Das lukrative Geschäft mit Arzneimittelfälschungen – Teil 1
Arzneimittelfälschungen betreffen sehr viele Indikationen sowie Darreichungsformen und bedrohen die öffentliche Gesundheit. Dementsprechend werden sie strafrechtlich verfolgt. Doch was überhaupt ist eine Fälschung? AMIRA klärt euch über die wichtigsten Fragen in einer zweiteiligen Mini-Reihe auf.
Zuletzt sorgte die Fälschung von Ozempic®-Pens für große Aufruhr. „Fälschungen von Ozempic® in deutscher Aufmachung identifiziert” – hieß es Anfang Oktober zunächst in einer Pressemitteilung des Regierungspräsidiums Freiburg und kurz darauf auf der Website der Arzneimittelkommission Deutscher Apotheker (AMK). Apotheker:innen und PTA haben diese Information zur Kenntnis genommen, gleichzeitig waren auch viele verwirrt: „Wieso gibt es Fälschungen in Zeiten von Securpharm?”.
Die Netzgesellschaft Deutscher Apotheker (NGDA) betreibt das Apothekensystem, über das sich Arzneimittel verifizierende Stellen an das Securpharm-System anbinden können. Der NGDA-Geschäftsführer konnte kurze Zeit nach Auftreten der Fälschungen die Apothekenteams beruhigen: „Das Securpharm-System funktioniert genau wie vorgesehen: Die durch die Behörden kommunizierten Produkte sind bei Verifikation im Securpharm-System auffällig. Apotheken sollten daher auf jeden Fall bereits im Wareneingang eine Verifikationsprüfung durchführen”, erklärte Christian Krüger gegenüber der Pharmazeutischen Zeitung (PZ). Denn grundsätzlich hat jede einzelne Packung eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels einen eindeutigen Code, verpflichtend seit Februar 2019. Wird versucht, diesen Code mehrfach auszubuchen, kommt es im Securpharm-System zu einer Alarmmeldung – und so konnte auch die Fälschung entdeckt werden.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und die AMK bitten die Apotheken, die Pens vor Abgabe auf ihre Echtheit zu überprüfen und damit das Siegel der Sekundärverpackung aufzubrechen. Packungen, die einen Alarm im Securpharm-System hervorrufen oder in anderer Weise auffällig sind, dürfen nicht abgegeben werden.
Insulin statt Semaglutid
Aktuelle Untersuchungen des Herstellers haben kürzlich ergeben, dass die gefälschten Pens nicht etwa das deklarierte Inkretin-Mimetikum Semaglutid, sondern Insulin enthielten. Daher wird vermutet, dass es sich um umetikettierte Insulinpens handelt. Außerdem wurde bekannt, dass in Österreich Ozempic®-Fälschungen bereits Patientinnen und Patienten erreicht haben und diese stationär behandelt werden mussten. Ohne ärztliche Hilfe hätte die Verwendung des gefälschten Medikamentes ein tödliches Ende gehabt, heißt es in einem Bericht der Deutschen Presseagentur (dpa). Doch wie konnten Fälschungen überhaupt in die Lieferkette gelangen? Fakt ist: Es ist komplizierter als gedacht.
Was versteht man unter einer „Fälschung”?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert unter einer Arzneimittelfälschung ein Arzneimittel, das in betrügerischer Absicht falsch gekennzeichnet wurde. Das bedeutet, dass zur Identität, den Inhaltsstoffen und/oder der Herkunft falsche Angaben gemacht werden. Der Begriff findet sich auch im deutschen Arzneimittelgesetz wieder – dort heißt es in § 4 Abs. 40 und 41:
- die Identität, einschließlich seiner Verpackung, seiner Kennzeichnung, seiner Bezeichnung oder seiner Zusammensetzung in Bezug auf einen oder mehrere seiner Bestandteile, einschließlich der Hilfsstoffe und des Gehalts dieser Bestandteile,
- die Herkunft, einschließlich des Herstellers, das Herstellungsland, das Herkunftsland und den Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen oder den Inhaber der Zulassung oder
- den in Aufzeichnungen und Dokumenten beschriebenen Vertriebsweg.
(41) Ein gefälschter Wirkstoff ist ein Wirkstoff, dessen Kennzeichnung auf dem Behältnis nicht den tatsächlichen Inhalt angibt oder dessen Begleitdokumentation nicht alle beteiligten Hersteller oder nicht den tatsächlichen Vertriebsweg widerspiegelt.
Der WHO zufolge können gefälschte Arzneimittel keinen Wirkstoff, den falschen Wirkstoff oder die falsche Menge des richtigen Wirkstoffs enthalten. Häufig enthalten sie auch Maisstärke, Kartoffelstärke oder Kreide oder beinhalten giftige Chemikalien oder sogar tödliche Mengen eines falschen Wirkstoffs. Oft werden die minderwertigen Produkte unter sehr schlechten und unhygienischen Bedingungen von unqualifiziertem Personal hergestellt, enthalten unbekannte Verunreinigungen und sind manchmal mit Bakterien kontaminiert. Auch können Verfallsdaten absichtlich verlängert und damit manipuliert werden.
Und solche Präparate, die keine Zulassung erhalten haben, dürfen natürlich auch nicht auf dem Markt verfügbar sein.
Welche Präparate sind von Arzneimittelfälschungen betroffen?
Laut WHO sind alle wichtigen therapeutischen Bereiche und jede Region der Welt und damit auch Deutschland von Arzneimittelfälschungen betroffen. Gefälscht werden nicht nur Lifestyle-Arzneimittel wie Potenz-, Haarwuchs- oder Schlankheitsmittel, sondern auch lebenswichtige Medikamente wie Krebsmittel, Blutdrucksenker oder Schmerzmittel.
Malariamittel und Antibiotika gehören zu den am häufigsten gemeldeten Arzneimittelfälschungen. Außerdem können sowohl Generika als auch innovative Arzneimittel gefälscht sein, von sehr teuren Krebsmedikamenten bis hin zu sehr preiswerten Schmerzmitteln.
Nach Angaben von Europol könnte die Motivation für (organisierte) kriminelle Gruppen, mit illegalen Arzneimitteln zu handeln, vermutlich in dem relativ geringen Risiko der Aufdeckung und dem vergleichsweisen geringen zu erwartenden Strafmaß bei gleichzeitigen außerordentlich hohen Gewinnaussichten liegen. Denn der mögliche Profit, der mit dem Handel von gefälschten Arzneimitteln zu erzielen ist, liegt höher als beim Drogenhandel: Mit einem Kilogramm des Lifestyle-Produkts Viagra lassen sich auf dem Schwarzmarkt vermutlich zwischen 90.000 und 100.000 Euro erzielen. Für Kokain hingegen erhält man „nur“ 65.000 Euro, für Heroin 50.000 Euro pro Kilogramm.
AMIRA fragt: Das ist der Hammer, oder? Hättest du gewusst, dass durch Viagra-Klone mehr Geld zu verdienen ist als mit Drogenhandel?
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