„Auf uns kommt ein demografischer Tsunami zu“
Seit Jahresbeginn ist Thomas Preis ABDA-Präsident. Im Interview spricht er über die Herausforderungen, vor denen Politik, Gesellschaft und die Branche stehen. An die PTA hierzulande sendet er zum "Tag der PTA" herzliche Grüße und dankt für ihr Engagement.
Er wohnt in Düsseldorf, hat zwei Apotheken in Köln und ist angesichts seiner neuen Aufgabe als ABDA-Präsident sehr oft in Berlin: Thomas Preis ist viel unterwegs und will auch viel bewegen. Der 65-Jährige fordert eine Kehrtwende und will die Apotheken wieder stärken. Er sieht die Bundespolitik in der Bringschuld und hofft, dass die künftige Regierungskoalition ihre vor der Wahl gegebenen Versprechen hält. Im Gespräch mit AMIRA blickt er auch auf den demografischen Wandel und den Versandhandel und stellt die besondere Bedeutung der PTA heraus, die heute den Tag der PTA begehen.
AMIRA: Glauben Sie, dass Sie von der sich abzeichnenden Regierung Verbesserungen bzw. Veränderungen im Sinne der Apotheken erwarten dürfen?
Thomas Preis: Noch nie haben sich die öffentlichen Apotheken und deren berechtigte Anliegen in den Wahlprogrammen aller großen politischen Parteien so prominent wiedergefunden, wie das bei der Bundestagswahl vor wenigen Wochen war. Die große Bedeutung öffentlicher Apotheken für die Gesundheits- und Arzneimittelversorgung der Menschen in unserem Land ist für viele Politikerinnen und Politiker offensichtlich. Insbesondere die Vertreter von CDU/CSU und SPD, also der sich abzeichnenden Regierungsparteien, sind sich dessen bewusst. Eine neue Regierungskoalition hat deshalb auch eine große Verantwortung gegenüber den Menschen, die öffentlichen Apotheken zu stärken. So wie es die Politiker auch vor der Wahl versprochen haben. Ein „Weiter so“ darf es auf keinen Fall geben. Das Apothekensterben muss beendet werden.
Wie sehr fürchten Sie sich davor, dass Karl Lauterbach wieder Gesundheitsminister wird? Unternehmen Sie hinter den Kulissen etwas dagegen?
Die Auswahl des künftigen Bundesgesundheitsministers oder der -ministerin liegt nicht in unserer Hand, sondern in der der künftigen Regierung bzw. des Bundeskanzlers. Wir werden mit ihm oder ihr vertrauensvoll zusammenarbeiten, so wie die ABDA es auch in der Vergangenheit stets gemacht hat.
"An der schlechten wirtschaftlichen Lage der Apotheken ist allein die Politik schuld!"
Was soll unter Ihrer Ägide anders werden als bei Ihrer Vorgängerin, damit die Apotheken hierzulande gestärkt werden und finanziell wieder besser dastehen? Anders gefragt: Wie können Apotheken wirtschaftlich zukunftsfähig bleiben?
An der finanziellen schlechten Lage der Apotheken ist allein die Politik schuld. Wir erwarten deshalb direkte Soforthilfen: Das Fixum muss sofort angepasst werden! Außerdem muss eine Dynamisierung unserer Vergütung über regelmäßige, jährliche Anpassungen auf Basis klar definierter Regeln fixiert werden.
Jüngst haben die gesetzlichen Krankenkassen den Vorschlag gemacht, die pharmazeutischen Dienstleistungen in den Apotheken stark zurückzufahren und die Honorierung zu senken. Wie bewerten Sie diese Forderungen?
Wir haben seit Jahren eine älter werdende Gesamtbevölkerung, die besonders auf pharmazeutische Dienstleistungen angewiesen ist und künftig noch mehr sein wird. Auf uns kommt ein demografischer Tsunami zu. Das ist seit Jahren bekannt. Er wird aber weitestgehend von der Politik ignoriert. Der Jahrgang 1964 war der geburtsstärkste überhaupt. Die 1,3 Millionen Menschen dieses Jahrgangs werden in diesem Jahr 61 und gehen bald in Rente. Um diesem Tsunami entgegenzutreten, brauchen wir stabile Deiche und Wellenbrecher. Diese sind Krankenhäuser, Ärzte und Apotheken. Wir erwarten von den Krankenkassen, dass sie pharmazeutische Dienstleistungen noch mehr fördern und besser bezahlen, als nach deren Abschaffung zu rufen.
