Genug gepupst!
Bekanntlich gibt es ja nichts, was es nicht gibt. Auf so eine Sache bin ich mal wieder gestoßen, als ich eine meiner Exkursionen in die Welt des Grellen und Bunten im Internet unternommen habe: Die Australier haben jetzt eine Pups-App.
Machen wir es kurz, denn die Geschichte hat ein Geschmäckle. Oder sollte man besser sagen: ein Gerüchle? Finde ich angesichts dieser Nachricht eigentlich passender, denn: Die Australier haben eine Pups-App entwickelt. Kein Witz. Dahinter steckt die CSIRO. Das Kürzel steht für Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation. Es ist Australiens führende nationale Forschungseinrichtung, die sich mit einer Vielzahl wissenschaftlicher und industrieller Themen befasst, von Umwelt- und Gesundheitsthemen bis hin zu Technologien und Innovationen. Und jetzt hat sie tatsächlich eine App namens „Chart Your Fart“ – zu Deutsch etwa „Erfasse deinen Furz“ – auf die Smartphones gebracht.
Als erstes musste ich schmunzeln. Australien liegt auf der anderen Seite der Welt und bekanntlich steht dort sowieso alles Kopf. Also genau das richtige Land, um auf eine herrlich absurde Idee zu kommen. Appetitzügelnde Themen haben wir in der Apotheke genug, da kommt ein bisschen Humor ganz recht. Doch dann lese ich weiter. Es geht um Wissenschaft. Um die Erforschung von Flatulenzen. Um die Frage, wie viele Fürze pro Tag eigentlich „normal“ sind. Und ich merke: Doch, die meinen das ernst.
Was ist schon „normal“?
Eine Studie in Down Under hatte ergeben, dass 60 Prozent der Australier übermäßige Blähungen erleben. Bei 43 Prozent sei das sogar regelmäßiger Alltag. Ob es nun eher Nächstenliebe ist, die dem Froscherdrang zugrunde liegt, zum Beispiel das Mitgefühl gegenüber jenen, die ein fremder Darmwind umweht, oder Sorge um die Gesundheit des Pupsers und der Pupserin (hier mal kein Partizip, dessen Vermeidung gibt mir Gelegenheit den putzigen Wortstamm gleich zweimal in einem Satz unterzubringen – macht das Spaß…) selbst – auf jeden Fall sehen sie Grund genug, die Pupse der Nation zu katalogisieren, denn hinter andauernder Flatulenz kann ja auch was anderes stecken als eine Ladung australischer Bohnen... Jedenfalls sollen Nutzer ab 14 Jahren mit der App ihre Darmwinde protokollieren – Häufigkeit, Geruch, Lautstärke, Dauer. Sogar die Verweildauer in der Luft kann erfasst werden.
Als PKA sehe ich tagtäglich Menschen, die mir von Blähungen, Magenproblemen oder Durchfall berichten und – teilweise immer noch verschämt – nach Abhilfe fragen. Auch unsere Fernsehwerbung zeigt, dass es sich offensichtlich nicht um ein einzigartiges, sondern um ein weltweit verbreitetes Phänomen handelt – Darmwinde sind nun mal menschlich, denken wir nur mal an K…. R…darm, das stets zur besten Sendezeit, nämlich vor den 20-Uhr-Nachrichten beworben wird. Bei meiner Kundschaft steige ich bei Schilderung solcher Probleme immer eifrig in die Beratung ein und nach kurzer Zeit verlassen die Geplagten das Haus erwartungsfroh zufrieden. Würden sich unsere Kunden vorstellen können, ihre Pupse in eine App einzutragen? Mit der Präzision eines Tagebuchs? Ich stelle mir vor, wie eine Patientin mit dem Handy in der Hand in die Apotheke kommt und fragt: „Haben Sie was gegen den Geruch bei Kategorie drei?“ Nein, noch nicht.
Da fällt mir ein: Richtig abgehen würde es wohl erst, wenn die Sensorik unserer Smartphones so weit entwickelt wäre, dass es die olfaktorische Güte des Windes ganz von selbst beurteilen könnte. Also, liebe Entwickler, auf geht´s: Spendiert unseren Handys endlich mal ein taugliches Schnüffelorgan!
Goldige Wissenschaft
Auf den ersten Blick erscheint mir die Idee von „Chart your farth“ einfach nur goldig. Pupsen ist nach wie vor und weiten Teils ein Kicher- und Gluckser-taugliches Tabuthema – auch bei uns in der Apotheke. Viele Menschen reden nur verdruckst darüber, und wenn es wirklich nicht mehr anders geht. Und jetzt sollen wir – nein, die Australier – alle über Darmwinde lachen, sie messen, katalogisieren und analysieren? Hey, vielleicht sind die Aussies einfach cooler!
Außerdem frage ich mich: Warum eigentlich nicht? Wissenschaft ist schließlich dazu da, das Unbekannte zu erforschen – und manchmal führt sie uns in sprichwörtlich dunkle Bereiche. Womöglich erfahren wir, dass bestimmte Lebensstile oder Lebensmittel stärker auf die Verdauung schlagen, als andere. Oder dass man Blähungen tatsächlich als Frühwarnsystem für ernsthafte Krankheiten nutzen kann. Ach so, das wissen wir schon alles? Na dann…
Trotzdem gilt: Wissenschaft ist unberechenbar, und „gesettelte“ Erkenntnisse, die gibt´s eigentlich nicht, das vergessen viele Menschen. Wer weiß schon, was wir der neuen App eines Tages zu verdanken haben werden. Aber bestimmt freuen sich die Australier, wenn ihr Pups-Index dank der per App gewonnenen Erkenntisse von „übermässig“ wieder auf „normal und erträglich“ sinkt. Vorausgesetzt, man einigt sich darauf, was „normal“ bedeutet.
Von Down Under nach hier oben
Kommt die die App eigentlich irgendwann nach Deutschland? Ich meine, natürlich nur, wenn Datenschutz und Anonymität bombenfest gesichert sind, vor allem letztere... Jedenfalls denke ich, irgendeine Krankenkasse müsste daran doch Interesse haben, zu erfahren, wie es um das Wetter im unteren Verdauungstrakt bestellt ist. Bis es soweit ist, bleibt mir nur, die Australier zu bewundern. Für ihren Mut, ein so – sagen wir mal – „luftiges“ Thema anzupacken. Übrigens, vor gut hundert Jahren war das Pupsen auch in unseren Gefilden schon mal enttabuisiert. So sehr, dass es sich in die circensischen Künste erheben durfte: In den Pariser und Berliner Varietés traten Kunstpupser auf, sogenannte „Flatulisten“, die aus ihren Darmwinden zum Ergötzen des Publikums allerlei Melodien hervorbrachten. Vielleicht entdeckt der ein oder andere Aussie nach Auswertung seiner App, dass Talent für die Wiederbelebung dieses Metiers auch bei ihm vorhanden ist. Denen rufe ich zu: nur Mut!
Aber egal wie ihr zu „Chart your farth“ steht – ich finde, auf jeden Fall erinnert uns die App daran, dass frischer Wind der Wissenschaft nicht schaden kann.
Ende der Betrachtung.
AMIRA fragt: Wie seht ihr das – ist das Thema immer noch weitgehend tabuisiert? Sprechen eure Kunden frank und frei über entsprechende Probleme? Oder wird immer noch herumgedruckst? Und: Sind sie nun verrückt die Aussies, oder nicht?