Wer nachts Creme kauft, zahlt auch Augenringe

Nachts Kosmetik, morgens Augenringe: Eine Kolumne aus der Offizin über echte Notfälle, absurde Mythen und politische Hoffnung – und warum ein QR-Code vielleicht mehr hilft als ein Strafzettel.

Nachtschicht-Shopping und andere Mythen

Ich schließe die Tür auf, die Apotheke riecht heimelig nach Traubenzucker und Kaffee. Eigentlich idyllisch, aber hinterm HV-Tisch sitzt meine Kollegin wie ein zusammengefaltetes Akkordeon, den Kopf auf die verschränkten Arme gelegt. „Wie war’s?“, frage ich. Sie hebt den Kopf und ich sehe direkt ihre dunklen Augenringe. „Frag nicht.“

„2:30 Uhr: Nasenspray. 3:05 Uhr: Bonbons – ,die mit Ingwer, die mag ich am liebsten’. 3:40 Uhr: Gesichtscreme. Und das Telefon? Hundertmal: ,Haben Sie heute Notdienst?‘ Wenn ich dann noch gesagt hätte, was ich am liebsten wollte, wäre ich jetzt arbeitslos.“

Ich stelle ihr den Kaffee hin. „Und echte Notfälle?“ „Klar,“ sagt sie, „Fiebersaft fürs Kind, seit drei Tagen krank, nichts im Haus. Und Babynahrung um kurz vor vier – weil die Erwachsenen- Essensvorräte natürlich bis Ostern reichen, aber fürs Baby …“ Sie zuckt. „Du kennst das Spiel.“

Wir schweigen einen Moment. Die Rollläden knarzen wie alte Knochen. „Immerhin bewegt sich politisch was“, sage ich. Sie lacht trocken. „Ja komm, erzähl mir was Schönes.“

Politik, Pauschalen und Perspektiven

„Na, auf dem Deutschen Apothekertag in Düsseldorf – ich habe Warkens Rede gestreamt.“ „Die neue Ministerin?“ „Genau. Sie hat ziemlich klar gesagt: Der 20-Cent-Zuschlag pro Rx-Packung für pDL soll rüber in die Notdienstvergütung. Ziel: die Nacht- und Notdienstpauschale fast verdoppeln. Und: Die Länder sollen flexiblere Modelle erlauben, in denen auch Teilnotdienste bezuschusst werden – also mehr Entlastung, wenn Regionen das brauchen.“ Sie hält inne. „Warte. Das heißt: Mehr Geld, wenn wir hier nachts das Licht anlassen?“ „So war die Ansage. Fixum bleibt erstmal tabu, aber beim Notdienst soll’s spürbar werden.“

Sie nippt. „Hört sich fast so an, als dürfte ich beim nächsten 3-Uhr-Kosmetik-Einkauf wenigstens innerlich ,cha-ching’ machen.“ „Vorsicht, innerlich nur,“ sage ich. „Und bis das durch alle Mühlen ist, hilft uns vor allem: Klartext.“

„Klartext wie?“ Ich tippe auf mein Handy. „Neuer Bandansagen-Entwurf. Hör zu.“ Ich räuspere mich und nehme meine freundlichste Abendstimme: „Guten Abend, Sie haben die Bahnhofapotheke erreicht. Ja, wir haben heute Notdienst, bis morgen 8:30 Uhr. Bitte kommen Sie nur, wenn es ein medizinischer Notfall ist, und die Versorgung nicht bis zum Morgen warten kann. Für nicht so dringende Anliegen sind wir ab 8:30 Uhr wie gewohnt für Sie da.“ Sie grinst schief. „Kannst du hinten noch anfügen: ,Bonbons gibt’s auch im Hellen’?“

„Deal. Und wir hängen ein kleines Schild an die Tür: ,Nachts: Medizin. Tags: alles.’“
 „Und was ist mit den Eltern ohne Vorrat?“ fragt sie.
 „Für die bastle ich eine Mini-Checkliste: Fiebersaft/-zäpfchen in der passenden Stärke, Thermometer, altersgerechtes Nasenspray, Elektrolyte, Basispflege. QR-Code drauf, der alle drei Monate pingt: ,Hausapotheke checken’.“ „Kannst du eine Extra-Zeile machen: ,Babynahrung prüfen’? Sonst stehen sie wieder um vier hier.“ „Kommt drauf.“

Zwischen Bonbons und Verantwortung

 „Manchmal sind die 2,50 Euro Notdienstgebühr der lauteste Streitpunkt“, sagt meine Kollegin.

„Als wäre das ein Strafzettel.“

„Ist es nicht. Es ist der Beitrag dafür, dass um 3:05 Uhr Licht brennt, und Beratung da ist, wenn es wirklich pressiert.“

Sie atmet hörbar aus. „Wenn Warken Wort hält und die Länder bei den Teilnotdiensten mitziehen, wird’s vielleicht ein Stück menschlicher.“
„Das ist der Plan. Und bis der ankommt, machen wir’s wie immer: freundlich, klar, wachsam.“

Die Sonne tastet sich über die Dächer, die Stadt wird wieder laut. Meine Kollegin richtet sich auf, klappt den Kittelkragen hoch.
„Weißt du, was ich heute Nacht am meisten vermisst habe?“
„Schlaf?“

„Einfach dich zum Dampf ablassen.“, sagt sie und grinst.

„Das ist lieb”, sage ich und drücke sie kurz. „Ich mache dir noch einen Kaffee, ok?” Sie lächelt dankbar: „Und ein Bonbon nehme ich auch – aber bitte ohne Ingwer!”.

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