Die vergangene Pandemie hat gezeigt, dass das Apothekensystem funktioniert. Wir sind eine sehr wichtige Säule in der Gesundheitsversorgung und haben bewiesen, dass wir das gesamte System entlasten können. Das passiert auch nach wie vor tagtäglich. Insbesondere bei Patienten, die Selbstmedikation machen. Krankenhäuser, Ärzte und Apotheken müssen ihre interaktive Zusammenarbeit weiter ausbauen, damit das auch immer besser funktioniert. Dabei darf die Politik aber keine Leistungsträger im Gesundheitswesen im Stich lassen, wie es in den letzten Jahren insbesondere in Bezug auf die Apotheken geschehen ist.
"Wir sind unverzichtbare Ansprechpartner für die Menschen."
Das Impfen hat sich in Apotheken inzwischen etabliert. Wäre es sinnvoll, weitere ärztliche Leistungen in die Apotheken zu verlagern? Vielleicht ein Gedankenspiel – etwa Blutabnehmen oder das Schreiben von Ruhe-EKGs, also ganz grundlegende diagnostische Dienstleistungen, die beispielsweise von speziell geschulten PTA übernommen werden könnten mit dem Ziel, das Gesundheitswesen zu entlasten und die Apotheke zu stärken. Halten Sie das für eine Chance oder eher eine falsche Entwicklung?
Als älter werdende Gesellschaft stehen wir vor ganz großen Herausforderungen, die angesichts des Fachkräftemangels noch stärker spürbar sein werden. Immer mehr Menschen haben in den kommenden Jahren einen wachsenden Bedarf im Gesundheitswesen. Daher müssen wir alle unsere vorhandenen Ressourcen bestmöglich einbringen und wo möglich weiter ausbauen. Wir Apotheken haben dabei eine essenzielle Aufgabe als niedrigschwellige, gut erreichbare und oft auch erste Anlaufstelle bei Gesundheitsproblemen. Wir sind unverzichtbare Ansprechpartner für die Menschen. Die Apotheken sind offen für neue zusätzliche Aufgaben, wie zum Beispiel die Durchführung von Schnelltests auf Viruserkrankungen oder andere pharmazeutische Aufgaben, so wie wir das auch in der Pandemie waren. Das ist aber nur möglich, wenn die Apotheken gestärkt werden. Ohne nennenswerte Investitionen in Personal, Schulungen und Hardware werden neue Leistungen nicht funktionieren können. Dafür bedarf es einer Gegenfinanzierung und einer ausreichenden Honorierung der angebotenen Leistungen.
Thomas Preis wohnt in Düsseldorf, hat zwei Apotheken in Köln und will als neuer ABDA-Präsident viel bewegen.
Sie haben vor kurzem vorgeschlagen, die beitragsfreie Mitversicherung von Bürgergeldempfängern dem Bundeshaushalt aufzulasten und nicht den gesetzlichen Krankenkassen. Das solle bis zu zehn Milliarden Euro bringen. Wie könnte dieses Geld aus Ihrer Sicht sinnvoll eingesetzt werden?
Den Apotheken fehlen aufgrund der seit über einem Jahrzehnt ausgebliebenen Honorarsteigerungen insgesamt mehr als 10 Milliarden Euro (3 Mrd. jährlich), um die in diesem Zeitraum um 60 % gestiegenen Kosten auszugleichen. Besonders gravierend ist der Anstieg der Personalkosten um 80 %. Eine weitere Entwicklung und Statistik sollte den verantwortlichen Politikerinnen und Politikern zu denken geben: Deutschland ist europaweit spitze bei der Zahl der Krankenhausbetten und Arztbesuchen pro Kopf. Aber fast nirgendwo in Europa gibt es so wenige Apotheken wie bei uns. Das von der sich abzeichnenden Regierung ins Spiel gebrachte Sondervermögen muss auch den Apotheken zugutekommen, diese sind fester Bestandteil der Infrastruktur, die ja mit dem Finanzpaket verbessert werden soll.
"Der Versandhandel ist absolut systemgefährdend!"
Versandapotheken üben zunehmend Druck auf Vor-Ort-Apotheken aus. Wie kann die ABDA sicherstellen, dass inhabergeführte Apotheken im Wettbewerb nicht nur überleben, sondern sich als unverzichtbarer Teil der Gesundheitsversorgung positionieren?
