Neue Ernährungsempfehlungen: Die 3. Welt lässt grüßen

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat ihre Empfehlungen überarbeitet, die neue Devise lautet: „Bunt und gesund essen und dabei die Umwelt schonen.” Klingt gut, oder? Aber halt – unsere Apothekenspitzelin poltert ganz schön los. So kannten wir sie noch gar nicht... 

 Am Dienstag der Woche stellte die „Deutsche Gesellschaft für Ernährung“ ihre überarbeiteten lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen (Food-Based Dietary Guidelines, FBDG) für Deutschland“ vor. Die Devise lautet: Fleisch und tierische Produkte vermeiden wo es nur geht. Empfohlen werden ein Ei pro Woche, dazu 300 Gramm Fleisch – vorher waren es 600 Gramm, verteilt auf Wurst, Schinken und festes Fleisch. Fisch geht zweimal pro Woche. Auch die Empfehlungen für den täglichen Verzehr von Milchprodukten wurden zusammengestrichen, dafür die zum Genuss von Gemüse und Obst, Hülsenfrüchten, Nüssen, Vollkorngetreide und pflanzlichen Ölen erhöht.

Ab jetzt gilt: Maximal ¼ tierische Lebensmittel in der Ernährung, dafür mindestens ¾ pflanzlicher Herkunft. Denn: „Die Produktion von tierischen Lebensmitteln wie Fleisch und Milchprodukten belastet die Umwelt (…) stärker und ein hoher Fleischverzehr ist mit einem höheren Risiko für die Entstehung bestimmter Krankheiten verbunden“, so die DEG. Ausgetüftelt wurden die neuen Empfehlungen mit Hilfe eines mathematischen Modells, das Ernährungsgewohnheiten in die Kalkulation einbezieht, aber auch „Treibhausgasemissionen und Landnutzung bei der Berechnung der Mengen zum Lebensmittelverzehr berücksichtigt. 

Ganz ehrlich? Ich meine, die Empfehlungen zum Fleischverzehr sind irgendwas zwischen radikal und absurd.  

Der Mensch, ein Omnivore

Es gibt Leute, die meinen, dass Menschen Omnivoren sind und mit ihrer Alles(fr)esserei während des gesamten Evolutionsprozesses eigentlich recht gut gefahren seien. Wer alles essen kann, leidet weniger Mangel und erhöht seine Überlebenschancen. Klar ist, dass „alles“ nicht „wahnsinnig viel“ heißt. Maßvoll zu essen war schon immer eine Tugend. Der Körper verfügt über zwei wichtige Signale: „Hunger“ und „Appetit“. Hunger sagt, wann wir essen sollen, Appetit zeigt an, was. Man kann es auch so betrachten: Hunger verlangt nach Kalorien, Appetit nach Nähr- und Geschmacksstoffen. Wer das beachtet und nicht futtert wie ein Stahlarbeiter, obwohl er als Sabine-Normal-PTA eigentlich weniger Nahrung braucht, der macht schon mal was richtig, finde ich. Und überhaupt: Wieso eigentlich diese 300-Gramm-Gleichmacherei angesichts so unterschiedlicher Typen, Konstitutionen, Energiebedarfe, durch die wir Menschen uns auszeichnen? Ach ja – nur fürs Protokoll: Ich respektiere vegetarische und vegane Lebensweise übrigens uneingeschränkt…

Allerdings frage ich mich: Ist es wirklich Konsens in der Wissenschaft, dass der Verzehr von tierischen Produkten ein höheres Erkrankungsrisiko mit sich bringt? Manche bezweifeln das und verweisen bei der Ausbildung vermeintlich ernährungsbedingter Krankheiten auf die Macht der Gene. Andere führen Studien an, etwa eine große aus 2019 unter Beteiligung von Autoren des Cochrane-Instituts, die keine erhöhte Krebsinzidenz bei Verzehr von Fleisch gefunden hat. Und wieder andere sagen: „Ernährungsforschung. Weißt du überhaupt wie schwierig die ist?“ Meist handelt es sich nämlich um Beobachtungsstudien, die auf den Aussagen von Probanden zu ihrer Nahrungsaufnahme beruhen. Randomisierte kontrollierte Experimente (RCTs), der Goldstandard klinischer Studien, sind bei Ernährungsfragen aus ethischen Gründen und weil sie teilweise Jahre dauern, nur schwer möglich. Was ist, wenn Teilnehmer einer Forschungsreihe ein Jahr lang kein Fleisch essen sollen, aber hin und wieder „cheat-days“ einlegen und sich Currywurst und Mettbrötchen reinhauen? Mit Seufzer, weil das so gut schmeckt. Was sagt uns die Studie dann noch? Eben…

Reueloses Glücksgefühl beim Essen – darf das noch sein?

