Ich bestehe nur aus Chemie

Kunden machen gerne mal den einen oder anderen Witz zu ihrer Medikation. Die Apothekenspitzel:in hat die Aussage eines Kunden zum Anlass genommen, um mal genauer hinzuschauen.

Kürzlich wollte ein freundlicher und äußerst netter Kunde seine Bestellung bei mir abholen, er hatte mehrere Arzneimittel verordnet bekommen, darunter Mittel gegen Herz-Kreislauf- und Fettstoffwechsel-Erkrankungen. „Ach wissen Sie, ich nehme noch viel mehr ein.“ Auf Nachfrage sagte er mir, dass er gut mit all den Präparaten klarkomme und inzwischen eingestellt sei. Es seien keine neuen Arzneimittel dabei, Dosierungen seien bekannt. „Ich bestehe nur aus Chemie“, ergänzte er, da er so viele Medikamente einnehme. „Man kommt nicht drumherum in meinem Alter“, so der ältere Herr.

Ein klassischer Fall von Polymedikation

Wie wir alle wissen: Polymedikation bezeichnet die gleichzeitige Einnahme von fünf oder mehr Medikamenten und ist ein häufiges Phänomen bei älteren Menschen. Diese Patientengruppe ist besonders betroffen, da sie oft an mehreren chronischen Erkrankungen leidet, die eine kontinuierliche medikamentöse Behandlung erfordern. Mit zunehmendem Alter steigt zudem die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen an Krankheiten wie Bluthochdruck, Diabetes, Herzinsuffizienz und Arthritis erkranken. Jede dieser Erkrankungen erfordert spezifische Medikamente, was zur Notwendigkeit von Polymedikation führt. Also genau wie es mein Kunde formuliert hat: „Man kommt nicht drumherum“.

Er machte auf mich einen gelassenen Eindruck und ergänzte: „So lange ich nicht nur liegen und auf den letzten Atemzug warten muss, ist das in Ordnung für mich”. Er kenne da ganz andere Fälle aus dem Bekanntenkreis, wo die Leute mit Medikamenten „vollgestopft“ werden, bettlägerig sind und im Grunde „nichts mehr“ vom Leben haben – um da seine Formulierungen aufzugreifen.

Ja, salopp formuliert schwimmen bei einer Polymedikation viele verschiedene Wirkstoffe gleichzeitig im Blut herum und wechselwirken mit diversen Rezeptoren und Angriffspunkten. Letztendlich sind Wirkstoffe (auch pflanzliche!) Substanzen mit einem chemischen Grundgerüst und er hat nicht Unrecht, wenn er sagt, dass er nur aus Chemie bestehe. Aber bestehen wir im Grunde nicht ohnehin aus Chemie? Oder anders formuliert: Ist Chemie nicht ohnehin unsere Lebensgrundlage?

Zeit für ein paar naturwissenschaftliche Fakten 😊

Der menschliche Körper besteht aus etwa 60 verschiedenen chemischen Elementen. Die häufigsten davon sind Sauerstoff (macht etwa 65 Prozent der Körpermasse aus), Kohlenstoff, Wasserstoff und Stickstoff, die insgesamt etwa 96,2 Prozent der Körpermasse bilden. Weitere wichtige Elemente sind Kalzium, Phosphor, Kalium und Schwefel. Interessanterweise gibt es auch viele Spurenelemente, die in sehr geringen Mengen vorhanden sind, aber dennoch lebenswichtig sind, wie Eisen, Zink und Jod.  Kohlenstoff ist das Grundgerüst aller organischen Moleküle, einschließlich Proteine, Lipide, Kohlenhydrate und Nukleinsäuren.

