Nährstoffmangel durch Tabletten? „Das hat mir vorher keiner gesagt!“

Ein Mann trinkt jede Nacht einen Liter Wasser und kann wegen der häufigen Toilettengänge schlecht schlafen. Später stellt er fest, dass das medikamentös bedingt ist. Was er dagegen tut, berichtet AMIRA in ihrer Kolumne.

Wieder ein gewöhnlicher Arbeitstag: Verschiedene Kundinnen und Kunden kommen mit den unterschiedlichsten Beschwerden und Wünschen in die Apotheke. Am Dienstagnachmittag habe ich einen gut gelaunten, älteren Herrn bedient. „Ich möchte etwas abholen“, sagte er. Nachdem er endlich den Abholschein aus seiner Geldbörse kramen konnte, flitzte ich auch schon zum Abholregal. Gesucht, gefunden: Er bekam ein Kombipräparat aus Naproxen und Esomeprazol, was verschreibungspflichtig ist. „Arztausweis lag vor“, stand auf dem Zettel. Da dachte ich natürlich direkt, dass er Arzt sei. Fehlalarm, die Tochter, eine Ärztin, hatte ihm das Medikament bestellt.

Nach der Übergabe fragte ich ihn, ob er sonst noch einen Wunsch habe. „Haben Sie Elotrans?“, fragte er. „Die Elektrolytmischung ist seit längerem nicht lieferbar, wir haben es nicht da“, entgegnete ich. „Haben Sie etwas Vergleichbares?“, wollte er wissen. „Ja“, sagte ich. „Aber ich muss schauen, was wir davon an Lager haben“. Ich konnte ihm Oralpädon mit Erdbeergeschmack und das geschmacksneutrale Saltadol anbieten. Er entschied sich für die 12-er Packung von letzterem. Dann kam unser Gespräch ins Rollen.

Polymedikation und Mikronährstoffmangel

Der Mann hatte eine Krebserkrankung und zudem weitere Krankheiten. Dementsprechend nahm er viele verschiedene Medikamente ein. Die genaue Zahl wollte er mir aber nicht verraten: „Viele“, war seine Antwort. Die Elektrolyte brauche er, weil die Medikamente, die er einnimmt, zu einem Mikronährstoffmangel führten. „Zuerst wusste ich das gar nicht. Das hat mir keiner gesagt! Man sagte mir lediglich einfach am Anfang der Therapie, dass ich viel Wasser trinken soll. Dadurch, dass mein Körper ständig Elektrolyte ausgeschwemmt hat, hatte ich ständig das Bedürfnis, Wasser zu trinken. So trank ich jede Nacht einen (!) Liter, dementsprechend musste ich ständig auf die Toilette und konnte nicht gut schlafen.“ Ich wollte wissen, welche Arzneimittel er genau einnimmt, aber das blieb mir verborgen. Seine Tochter hätte ihm geraten, Elektrolyte einzunehmen. Seitdem ging es ihm viel besser und er müsste nicht literweise Wasser trinken. Er war sehr froh darüber, dass wir ein Elektrolyt-Präparat an Lager hatten. 

Tatsächlich kommt es sehr häufig vor, dass die Effekte eines medikamentös bedingten Mikronährstoffmangels relevant sind. Zu den wichtigsten Arzneistoffen, die Mikronährstoffe beeinflussen, gehören Protonenpumpenhemmer, Antidiabetika, Neuroleptika, Diuretika, Antiepileptika und ACE-Hemmer. Zytostatika führen übrigens häufig auch zu Mikronährstoff-Störungen. Es gibt viele Einflussfaktoren der Arzneimittel-Mikronährstoff-Wechselwirkungen. Ich finde das Thema in jedem Fall sehr spannend, das Gespräch mit dem Kunden hat mir einen Ruck gegeben mich noch tiefgründiger einzulesen.