Der Versandhandel ist absolut systemgefährdend. Während Versandkonzerne in Deutschland Patientinnen und Patienten beliefern, ohne dabei verbindlichen Qualitätskontrollen wie Temperaturkontrollen zu unterliegen, übernehmen die Apotheken vor Ort essenzielle Gemeinwohlaufgaben. Dazu zählen unter anderem Nacht- und Notdienste, die Anfertigung von Rezepturarzneimitteln sowie Botendienste bis an die Haustür. Wenn die Politik dieses niedrigschwellige, wohnortnahe Versorgungsnetz erhalten will, muss sie Apotheken vor unfairem Wettbewerb durch den Versandhandel schützen.
Der von Ihnen angesprochene Fachkräftemangel ist ein großes Thema, er betrifft alle Berufe in der Vor-Ort-Apotheke – wie will die ABDA erreichen, dass junge Menschen sich weiter für die Arbeit in der Offizin interessieren?
Die ABDA setzt sich dafür ein, junge Menschen für die Arbeit in der Offizin zu begeistern. Der Berufsstand hat den festen Willen, mehr Verantwortung in den Bereichen Gesundheitsprävention und Primärversorgung zu übernehmen. Dies wird neue patientennahe Dienstleistungen für Apothekerinnen und Apotheker mit sich bringen, wie Screening-Maßnahmen und Impfungen. Dadurch wird der Beruf noch attraktiver. Der wichtigste Punkt bleibt jedoch eine wirtschaftliche Stärkung der Apotheken, um langfristig attraktive Arbeitsplätze zu sichern.
Wäre es an der Zeit, den Beruf der PTA zu akademisieren, damit PTA in Zeiten des Personalmangels mehr Aufgaben übernehmen können?
Die Akademisierung in anderen Gesundheitsfachberufen, nämlich den Pflege- und Therapieberufen, kann man durchaus als Erfolg bezeichnen. Dort gab es jedoch vorher keine akademische Berufsperspektive – im Gegensatz zum Apothekenbereich mit dem Apothekerberuf. Die PTA leisten einen essenziellen Beitrag in der Arzneimittelversorgung und dürfen alle pharmazeutischen Tätigkeiten bis auf das Medikationsmanagement bzw. die Medikationsberatung im Rahmen der pharmazeutischen Dienstleistungen sowie das Impfen mindestens unter Aufsicht ausüben. Sowohl der Apotheker- als auch der PTA-Beruf sind Mangelberufe. Es ist keine Lösung des Fachkräftemangels, wenn beide Berufe um die gleiche Nachwuchszielgruppe konkurrieren. Stattdessen gilt es bei Übernahme zusätzlicher Aufgaben durch Apotheken, PTA so zu qualifizieren, dass sie diese durchführen bzw. mitwirken dürfen. Das macht den Beruf auch attraktiver. Wichtig ist daher ein ausgewogenes Konzept, das Fort- und Weiterbildungen ermöglicht.
"Danke an alle PTA für Kompetenz, Engagement und ihre unverzichtbare Arbeit!"
Am 24.3. feiern wir den Tag der PTA, bei dem es insbesondere um Wertschätzung dieser Berufsgruppe geht. Was möchten Sie den PTA bei dieser Gelegenheit mitteilen?
Pharmazeutisch-technische Assistentinnen und Assistenten stellen in unseren Apotheken eine tragende Säule dar. Ihr Fachwissen, ihre Beratung und ihr täglicher Einsatz sind von enormer Bedeutung für die Gesundheit der rund drei Millionen Menschen, die täglich in unsere Apotheken kommen. Zum Tag der PTA danke ich allen PTAs sehr herzlich – für ihre Kompetenz, ihr Engagement und ihre unverzichtbare Arbeit in den Apotheken. Insbesondere von der Politik hat ihre Arbeit und ihr Engagement mehr Anerkennung verdient.
Wenn Sie drei Wünsche für die Apothekerschaft frei hätten – welche wären das?
1. Sofortige Erhöhung und Dynamisierung der Arzneimittelhonorare.
2. Verbot des Versandhandels.
3. Mehr Wertschätzung für Apotheken und deren kompetenten Mitarbeitenden
Abschließend: Wird die ABDA bzw. die von ihr vertretene Apothekerschaft in Zukunft entschlossener auftreten, um ihren Forderungen mehr Nachdruck zu verleihen und besser gehört zu werden?
Die ABDA hat schon immer die Interessen der Apothekerschaft nachhaltig und entschlossen vertreten. Dazu wurde die ABDA übrigens auch vor 75 Jahren gegründet. Aber auch, wenn etwas schon lange gut gemacht wurde, kann man versuchen, es noch besser zu machen. Das hat sich der neue Vorstand auf die Fahnen geschrieben und daran werden wir mit ganzer Kraft arbeiten.
Vielen Dank für das Interview, Herr Preis!