Gehen wir mal weiter zu den Neurotransmittern (z. B. Dopamin, Serotonin, Acetylcholin). Sie sind biochemische Botenstoffe, die in den Synapsen, den Verbindungsstellen zwischen Nervenzellen, vorkommen. Sie sind für die Signalübertragung zuständig, indem sie Informationen von einer Nervenzelle zur nächsten übertragen. Wenn ein elektrisches Signal das Ende einer Nervenzelle erreicht, werden Neurotransmitter in den synaptischen Spalt freigesetzt. Dort binden sie an Rezeptoren der nächsten Nervenzelle und lösen ein neues elektrisches Signal aus.

Auch Hormone sind chemische Botenstoffe, die viele Körperfunktionen regulieren, darunter Wachstum, Stoffwechsel und Fortpflanzung. Ein Ungleichgewicht in der Hormonproduktion oder -wirkung kann zu gesundheitlichen Problemen wie Diabetes, Schilddrüsenerkrankungen und hormonellen Störungen führen.

Warum wir zum größten Teil aus Chemie bestehen

Neben der elementaren Zusammensetzung sind unter anderem die biochemischen Prozesse von großer Bedeutung. Jede Zelle in unserem Körper führt biochemische Reaktionen durch, die für das Überleben notwendig sind. Diese Reaktionen umfassen den Stoffwechsel, bei dem Nährstoffe in Energie umgewandelt werden, sowie die Synthese und den Abbau von Molekülen.

Die Funktion von Proteinen, die als Enzyme, Strukturmoleküle oder Signalüberträger dienen, basiert auf ihrer chemischen Struktur und den Wechselwirkungen mit anderen Molekülen. Diese Interaktionen sind entscheidend für Prozesse wie die Muskelkontraktion, die Signalübertragung in Nervenzellen und die Immunantwort.

Die DNA, die unsere genetische Information trägt, ist ein chemisches Molekül. Die Sequenz der Nukleotide in der DNA bestimmt die Synthese von Proteinen, die wiederum die Struktur und Funktion unserer Zellen und Gewebe beeinflussen. Chemische Veränderungen in der DNA (z. B. Mutationen) können zu Veränderungen in der Proteinstruktur führen und so die chemischen Prozesse im Körper beeinflussen oder sogar genetische Krankheiten verursachen.

Weiterhin reguliert der Körper seine innere Umgebung durch chemische Prozesse, um ein stabiles Gleichgewicht zu erhalten. Dies umfasst die Regulation des pH-Werts, der Elektrolytkonzentrationen und der Temperatur. Chemische Sensoren und Signalwege spielen eine zentrale Rolle bei der Aufrechterhaltung der Homöostase.

Auch bei der Immunantwort spielt Chemie eine Rolle. Es nutzt chemische Signale, um auf Infektionen und Verletzungen zu reagieren. Entzündungsprozesse, die durch chemische Mediatoren gesteuert werden, sind ein wesentlicher Bestandteil der Immunantwort. Eine übermäßige oder unzureichende chemische Reaktion kann beispielsweise zu Autoimmunerkrankungen oder Allergien führen.

Fazit

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Chemie unsere Gesundheit auf vielfältige Weise beeinflusst, von der molekularen Ebene bis hin zu komplexen biologischen Systemen. Sie bildet die Grundlage für das Verständnis der Struktur und Funktion des menschlichen Körpers. Ohne die chemischen Prozesse, die in unseren Zellen und Geweben ablaufen, wäre Leben, wie wir es kennen, nicht möglich.

Das ist auch eine wichtige Erkenntnis, die wir auch häufiger in der pharmazeutischen Beratung zu Wort bringen sollten. Wir kennen doch alle die Kunden, die auf Pflanzen schwören und die Chemie verteufeln. Dabei sind wir doch alle Bioreaktoren, wie wir sehen. 😀 Oft ist den Kunden auch nicht bewusst oder sie wissen es einfach nicht, dass Pflanzen beispielsweise Allergien auslösen können und pflanzliche Substanzen eben auch auf molekularer Ebene chemisch reagieren und wechselwirken.

Auf die Chemie! 🥂