Tommy, der Tätschler
Unsere Apothekenspitzelin hat einst gern „Wetten dass“ geschaut. Obwohl die Sendung seit Jahren nicht mehr läuft, geriet der Moderator vor einiger Zeit noch mal in die Schlagzeilen: Er habe Gäste öfter berührt als nötig. Wie ist das eigentlich mit dem Körperkontakt in der Offizin…?
Ja, die Zeiten ändern sich. Taten sie eigentlich schon immer. Irgendetwas war hinterher anders als zuvor. Während viele Menschen sich beeilen, des Wandels teilhaftig zu werden und sich neuen Gewohnheiten anzupassen, scheitern andere genau daran. So ungefähr dachte ich, als ich mir noch einmal die Kritik an „Thommy“ Gottschalk vor Augen führte, die in den vergangenen Monaten auf ihn einprasselte. Ihr erinnert euch doch an Thomas Gottschalk, oder? Der hat uns jahrzehntelang mit seinem an sich völlig harmlosen „Wetten dass…?“ den Samstagabend gerettet und dabei Millionen Menschen baff ob der unglaublichen Fertigkeiten seiner Wettkandidaten zurückgelassen. Schöner Gesprächsstoff für Montagmorgen, heute nur noch Schnee von gestern…
Allerdings hat der Thomas auch noch was anderes gemacht. Er war nämlich ein bisschen „touchy“. Hat seine Hände auf Promi-Schultern gelegt, Arme berührt und Knie getätschelt, weibliche zumeist. Witze hat er auch gemacht, manchmal flaue oder laue, zuweilen treffend-bissige. Das Tätscheln und seine Zoten bekam er in den vergangenen Monaten mit immer wieder aufflammender Härte und Häme um die Ohren gehauen. Deshalb fühlte er sich bemüßigt, sich aus dem TV zurückzuziehen. Gottschalk moserte, dass er sich im modernen Fernsehbetrieb aufgrund der „woken“ Gesellschaft nicht mehr frei fühle, das zu sagen, was er denke. Stattdessen schrieb er ein Buch, in dem er seine Sicht der Dinge darlegte.
Warum macht der das?
Diese Sicht halten viele Leute für falsch, für überkommen, für sowas von gestern, und ihn für einen „alten, weißen Mann“. Jemanden ungefragt berühren, nein, das gehe nun wirklich nicht. Ehrlich gesagt habe auch ich mich schon damals, beim Anschauen der Sendung, immer gefragt: „Warum macht der das?“ Andererseits habe ich gar nicht mitbekommen, dass sich Gottschalks Tätschel-Opfer, Promis aus dem Film- und Musikbusiness zumeist, über seine Annäherungen beschwerten. Wahrscheinlich ist das sowieso Usus in der Branche, weshalb keine der betörenden Blondinen und Brünetten auf des Entertainers Sofa dessen Hand wegdrückte oder sich das Ansinnen verbat. Auf „Übergriffigkeit“ plädierten dann andere.
Man könnte das jetzt pragmatisch betrachten und sagen, dass einige sich ganz fürchterlich über den Thomas aufregen wollen, weil es eben gut in die Zeit passt und Publicity für sie selbst bringt. Ich hege nur die Befürchtung, dass damit auch ganz harmlose Berührungen in Misskredit gebracht werden. Und da kommen wir ins Spiel.
Finger weg, wenn…!
Denn nun frage ich mich, ob Berührungen eigentlich grundsätzlich und ausschließlich schlecht und verwerflich sind. Schließlich kommen sie auch in unserem Arbeitsumfeld, der Apotheke, vor. Ich sehe das so: Wenn sie eindeutig Takt und Anstand vermissen lassen, in sexueller Annäherungsabsicht und ohne Einverständnis erfolgen, oder wenn sie geduldet werden, weil Hierarchien es unmöglich erscheinen lassen, sie sich zu verbitten, stellt sich die Frage nicht, denn dann gilt: ja, Finger weg, sowas ist verboten!
Ansonsten finde ich, dass Berührungen durchaus auch ihr Gutes haben. Dabei kann ich mich sogar auf die Wissenschaft berufen. Die sagt nämlich, dass Berührungen, wenn sie respektvoll und bedacht sind, nachweislich Vertrauen und seelische Balance fördern können. Tatsächlich belegen viele psychologische Studien, dass freundschaftlicher Körperkontakt wie ein Schulterklopfen oder eine Umarmung – ein „hug“ im Englischen – das menschliche Bedürfnis nach Nähe und Akzeptanz bedienen. Freundliche, nonverbale Berührungen steigern nicht nur unser Wohlbefinden, sondern stärken auch das Vertrauen zwischen Menschen. Ein kurzer, aufrichtiger Kontakt kann dazu beitragen, Stress zu reduzieren und Bindungen zu festigen.
Unsere Vorfahren vor langer Zeit haben sich gelaust, Primaten tun das zur Steigerung ihres gegenseitigen Wohlbefindens heute noch. Wir Menschen berühren uns hin und wieder, oft genug völlig arglos und in bester Absicht. Meist fühlen wir uns gut damit. Denn eines ist sicher: Solche Gesten kosten nichts, wirken aber nachhaltig, und das sogar im Kollegenkreis. Bei uns im Team kommt es schon mal zum Schulterklopfen, gerade an besonders stressigen Tagen. Wenn die Warteschlange kein Ende nimmt, das Telefon klingelt und auch noch ein Lieferengpass unsere Nerven strapaziert, wissen wir alle, wie gut es tut, ein freundliches „Halt durch, das haben wir gleich!“ zu hören – verfeinert mit einem aufmunternden Klaps auf die Schulter. Mehr soll´s dann aber bitteschön auch nicht sein.
Menschen brauchen manchmal Nähe
Natürlich würde ich für jemanden wie Herrn Gottschalk nie die Hand ins Feuer legen und glauben, dass wirklich jede seiner Tätscheleien ganz und gar harmlos war. Dennoch meine ich, wir sollten uns nicht davon abschrecken lassen, Zuspruch und Trost auch mal durch Gesten der Berührung auszudrücken. Das muss nicht zum Standard werden und oft, stets oder immer passieren. Aber eine in Zahl und Innigkeit dosierte Umarmung, ein nett gemeinter Klaps auf die Schulter von Kollegin oder Kollege, ein sachter, aber aufmunternder Knuff auf den Oberarm samt einigen mitfühlenden Worten, vielleicht sogar ein Händchenhalten mit einer betagten Kundin – das ist zuweilen fast so wirksam wie Medizin. Menschen brauchen manchmal schlicht ein bisschen Nähe – mal hinter dem HV-Tisch, mal davor.
Oder irre ich mich? Was meint ihr? Schreibt es uns in die Kommentare!