Die Rezeptur – unser Sorgenkind

Rezepturen sind das pharmazeutische Handwerk, was zu wenig wertgeschätzt wird, findet unsere Apothekenspitzel:in. In der dieswöchigen Kolumne spricht sie sich zudem gegen Rezepturverweigerung aus.

Wenn ich mir Zahlen, Daten, Fakten rund um das Thema Rezepturen anschaue, fühle ich mich wie im Märchenland. Die Rede ist von „individuell“ hergestellten Arzneimitteln, quasi Maßanfertigungen, jährlich werden davon etwa sechs Millionen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abgegeben. Wir helfen damit den Kleinsten unserer Gesellschaft, für die es noch keine zugelassenen Medikamente gibt, aber auch Schwerkranken, die mit den individuellen parenteralen Lösungen beispielsweise im Rahmen einer Tumorerkrankung ihre Lebenszeit verlängern können. Wenn ich das alles so lese, komme ich mir mit unserer Kernkompetenz, dem pharmazeutischen Handwerk, so bedeutend und unersetzbar vor.

Doch ich finde, für unsere Arbeit erhalten wir nicht genug Wertschätzung. Zumindest gibt es noch viel Luft nach oben. Von den Krankenkassen (oder wie manche Kolleg:innen gerne sagen: „kranken Kassen“) erhalten wir regelmäßig ungerechtfertigte Retaxationen, wir haften für Formfehler des Arztes (in welcher Branche gibt es das sonst?!) und und und … Wenn wir uns erinnern, wie wir beim Mangel an Fiebersäften diese in der Rezeptur hergestellt haben – und verlorene Eltern glücklich machen konnten.

Der Dank dafür: Retaxationen

Nach ein paar Monaten durften wir uns dann über den Dank freuen. Viele Kollegen und Kolleginnen berichten von ungerechtfertigten Retaxation. Es ist klar, dass der individuell hergestellte Fiebersaft teurer ist als das industrielle Produkt. Schließlich haben wir ja auch höhere Lohnkosten in der deutschen Apotheke (als beispielsweise im indischen Werk). Aber nun ja, man fragt sich dann: Sind wir nicht gut genug, dass wir dieses Geld erhalten? Ständig muss irgendwas gekürzt werden. Aber in dem Moment waren wir die Tollsten und Besten, weil wir Kindern helfen konnten. Eine Apotheke muss sich trotzdem wirtschaftlich halten können, warum sollten wir unsere pharmazeutischen Leistungen für lau erbringen?

Wenn ich im Internet nach Definitionen suche, hört sich das im ersten Moment sehr freundlich an: „Offiziell werden Rezepturen beanstandet bzw. retaxiert, wenn sie nicht den gesetzlichen und vertraglichen Vorgaben entsprechen. Dies kann verschiedene Gründe haben, wie z.B. formale Fehler bei der Rezeptausstellung, unvollständige oder fehlerhafte Angaben zur Dosierung, fehlende oder falsche Dokumentation der verwendeten Ausgangsstoffe, oder Abweichungen von den vorgeschriebenen Herstellungs- und Prüfverfahren. Auch wirtschaftliche Aspekte, wie die Überschreitung der festgelegten Kostenobergrenzen, können zu einer Retaxation führen.“

So viel zur Theorie. In der Praxis ist es häufig schlicht eine Schikane der Krankenkasse. Da werden Retax-Briefe an Apotheken verschickt, bei denen es um Cent-Beträge geht. Da fragt man sich: Waren die Material-, Personal- und Portokosten nicht deutlich höher als diese 20 Cent? Ich plädiere dafür, den gesunden Menschenverstand verstärkt einzusetzen. Es würde uns allen guttun. Ein Handwerker würde bei solchen Vorgaben gar nicht erst rausfahren …  

Auch die Kunden sind teilweise undankbar

Ich muss sagen, zum größten Teil sind unsere Kundinnen und Kunden froh, wenn wir ihre Rezeptur überhaupt in angemessener Zeit herstellen. Nicht selten höre ich von ihnen, dass es bei manchen Apotheken eine Woche dauern würde. In der Folge probieren es die Betroffenen verständlicherweise in anderen Apotheken. Ich weiß, dass manche Apothekenteams das extra so sagen, damit sie den Kontrahierungszwang dezent umgehen können. Im Gespräch mit Kundinnen und Kunden versuche ich ihnen dennoch den gesundheitspolitischen und wirtschaftlichen Hintergrund zu erklären, denn inzwischen dauern Rezepturen bei uns auch mindestens zwei Tage. Es fehlt einfach das nötige Personal.

Letztens kam ein Kunde mit einem Rezept rein, er brauchte die Rezeptur „dringend“. Meine Kollegin hat dann alles mögliche versucht, ihm das Arzneimittel so schnell wie möglich für den nächsten Tag herzustellen – was natürlich mit mehr Stress verbunden war. Als sie ihn dann anrief, um mitzuteilen, dass die Rezeptur fertig ist, hörte man dann ein nüchternes „Ok, ich komme morgen“ von ihm. Also war sie doch nicht so dringend? Der ganze Stress umsonst?

Rezepturverweigerung ist in dem Zusammenhang auch keine Lösung, sollen dann zum Beispiel Babys ohne Medikation dastehen? Wir brauchen neben Wertschätzung eine bessere Honorierung der Rezeptur. Hier sind der Bundesgesundheitsminister, Gesundheitspolitiker, aber vor allem auch die ABDA gefragt: Wir brauchen ein besseres Marketing unserer Kompetenzen, das alle Schichten der Bevölkerung erreichen muss.