Apotheken nicht abspecken, sondern aufbohren!

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat vor kurzem den Referentenentwurf seines Hauses zur Reform des Apothekenwesens vorgestellt. Das Werk stößt auf einhellige Ablehnung. Auch auf die unserer Apothekenspitzel:in. Sie denkt weit darüber hinaus.

Die Kritik all unserer Branchenvertreter, namentlich der ABDA und aller dort vereinigten Verbände, richtet sich gegen die sogenannte „Apotheke light“. Bekanntermaßen schlägt Lauterbach vor, dass in Gebieten, in denen sich der Betrieb einer Apotheke nicht mehr lohnt, die Verpflichtung entfallen könne, der zufolge jederzeit eine approbierte Kraft, also ein Apotheker oder eine Apothekerin, anwesend sein müsse. Stattdessen reiche eine erfahrene PTA, die im Zweifelsfall per Telepharmazie Rat bei einem Apotheker oder einer Apothekerin einholt.

Unsere Verbände fordern stattdessen mehr Geld, speziell beim Festbetrag, der seit 2013 nicht mehr angehoben wurde. Die nachvollziehbare Begründung: Inflation, höhere Gehälter der Angestellten, steigende Preise im Einkauf, Wegfall der Skonto-Regelung usw. All das führe zu einem flächendeckenden Apothekensterben und damit zu einer immer schlechteren Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten. Und es stimmt, die Apotheken sterben wie die Fliegen, Zahlen erspare ich mir an dieser Stelle, ihr kennt sie.

Übernahme von Aufgaben durch nicht-ärztliche Berufsgruppen

Reicht es zur Verteidigung des Modells „Vor-Ort-Apotheke“ aus, immer nur auf unsere pharmazeutische Kompetenz und Beratungsleistung zu verweisen? Das macht die ABDA sehr ausdauernd und hartnäckig. Und sicher ist das auch richtig, denn unsere Beratung ist einzigartig.

Aber ich habe das Gefühl, das ist zu wenig.

Was also dann? Ein Hinweis kam vor einiger Zeit vom Expertenrat „Gesundheit und Resilienz“, der seine Einschätzung der Lage unseres Gesundheitssystems veröffentlicht hat. Das Gremium riet nämlich dazu, Innovationen nicht nur in Form neuer Medikamente, sondern auch durch strukturelle Veränderungen voranzutreiben, und zwar durch die Übernahme von Aufgaben durch nicht-ärztliche Berufsgruppen.

„Übernahme von Aufgaben durch nicht-ärztliche Berufsgruppen“? Klingeling, dingdong! Wer sollte dazu eigentlich befähigter sein, als die Apotheken? Auch die ABDA weist ja darauf hin, dass wir die pharmazeutischen Dienstleistungen, nämlich Blutdruckmessen und Co., ganz vorzüglich ausführen. Und erst die Impfungen gegen Grippe und Corona.

Neue Aufgaben: Wollen wir einen Schritt weiter gehen?

Die genannten Kompetenzen bzw. Tätigkeiten sind eine Basis, aber da müsste eigentlich noch mehr gehen. Es zeichnet sich ab, dass wir auf einen Ärztemangel und Praxisschließungen zusteuern in diesem Land: Viele Doktoren werden demnächst in den Ruhestand gehen und finden nur schwerlich Nachfolger. Gleichzeitig leben immer mehr Menschen in Deutschland und es gibt immer mehr Alte. Da wird es eng mit der ärztlichen Versorgung, vor allem auf dem Land, um das Lauterbach sich so viel Sorgen macht.

