Apothekengezwitscher: Nachts in der Apotheke

Unsere Apothekenspitzel:in hat sich bei ihren Kolleg:innen umgehört: Eine Apothekerin berichtet ihr aus einer Nacht in ihrer Apotheke – zwischen abgelaufenen Rezepten, Hautpflegewünschen, echten Notfällen und wenig Ruhe.

Letzte Woche hieß es bei meiner Kollegin mal wieder: Eine Nachtschicht im Notdienst steht bevor. Bei uns ist es so geregelt, dass sie etwa alle drei bis vier Wochen einen solchen Dienst übernehmen muss, aber aus den Geschichten daraus könnte ich ganze Bücher schreiben. Im vergangenen Notdienst war sie von Sonntag auf Montag eingeteilt und als ich Montagmorgen zum Dienst erschienen bin, hatte sie wieder einmal ordentlich Geschichten aus der vergangenen Nacht für mich auf Lager.

Bei uns in der Apotheke ist aktuell viel los: Panische Nachfragen nach den abgelaufenen Corona-Impfzertifikaten, nach Neuigkeiten zum Thema Affenpocken oder auch das leidige Thema Jodprophylaxe. Schlimm genug, dass uns diese Themen am Tag wertvolle Zeit rauben, die wir besser in ausgiebige Beratungen stecken könnten. Wenn es dann aber auch in der Nacht weitergeht, können die Nerven schon Mal blankliegen. Meine Kollegin erzählte mir, dass es im Nachtdienst gegen 23 Uhr ziemlich ruhig wurde – etwas zu ruhig? Sie wollte sich ein wenig hinlegen und ausruhen. Das klingt allerdings komfortabler, als es tatsächlich ist. Ständig summt und surrt irgendwas und die Augen bekommt man auch kaum zu. Dann klingelte es tatsächlich mitten in der Nacht und ein junger Kerl stand vor der Notdienstklappe. „Ich brauche dringend Jodtabletten.“ Meine Kollegin hat dann nachgefragt, obwohl die Situation recht eindeutig war. Er habe sich verschiedene Informationen aus dem Internet geholt und sei sich sicher, wir alle müssten Jod einnehmen. Sie setzte zu einer Erklärung an, wollte erläutern, dass eine Überdosierung mit Jod sehr schädlich sein kann und aktuell kein Bedarf zur Jodprophylaxe bestehe. Er beharrte jedoch auf seiner Meinung, er bräuchte dringend die Tabletten. Das Totschlagargument für ihn war dann lustigerweise die Tatsache, dass er eine Notdienstgebühr zahlen müsste, wenn er jetzt Tabletten kauft. Das hat er dann gar nicht eingesehen. Das Wort „NOT-dienst“ muss vielleicht noch einmal neu definiert werden.

Zuvor in dieser Nacht rief auch eine ältere Dame an. Meine Kollegin war sofort hellwach, das könnte ja etwas Ernstes sein. Sie klang ziemlich gebrechlich am Telefon. „Die „Dr. ….“, wie heißt die noch gleich? Wie heißt sie, wie heißt sie…“ Ihre Ärztin? Was ist los, ist sie krank, braucht sie Hilfe? „Diese tolle Hautpflege, die sie immer dahaben. Da gibt’s eine Neue, wie heißt denn nochmal die Creme…“ Puh. Eine neue Gesichtscreme, na klar, auch da beraten wir immer gerne. Aber vielleicht dann doch lieber nicht im Notdienst. Man ärgert und/oder amüsiert sich vielleicht über solche Begegnungen, dennoch ist es einem lieber, als einen echten Notfall zu erleben.

Leider gibt es auch solche tatsächlich regelmäßig: Aufgelöste Eltern von kleinen Kindern mit Atembeschwerden, junge und alte Menschen mit Fieber, schmerzverzerrte Gesichter, die Hilfe benötigen. Dazwischen schleichen sich aber auch „Ich habe vergessen, ein neues Rezept für die Pille abzuholen.“ und „Wir brauchen die Pille Danach.“ ein. Auch ein Klassiker: „Ich wollte mein Rezept einlösen.“ Sonntagabend fällt Ihnen das ein? Ein gelbes Rezept. Von letzter Woche. Für Apothekenpersonal im Notdienst ist es superärgerlich, wenn wir von sowas aus dem Schlaf gerissen werden. Doppelt ärgerlich: Wir können in so einem Fall nicht weiterhelfen, dafür müsste erst einmal ein verschreibender Arzt oder eine Ärztin ein neues Rezept ausstellen. Dabei müssten diese eigentlich beim Aushändigen des Rezeptes bereits alles erklärt haben. Meine arme Kollegin.

Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen sie ihren Arzt oder Apotheker – idealerweise nicht im Notdienst!