Orphan Diseases - Tag der seltenen Erkrankungen
Am letzten Tag des Februars wird weltweit der Tag der seltenen Erkrankungen begangen. So selten indes sind sie gar nicht. Allein in Deutschland sind bis zu vier Millionen Menschen von seltenen Krankheiten betroffen.
Was sind seltene Erkrankungen?
Wenn sie so selten gar nicht sind, was versteht man dann darunter? Seltene Erkrankungen, auch bekannt als „Orphan Diseases“ oder „Rare Diseases“, sind Krankheiten, die bei weniger als fünf von 10.000 Menschen auftreten. Das heißt: Eine normale Hausarztpraxis muss rund 2.000 Patienten sehen, bevor es eine Person vorstellig wird, die an einer der Orphan Diseases leidet. Und das ist das Problem: Denn gibt über 7.000 verschiedene seltene Erkrankungen, die aber von Ärzten, die in ihrer Praxis nur wenig Kontakt zu Erkrankten haben, oft nur schwer zu erkennen sind. So gehen Experten davon aus, dass mancher Patient eine lange Reise durch den Medizinbetrieb hinter sich hat, bis seine Erkrankung richtig diagnostiziert und ihm geholfen werden kann. „Es ist erschreckend, dass Patientinnen und Patienten mit einer seltenen Erkrankung noch immer im Schnitt sieben Jahre eine Odyssee durch weite Teile unserer Medizin durchlaufen, bis ihre Krankheit endlich diagnostiziert wird!“, sagte zum Tag der seltenen Erkrankungen der bayerische Patienten- und Pflegebeauftragte Dr. Peter Bauer. Schätzungen besagen, dass lediglich zwei Prozent dieser Erkrankungen mit dem heutigen Stand des Wissens therapierbar sind.
Besonders tragisch: Viele dieser Erkrankungen betreffen Kinder, die oft früh im Leben schwerwiegend getroffen sind und denen aus oben genannten Gründen keine erfolgreiche Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung steht. Schätzungen gehen davon aus, dass drei von zehn betroffenen Kindern das fünfte Lebensjahr nicht erreichen.
Beispiele für seltene Erkrankungen
Viele seltene Erkrankungen sind genetisch bedingt, oft lebensbedrohlich, verlaufen chronisch und haben eine schlechte Prognose für die Lebenserwartung der Patienten. Dazu gehören Krankheiten wie Mukopolysaccharidose, Tay-Sachs-Krankheit, Duchenne-Muskeldystrophie, AADC-Mangel, Huntington-Krankheit, Spinale Muskelatrophie, Hämophilie oder Osteogenesis imperfecta. Aber auch seltene Formen von Krebs (bestimmte Leukämien), Autoimmunerkrankungen und sogar einige Herz-Kreislauf (Lungenhochdruck) und Infektionskrankheiten gehören definitionsgemäß zu den seltenen Erkrankungen.
Was die Wissenschaft unternehmen kann
Zum Glück hat die Wissenschaft, parallel zu den Entwicklungen in der Genetik, in den letzten Jahren Fortschritte bei der Erforschung seltener Erkrankungen gemacht. Neue Technologien ermöglichen die Entdeckung von Genmutationen, die zu seltenen Erkrankungen führen. Dadurch wird es möglich, neue Therapien zu entwickeln, die den genetischen Ursachen der Erkrankung zu Leibe rücken. So ist in den vergangenen Jahren die personalisierte Medizin ein wichtiger Ansatz in der Behandlung von seltenen Erkrankungen geworden, weil sie auf die individuellen genetischen Unterschiede jedes Patienten eingehen kann. Oder, so die Hoffnung, dies in absehbarer Zeit hoffentlich können wird.
Das tut die pharmazeutische Industrie gegen seltene Erkrankungen
Der Trend zur personalisierten Medizin, die sich stark mit den genetischen Voraussetzungen der Patienten befasst, könnte noch in anderer Hinsicht segensreich sein. Bislang nämlich stand die pharmazeutische Forschung vor dem Problem, dass die Entwicklung von Medikamenten – den sogenannten „Orphan Drugs“, extrem teuer war, die Zahl der Patienten aber sehr gering. Die Forschung an entsprechenden Wirkstoffen war deshalb wenig profitabel. Zwar gibt es inzwischen Initiativen und Anreize, die Entwicklung von Therapien für seltene Erkrankungen zu fördern, so etwa die seit dem Jahr 2000 gültige Orphan-Drug-Verordnung der EU, die Unterstützung für die Entwicklung entsprechender Medikamente und längere exklusive Nutzungsrechte vorsieht. Wichtiger scheint aber, dass die gengestützte Individualisierung der Therapien die Hersteller vom Zwang zur großen Menge befreit. So hat die pharmazeutische Industrie inzwischen erkannt, dass gen- und biotechnologische Verfahren helfen können, neue Therapien zu entwickeln. Fast jedes renommierte und forschende Pharmaunternehmen hat inzwischen Mittel im Portfolio, die auf gentechnischer Basis seltene Erkrankungen therapieren sollen.
Selbsthilfe durch Community "Loudrare"
Betroffene sind nicht nur durch ihre Krankheit belastet, sondern häufig auch durch die Unkenntnis ihrer Mitmenschen, die nach dem Motto „Du armer Mensch“ vielleicht Mitleid bekunden, aber andererseits Anerkennung und Förderung verweigern. Wenn auch nicht aus unlauteren Absichten, so doch aus Unwissenheit. Für mehr Aufmerksamkeit und Akzeptanz von Betroffenen kämpft der Verein „Loudrare“, in dem sich viele Patienten engagieren. In seiner Community können sie sich vernetzen, gegenseitig über ihre Erkrankungen informieren, sich Zuversicht zusprechen und für bessere Behandlung werben. Auf der Website von loudrare.de heißt es deshalb: „Die Stimmen von vier Millionen Betroffenen in Deutschland müssen gehört werden. Das ist die Grundlage für mehr gesellschaftliche Akzeptanz, frühere Diagnosen, engagierte Ärzte, gute Aufklärung, Zugang zu Informationen und Therapien und weniger Stigmatisierung oder Diskriminierung. Damit selten irgendwann ganz normal ist.“
Extrahiert:
- In Deutschland leiden bis zu vier Millionen Menschen an einer sogenannten „seltenen Krankheit“ (Orphan oder Rare Disease).
- Viele der Krankheiten haben eine genetische Ursache.
- Die Pharmaindustrie setzt große Hoffnungen in die individualisierte Therapie nach Genanalyse.
- Bestimmte Förderrichtlinien und Programme sollen die Entwicklung sogenannter „Orphan Drugs“ erleichtern.