Die innere Uhr, die Dunkelheit und das Licht
Zeitumstellung, kürzere Tage, zunehmende Dunkelheit – all das sorgt bei vielen Menschen für Missempfindungen und Befindlichkeitsstörungen. Woher kommen die und was können wir dagegen empfehlen?
Unsere innere Uhr tickt …tickt … tickt …. Automatisch, den ganzen Tag, 24 Stunden, im Sommer, im Winter. Sie bestimmt unsere Wach- und Schlafphasen, sie bestimmt Schwankungen des Blutdrucks, der Herzfrequenz und der Körpertemperatur. Jedes Organ hat eine innere Uhr – und jede einzelne Zelle. Immerhin 10 Prozent unserer Gene sind zirkadian getaktet. Das ist auch sinnvoll, weil dadurch der gesamte Stoffwechsel den Anforderungen im Tagesverlauf angepasst werden kann. Aber was macht die Dunkelheit im Winter mit unserer Uhr? Kann diese aus dem Takt geraten? Kann man dann gegensteuern? Und können wir unsere innere Uhr unterstützen?
Unsere innere Uhr ist hochkomplex organsiert: die Zentraleinheit ist der suprachiasmatische Nukleus, abgekürzt SCN, ein Zellhaufen aus mehr als 10.000 Neuronen, der beim Menschen knapp drei Zentimeter hinter dem Augapfel im Hypothalamus lokalisiert ist. Die Zellen des SCN schütten Neuropeptide aus und senden Signale an die Epiphyse, die dann im zirkadianen Rhythmus Hormone wie Melatonin und Cortisol, produziert. Reguliert wird der gesamte Prozess durch etwa hundert Uhren-Gene, die Namen tragen wie „Period“ (Nobelpreis 2017 für Jeffrey Hall, Michael Rosbash und Michael Young) oder „CLOCK“.
Über neuronale Netzwerke sind die SCN-Neuronen mit der Netzhaut verbunden. Hier finden wir Nervenzellen, die ein Fotopigment enthalten: das Melanopsin. Mit dessen Hilfe wird die Umgebungshelligkeit, werden also auch Änderungen der Lichtverhältnisse bei Tagesanbruch und Dämmerung, erfasst, und die Nervenimpulse an den SCN weitergeleitet: Die zirkadiane Uhr wird auf diese Weise mit der „Sonnen-Uhr“ synchronisiert.
Die Dunkelheit im Winter stört unsere innere Uhr (eigentlich) nicht: auch ohne 12 Stunden Licht-, 12 Stunden Dunkel-Rhythmus garantiert der SCN, dass die Stoffwechselprozesse immer exakt, an den Tagesverlauf angepasst, ablaufen. Selbst bei fortwährender Dunkelheit arbeitet er „wie ein Uhrwerk“. Zu dieser Erkenntnis führte ein zwischen 1964 und 1989 durchgeführtes Experiment mit 400 Freiwilligen, die sich dazu bereit erklärt hatten, mehrere Monate in einem Bunker in Isolation und völliger Dunkelheit zu verbringen. Das Ergebnis: Sie hatten einen Wach-/Schlafverhältnis von zwei Drittel/ein Drittel – nur der Tagesrhythmus hatte sich auf etwa 25 Stunden verschoben (Jürgen Aschoff: Circadian Timing, 1984). Diesem Umstand trägt dann auch das Wort „zirkadian“ Rechnung, welches synonym für „innere Uhr“ verwendet wird: diese arbeitet eben nur circa im 24-Stunden-Rhythmus.
Es gibt allerdings auch Menschen, bei denen die Adaption an die Dunkelheit des Winters nicht so problemlos gelingt: besonders in Nordeuropa leiden bis zu zehn Prozent der Bevölkerung (in Deutschland etwa drei Prozent) an SAD, Seasonal Affective Disorder. Eine große Rolle bei der Entstehung der Winterdepression spielt das Melatonin: Da Dunkelheit die Melatonin Produktion steigert, und das Tageslicht sowohl in der Dauer als auch der Intensität reduziert ist, bleibt der Melatonin Spiegel auch tagsüber erhöht, woraus Müdigkeit, Schlafstörungen und/oder saisonalen Depressionen resultieren können.
Die Lichttherapie, auch wenn die Bedeutung dieser Maßnahme nicht abschließend geklärt ist (IQWIQ 2020), stellt eine Möglichkeit dar, den zirkadianen Rhythmus zu verschieben. Helles Licht, das heißt mindestens 2500 Lux aus speziellen Lichtgeräten für zwei Stunden, am besten morgens, kann eine rasche Besserung der Symptome bewirken. In Stockholm gibt es zwar das viel besprochene Licht-Café nicht mehr, aber Lichthungrige können von Oktober bis April in Schwimmbädern und Arztpraxen für 45 Minuten 10000 Lux buchen. Die Lichttherapie kann übrigens auch bei Jetlag helfen, wenn die innere Uhr mit der äußeren nicht synchron läuft: Helles Licht am Zielort ist offensichtlich geeignet, den Körper schneller anzupassen. Zu denken ist in diesem Zusammenhang auch an die Zeitumstellung: sozusagen ein „Mini-Jetlag“: jeder Fünfte fühlt sich in den Tagen danach schlapp und müde. Andererseits kommt die Zeitumstellung im Spätherbst dem Körper eher zugute, weil der innere Uhr-Tag eigentlich 25 Stunden hat (siehe oben).
Und können wir unsere innere Uhr unterstützen? Grundsätzlich schon! Zwar haben wir uns durch die Errungenschaften einer technisierten Welt sehr weit entfernt von dem Leben unserer Vorfahren während der dunklen Jahreszeit. Aber ein halbstündiger Spaziergang in den Vormittagsstunden hilft unserer inneren Uhr und führt auch zu einer höheren Melatonin Ausschüttung in der Nacht. Die Sommer-Sonnen-Tage Licht mit 100.000 Lux sind zwar weit entfernt, wenn ein dunkler Wintertag eine Lichtintensität von 3000 bis 5000 Lux hat. Das ist aber immer noch weitaus mehr als die normale Innenraumbeleuchtung mit 400 bis 500 Lux.
Also: raus ins Licht!