Da frage ich mich, sollten die Apotheken auf dem Land oder in Dorf und Kleinstadt besser nicht abgespeckt, sondern – was das Leistungsspektrum angeht – aufgebohrt werden? Quasi Vollapotheke plus Gesundheitskiosk. Das war ja auch mal so eine Idee von Lauterbach. Dazu ein Beispiel: Fast jede Untersuchung beim Arzt, jedenfalls beim Internisten, fängt mit einer Blutabnahme an. Dann Labor, dann wieder Doktor, der sich auf dem Laptop die Werte ansieht und nach Auffälligkeiten sucht. Warum soll so eine Blutabnahme nicht in der Offizin stattfinden können? Natürlich durch eine Kraft, die in den Umgang mit der Materie sorgsam eingewiesen wurde und die darüber ein Zertifikat erworben hat. Die Probe wird dann ins Labor geschickt, die Ergebnisse kommen in die e-Akte des Patienten, die Arztpraxis hat darauf Zugriff. Oder was ist mit dem EKG? Das Anlegen der Elektroden für ein schlichtes EKG ist ja kein Hexenwerk, es sollte also auch in der Offizin möglich sein, vielleicht durchgeführt von einer angestellten MTA. Kompliziertere Elektrokardiogramme, etwa Belastungs-EKGs, bleiben weiterhin Aufgabe der Arztpraxis.

Auch eine Wundversorgung durch spezialisierte Wundmanagerinnen/Fachberaterinnen wäre doch denkbar. In anderen Ländern ist es selbstverständlich, dass man in der Apotheke beispielsweise akute, kleine Unfälle mit Pflaster und Mullbinde versorgen lassen kann. Interessant wäre auch, wenn in den Apotheken Ernährungsberatung angeboten werden könnte. Apothekerinnen und Apotheker für Ernährungsberatung gibt es zwar schon, allerdings gibt es derzeit keine wirkliche Möglichkeit mit Krankenkassen zu kooperieren. Die richtige Ernährung kann bei vielen Patientengruppen die Lebensqualität verbessern (z. B. chronische Erkrankte, Diabetiker, Säuglinge, Schwangere, Sportlerinnen und Sportler). Hier könnte ich mir vorstellen, dass eine wissenschaftlich fundierte Beratung ärztlich empfohlen wird und die Ernährungsberatung dann zu Lasten der Krankenkasse in der Apotheke stattfindet. Wahrscheinlich braucht man auch hierzu gefühlt wieder fünf weitere Zertifikate.

Gewaltige Widerstände

Schon klar, es gäbe Widerspruch. Von der Ärzteschaft, den Krankenkassen, von Datenschützern. Außerdem wachsen auch MTA nicht auf Bäumen, auch dieser Berufsstand macht sich rar. Und sicherlich müssten zahlreiche Gesetze und Verordnungen geändert werden, was auf den Widerstand von Politikern stoßen wird, die sich als Bewahrer und Beschützer der jeweiligen Gruppen verstehen. Der größte Knatsch entstünde wahrscheinlich in unseren eigenen Reihen. Haben wir nicht schon genug zu tun? Wie wird das vergütet – mäßig, vielleicht sogar saumäßig? Sollten wir stattdessen nicht lieber für eine gerechte Bezahlung unserer pharmazeutischen Kernaufgaben kämpfen? Schließlich kommen die ausführliche Beratung, manche Rezeptur und Medikationsanalyse schon jetzt zu kurz.

Ja. Stimmt. Trotzdem bin ich der Ansicht, dass unsere Verbände mit ihren Gremien über den Vorschlag des Expertenrats „Gesundheit und Resilienz“ nachdenken sollten, wonach Aufgaben durch nicht-ärztliche Berufsgruppen übernommen werden könnten. Wenn sich solche Aufgaben – fair bezahlt und stemmbar – finden lassen, könnte das die Zukunft der Apotheke vor Ort sichern helfen. Ich glaube, das würde mehr Perspektiven eröffnen, als immer nur auf unsere Beratungskompetenz zu verweisen und um die Erhöhung des Festbetrags zu betteln. Im Übrigen hätte ein solcher Aufgaben-Zuwachs noch eine weitere Nebenwirkung: Online-Apotheken würden bei patientennahen Leistungen wie Blutabnahme und Co. ziemlich in die Röhre schauen… Das ist doch auch was.

Was meint ihr? Mit Blick auf die Zukunft lieber weitermachen wie bisher oder neue Betätigungsfelder für die Apotheke vor Ort suchen? Schreibt eure Ansicht in die Kommentare!