Deep-Dive in die Ahnenreihe

Genbasierte Ahnenforschung boomt. Viele Anbieter versprechen Erkenntnisse zu Vorfahren, Herkunft und Erblinien. Aber was erfährt man genau? Unsere Apothekenspitzel:in hat sich mit einer interessierten Kundin ausgetauscht.

Heute kam eine Kundin in die Apotheke, die ich schon seit Jahren kenne – Frau Mölders, eine nette Frau mittleren Alters, auffällig gut angezogen und stets freundlich, oft genug auch ausgesprochen höflich. So fragt sie immer, wenn sie ihre Blutdrucksenker-Kombi abholt, wie es mir geht. Kurz gesagt: Traumkundin, lässt sich gut führen, top-compliant und Geld für die ein oder andere OTC-Packung lässt sie auch noch hier. Wir plaudern gern ein wenig, jedenfalls dann, wenn es keine Schlange gibt. Neulich war das mal wieder der Fall. Und sie hatte etwas Spezielles in petto.

„Sagen Sie, was halten Sie eigentlich von diesen Gentests zur Ahnenforschung?“ fragte sie mit einem leichten Gluckser, nachdem sie ihr Rezept auf den HV-Tisch gelegt hatte. „Ich überlege, so einen Test zu machen. Ich bin zwar spät dran, aber ein bisschen mehr über meine entfernteren Vorfahren würde ich schon gern rausbekommen.“

Ich musste kurz schmunzeln. Das war mal etwas anderes als das übliche Gespräch über Nebenwirkungen oder die richtige Einnahmezeit. Gentests also. Natürlich hatte ich davon gehört, vielleicht sogar ein bisschen zu viel.

Ergebnisse sind eher schwammig

Die Sache funktioniert so: Anbieter wie 23andMe, AncestryDNA oder MyHeritage erhalten einen Abstrich aus dem Mundraum oder eine Speichelprobe und analysieren kleine Variationen in unserem Genom, sogenannte SNPs (Single Nucleotide Polymorphisms), die je nach geografischer Region unterschiedlich häufig auftreten. Der Anbieter vergleicht dann die Daten mit einer riesigen Datenbank anderer Proben und ermittelt, in welchen Regionen der Welt Menschen leben oder lebten, deren DNA ähnlich ist wie die in der Probe.

Sagen wir es deshalb so: Es ist kein Geschichtsbuch, das da aufgeschlagen wird, und erst recht erhält man keinen detaillierten Stammbaum, der womöglich entfernte Verwandtschaften zu gekrönten Häuptern offenbart. Die Ergebnisse sind oft schwammig, besonders, wenn die Datenbank für bestimmte Regionen schwach aufgestellt ist. So ein Test könnte also behaupten, man hätte Wurzeln in Spanien, aber in Wirklichkeit handelt es sich nur um ein paar Gene, die auch in Portugal oder Italien verbreitet sind. Vielleicht auch in Rumänien. Oder auf dem Balkan. Was nützt einem das, außer vielleicht zu erfahren, dass man, noch in der Ursuppe schwimmend, Teil einer Wanderungsbewegung war…

Dafür ist die Reise in die eigene genetische Vergangenheit erschwinglicher als gedacht. Anbieter wie 23andMe verlangen für ihre Grundpakete etwa 99 bis 200 Euro, abhängig davon, ob der Kunde nur die Abstammung oder gleich auch gesundheitliche Risiken erfahren will. Ja, richtig gelesen, sie können sogar verraten, wie groß die Chance ist, an Alzheimer zu erkranken. Schönes Thema für den nächsten Familientreff!

Wikinger-Fürst, Prinzessin, Entdecker: Was hätten’s denn gern?

Tja, die ganz großen Erwartungen von Frau Mölders waren nach meinen Erläuterungen hinfällig, an ihrem Gesicht konnte ich das ganz gut erkennen. Ich kann den Reiz verstehen, wirklich. Wer möchte nicht mal kurz den eigenen Stammbaum durchblättern und irgendwo auf der hinteren Seite einen Wikinger-Fürsten oder einen glorreichen Entdecker finden? Oder doch lieber eine Prinzessin? Aber abgesehen davon, dass Verfahren und Ergebnisse das oft nicht hergeben, frage ich mich: Ist das wirklich nötig? „Frau Mölders, was machen Sie eigentlich, wenn da plötzlich ganz andere Informationen herauskommen? Und wissen Sie, was mit Ihren Daten passiert?“

Was, wenn plötzlich herauskommt, dass die eigene Familiengeschichte nicht so geradlinig ist wie gedacht. Oder einer der Vorfahren mit Attila, dem Hunnenkönig, nach Europa kam? Die waren ja nicht zimperlich seinerzeit. Ob der Ururururur-Opa immer nobel war? Oder noch hässlicher: Was, wenn die Anbieter solcher DNA-Tests unsere genetischen Daten für irgendwas verwenden, was man sich nie vorgestellt hatte? Schließlich könnten Versicherungen, Arbeitgeber, der Staat… – doch, die könnten schon ein Interesse an diesen Daten haben.

Denn was man den Firmen gibt, sind nicht nur ein harmloses Spuckpröbchen – es ist unser Genom, unsere Bauanleitung! Und die lädt man quasi ins Internet hoch. Die Anbieter speichern und analysieren das Material, und wer weiß, wer künftig darauf zugreifen möchte. Dann heißt es vielleicht: Versicherungstarife steigen, weil die Gene hohe Krankheitskosten im Alter erwarten lassen. Wer weiß, was die sich einfallen lassen? Ja, ja, eigentlich soll alles anonym bleiben. Aber es kommt mir vor, als ob man seine Hausschlüssel dem Nachbarn gibt, der einem verspricht, er werde sie nur für Notfälle nutzen. Und dann fängt er an, die Wohnung zu vermieten, während man im Urlaub ist.

Hape Kerkeling ist schließlich auch adelig

Frau Mölders lächelte ein wenig unsicher. „Ach, Sie haben recht. Ich denke noch mal drüber nach.“
Als sie ging, spürte ich tatsächlich ein paar Gewissensbisse. Hatte ich ihr jetzt eine Herzensangelegenheit madig gemacht, zumindest eine erhebende Vorstellung verbaut? So eine hatte ja auch ein gewisser Hape Kerkeling, der in seinem neuen Buch stolz davon berichtet, wie er durch fleißige Ahnenforschung seine Verwandtschaft mit dem englischen Königshaus entdeckte. Behauptet er. Dass es stimmt, dürfte mehr als fraglich sein, aber auch wenn die Story nur gut geflunkert ist, klingt sie nett.

Ich selbst werde wohl nicht in die Ahnenforschung einsteigen. Was soll groß herauskommen, außer dass ich vielleicht zu 13 Prozent keltisch, 16 Prozent eurasisch, 12 Prozent albanisch und mit dem restlichen Prozentsatz genetisch bunt bin wie ein Straßenköter – sorry für die Wortwahl, liebe Hundebesitzer:innen. Da hilft mir die Erkenntnis, dass ich auf jeden Fall zu 100 Prozent ich selbst bin, viel mehr. Und das ist vielleicht die schönste Entdeckung, die man machen kann.

AMIRA fragt: Wie stehst du zur Ahnenforschung? Warst du auch schon neugierig unterwegs? Oder planst du es? Hältst du all das am Ende für völligen Quatsch? Teile es uns mit und zwitschere in den Kommentaren los!