Apropos „reinhauen“. Meine Grundbedürfnisse – zu essen, wie ich´s mag – scheinen nicht mehr unantastbar zu sein. Dabei finde ich, beim Essen geht´s auch um Geschmack und Sinnlichkeit, um Freude und Lebensqualität. Ich will nicht bei jedem Happen Bratwurst das Gefühl haben, schon wieder was falsch zu machen. Es gibt Menschen, und ich kenne ein paar von ihnen, die nach dem Essen einfach nur satt und zufrieden sind. Angesichts der neuesten Ernährungsempfehlungen der DGE frage ich mich: Darf dieses reuelose Glücksgefühl eigentlich noch sein? Und noch mal fürs Protokoll: Ich habe tatsächlich auch auch mal Freude am Fasten…

Aber zurück zu den 300 Gramm: Ganz fatal werden die Empfehlungen zum Fleischverzicht womöglich, wenn Altenheime, Krankenhäuser, Spitäler, Kindergärten, Horte und Schulen der DGE folgen. Während wir Normalbürger – vorausgesetzt, es hapert nicht am Geld – weiterhin selbst entscheiden dürfen, wieviel Fleisch wir essen, bekommen Altenheimbewohner und Hortkinder die Fleisch-Mangelernährung vielleicht wirklich vorgesetzt, Ausweichen unmöglich, Blähbauch und Magengrummeln – der vielen Hülsenfrüchte wegen – aber gesichert. Was Vegetarier und Veganer in ihren besten Jahren prima vertragen, ist für ganz junge und ganz alte Menschen hartes Brot. Ob die Mangelkost die Entwicklung unserer Jüngsten fördert und den Bedürfnissen des Alters entspricht? Fraglich, jedenfalls für mich. Weil eine weitgehend fleischlose Ernährung aber billiger ist, wird sich mancher Altenheimbetreiber bestimmt die Hände reiben.

Zwischen Mittelmeerdiät und Dritter Welt

Wer´s positiv sehen will, sagt sich, dass die DEG-Ratschläge zum verstärkten Verzehr von Obst und Gemüse, Fisch und Öl ein Widerhall der seit Jahren gehypten Mittelmeerdiät sind. Man solle so essen wie die Spanier, Italiener, Franzosen, Griechen. Finde ich auch, denn deren Gerichte schmecken nun mal prima. Aber verzichten diese Nationen weitgehend auf Fleisch? Nein, tun sie nicht! Ich hab´ nachgeschaut. Laut „Statista“ verzehrten die Deutschen, deren Fleischkonsum im Übrigen seit Jahren rückläufig ist, im Jahr 2020 61,3 Kilogramm pro Kopf, die Griechen 51,1, die Italiener 58,6, Franzosen 67,2 Kilo und Portugiesen (auch wenn das keine Mittelmeeranrainer sind) 83,6 Kilogramm. Europameister sind unsere Nachbarn, die Österreicher, mit 98,8 Kilogramm. Leben die eigentlich kürzer als wir?

Ich glaube, es ist nicht die Sorge um die Gesundheit, die sich in den neuen Empfehlungen äußert, es ist die Angst vor dem Klimawandel. Ernährung ist für die DEG ab sofort eine Funktion des Klimaschutzes. Sagt sie ja selbst, siehe oben. Wir sollen möglichst wenig Fleisch essen, weil dessen Produktion dem Klima schadet. Die ganzen Kuh-Pupse – pures Methan! Der Wasserverbrauch! Die Verschwendung von Getreide für Viehfutter etc. pp.! Das alles muss, so meint die DGE wohl, konsequent vermieden werden. Deshalb die absurde und radikale Abkehr vom Fleischverzehr.

Absurd und radikal

Du meinst, das sei angesichts der ehrbaren Ziele zu hart ausgedrückt? Und fragst dich, warum ich immer unterstelle, die Empfehlungen der DGE seien zu knapp? 

Hmmm – schau´n wir mal: Multiplizieren wir die von der DGE wöchentlich zulässigen 300 Gramm doch mal mit 52 Wochen. Heraus kommen dann 15,6 Kilogramm Fleischkonsum pro Jahr. Definitiv liegt dieser Zahl nicht die Beachtung hiesiger Ernährungsgewohnheiten zugrunde, wie die DGE treuherzig bekundet. Ich finde eher, unsere Essgewohnheiten werden verspottet. Oder es ist im Kampf ums Klima einfach niemandem aufgefallen. Denn 15,6 Kilo pro Jahr, das ist nicht nur gut viermal weniger Fleisch, als die Deutschen heute im Durchschnitt essen, das liegt laut Wikipedia auch exakt zwischen dem jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von Guinea-Bissau (14,97 Kg, Platz 155 der Wikipedia-Liste) und Sambia (15,73 Kg, Rang 154 von 185 gelisteten Staaten), Ländern also, deren Einwohner - da gehe ich jede Wette ein - sicher gern mehr Fleisch äßen.

Ernährung in Deutschland? Die 3. Welt lässt grüßen! Absurd, oder?

Jetzt ist aber gut mit meinem Genörgel. Denn es stimmt ja: Es gibt gute Gründe, Maß zu halten, weniger Fleisch zu essen und dafür mehr Gemüse und pflanzliche Nahrung. Es gibt sogar ausgesprochen respektable Gründe, auf Fleisch ganz zu verzichten, ebenso wie auf tierische Produkte generell. Aber wer wieviel wovon und warum zu sich nimmt, das darf zum Glück noch jeder selbst entscheiden.

Bleibt eine letzte Frage: Für heute Abend ist laue Frühlingsluft angesagt. Lohnt es sich schon, den Grill anzuschmeißen…?

AMIRA sagt: Puuuhh, diese Apothekenspitzelin… Feuer frei für eure Kommentare!