möglichst innerhalb der ersten 24 Stunden nach Symptombeginn können insbesondere Zink-Lutschtabletten wie Curazink Immun plus bei ansonsten gesunden Erwachsenen und Kindern in einer Dosierung von 75 mg die Dauer und Schwere von Erkältungen verringern. In diesem Präparat sind pro Tablette 25 mg Zink enthalten, allerdings in Kombination mit Vitamin C und Selen (Anm.: Derzeit ist kein Zink-Lutschtabletten-Monopräparat erhältlich.)
In allen Studien werden interessanterweise eben Lutschtabletten beschrieben, da sie lokal antiviral und entzündungshemmend wirken sollen. Für eine monatelange Prophylaxe werden Dosierungen von 15 bis 40 mg empfohlen, wobei diese zwar die Infekt-Häufigkeit reduzieren können (um bis zu 35 Prozent), die Auswirkungen auf den Gesamtmetabolismus jedoch nicht absehbar sind.
Ist die Einnahme von hochdosiertem Vitamin C bei den ersten Anzeichen einer Erkältung sinnvoll? Die Wissenschaft sagt nein.
Vitamin C nur für besondere Personengruppen
Prophylaktisch eingenommen, zeigt Vitamin C nur einen sehr geringen Effekt, der eine Dauereinnahme nicht rechtfertigt. Auch die Empfehlung, bei den ersten Anzeichen einer Erkältung hochdosiertes Vitamin C einzunehmen, können Studien nicht bestätigen. Das gilt allerdings nicht für Menschen, die Extremsport betreiben: Ein positiver Effekt zeigte sich in einzelnen Studien an Marathonläufern oder Soldaten, die Winterübungen im Gebirge machten. Hatten sie zwei bis drei Wochen vor Beginn der körperlichen Belastung Vitamin-C-Präparate eingenommen, waren sie nur halb so oft an einer Erkältung erkrankt.
Akuter Husten: Phytopharmaka schlagen Präparate auf chemischer Basis
Die DEGAM spricht den Wirkstoffen Ambroxol und Acetylcystein die Evidenz für eine positive Wirkung ab. Bei der Durchsicht aller vorliegenden Studien schneidet eine Thymian-Efeu-Primel-Kombination am besten ab. Dafür müsste man allerdings zwei Präparate kombinieren, beispielsweise Efeublätter in Prospan (Engelhard) mit Thymiankraut und Primelwurzel in Bronchipret TP (Bionorica) oder Bronchicum (Klosterfrau).
Die Kombination eines Extraktes mit Thymiankraut und Eibischwurzel (Bronchostop sine Hustensaft (Klosterfrau)) erspart möglicherweise die Frage nach der Art des Hustens. Der lehrbuchmäßige Verlauf eines Hustens mit dem trockenen Husten zu Beginn für zwei bis drei Tage, der anschließenden produktiven bis sieben Tage dauernden Phase mit Schleimbildung und Abhusten und der abschließenden, teilweise lange andauernden Reizhustenphase findet häufig so gar nicht statt.
Neue Empfehlung: Hustenstiller mit Levodropizin
Seit Levodropizin aus der Verschreibungspflicht entlassen worden ist, kann Quimbo Sirup (Pädia) in der Selbstmedikation verwendet werden. Das Präparat ist indiziert bei einem Reizhusten für Patient:innen ab einem Alter von zwei Jahren. Positiv einzuschätzen ist, dass er die hustenhemmende Wirkung peripher in den Bronchien vermittelt. Der Wirkstoff ist bereits seit 1987 in der EU zugelassen; die Wirksamkeit wurde in zahlreichen Studien bestätigt. Obwohl die Halbwertszeit nur zwei Stunden beträgt, reduziert die Einnahme vor dem Schlafengehen die Anzahl nächtlichen Erwachens aufgrund von Husten signifikant.
Lieber kein Dextromethorphan als Hustenstiller
Den Einsatz des Antitussivums Dextromethorphan (Silomat DMP (Stada Consumer Healthcare) sieht die DEGAM eher kritisch, weil sie die hustenstillende Eigenschaft als gering einschätzt und auf die Missbrauchs- und Interaktions-Problematik der Substanz hinweist.
Husten: Ätherische Öle können hilfreich sein
Definitiv verbessern ätherische Öle (z. B. in Pinimenthol (Dr.Willmar Schwabe) oder Transpulmin (Meda Pharma) den Schweregrad einer Hustensymptomatik. Auch die Bildung von Nasensekret wird verringert. Allerdings müssen die Patient:innen unerwünschte Wirkungen wie Reizungen der Haut oder Schleimhäute im Auge behalten.
Guter Tipp: Honig bei Husten
Insbesondere bei Studien mit Kindern hat sich gezeigt, dass Honig zur Linderung einer Hustensymptomatik – für Kinder ab einem Jahr – beitragen kann. Auch die Dauer eines bronchialen Infektes kann verkürzt werden. Die Einnahme soll entweder teelöffelweise pur oder verdünnt mit Tee erfolgen.
Extrahiert
• Die neuen Leitlinien der DEGAM „Halsschmerzen“ sowie „Akuter und chronischer Husten“ erfordern eine angepasste Beratung für die Selbstmedikation von unkomplizierten Infektionen der unteren Atemwege.
• Die Empfehlung bei Halsschmerzen lautet nun: NSAR plus medizinische Lutschpastillen, welche die Schleimhaut befeuchten.
• Expektorantien pflanzlichen Ursprungs ist der Vorzug vor chemischen Arzneimitteln zu geben. Ein neuer Hustenstiller präsentiert mit dem Wirkstoff Levodropizin kann ebenfalls in der Selbstmedikation empfohlen werden.
• Zink löst Vitamin C als Nahrungsergänzungsmittel zur Steigerung der Immunantwort ab.