Lauterbach und die Hitzetoten

Immer wieder rücken die Hitzetoten auf die Agenda des Bundesgesundheitsministeriums. Auch kürzlich hat uns Karl Lauterbach wieder daran erinnert. Wo bleiben die Klimaanlagen, fragt sich die Apothekenspitzel:in. Ist das alles wieder heiße Luft?

Vor einigen Tagen trat Gesundheitsminister Karl Lauterbach – wie so oft: besorgt – vor die Presse und erläuterte seine Pläne zum Hitzeschutz, mit denen er Schäden an Leib und Leben der Menschen in diesem Land abzuwenden gedenkt. Der Minister erläuterte, dass es in puncto Hitze „ein gefährlicher Sommer“ werden könnte. Generell sei die Hitze aufgrund des Klimawandels in Westeuropa mit seiner vergleichsweise alten Bevölkerung und vielen Menschen in Städten ein besonderes Problem. Meist seien es wenige Hitzetage, in denen aber Hunderte Menschen sterben. „An diesen Tagen müssen wir einfach mehr machen.“ Im vergangenen Jahr gab es laut Robert Koch-Institut 3200 Hitzetote nach 4500 im Jahr 2022. „Wir sind besser geworden“, sagte Lauterbach. 

Ich will die Dringlichkeit dieser Pläne gar nicht in Abrede stellen, aber wenn ich aus dem Fenster schaue, fällt da draußen gerade ziemlich viel Regen und die Temperaturen laden auch nicht zum direkten Gang ins Freibad ein. Das ist aber, wie ich gelernt habe, nur „Wetter“. Wenn´s dann richtig heiß wird, wandelt das Phänomen seinen Namen in „Klima“.

Die Bevölkerung insgesamt hat Lauterbach mit seiner Warnung aber gar nicht mal im Blick. Er und der Expertenstab, aus dem die Empfehlungen stammen, konzentrieren sich auf die Schwachen, was ja löblich und auch seine Aufgabe ist. Also auf alte Menschen, chronisch kranke Menschen, Kinder, allein Lebende oder Leute, die gepflegt werden müssen. Da ist es nur logisch, dass die Orte in den Blick geraten, an denen man diese Menschen trifft. Das sind Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, vor allem Altenheime. Die will der Minister hitzefest machen und empfiehlt, Maßnahmen zu ergreifen, die ohne größere bauliche Eingriffe ablaufen. „Vieles, was wirkt, ist nicht davon abhängig, das umgebaut wird“, sagte der Minister laut Deutscher Presse Agentur, und ließ einen seiner Experten die Vorzüge von Sonnenschutzrollos und UV-Folien in den Fenstern loben. Körperliche Aktivitäten wie Yoga oder Turnen sollten dann eher vormittags stattfinden, Gedächtnisspiele und Singrunden könnten die Bewohner am Nachmittag erfreuen. 

Der Hitzegipfel – vor allem „heiße Luft“

Das alles gefällt der Stiftung Patientenschutz nicht so richtig. Deren Vorsitzender Eugen Brysch, ein älterer Herr mit Brille und sehr schütterem Haar, warf Lauterbach und seinen Experten vor, dass das alles nichts nütze, solange kein Geld fließt. Es seien nämlich schlanke 1700 Kliniken und 12000 Alten- und Pflegeheime zu ertüchtigen, und zwar so, dass die Temperatur im Innern sommers nicht über 25 Grad steigt. „Ohne finanzielle Zusagen der Bundesregierung bleibt der Hitzegipfel nur heiße Luft“, sagte Brysch. Ein schönes Sprachbild, finde ich. 

Sind 26 Grad demnach potenziell lebensgefährlich? Wer schon mal gezwungen war, nachts 26 Grad und mehr zu erleben und dabei durchschlafen zu wollen, der weiß: das ist ganz schön schwer. Man wälzt und räkelt sich und schwitzen ist eine der leichtesten Übungen in solch einer Nacht. Unangenehm und für ältere Menschen sicher problematisch. 

Ich meine aber, dass man dagegen etwas tun kann, das wirklich hilft und recht flott für angenehme Temperaturen sorgt. Das habe ich erst wieder in unserem letzten Sommerurlaub erfahren, und es war so toll, dass ich mir geschworen habe, nie wieder ein Zimmer ohne diese Einrichtung zu buchen, wenn ich in den Süden fahre. Wovon ich rede? Von der Klimaanlage natürlich. 

Wo bleiben die Klimaanlagen?

Warum wird die eigentlich in die vielen neuen Alten- und Pflegeheime, die im Moment von Investoren infolge blendender Gewinnerwartungen hochgezogen werden, nicht obligatorisch eingebaut (oder werden sie vielleicht sogar…?). So ein Altenheimzimmer ist ja im Grunde nicht viel anders als ein Hotelzimmer. Klimaanlage rein und schon ist die Temperatur auf Wohlfühlniveau, wenn‘s mal wirklich heiß wird. Selbst für Heime, Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser, die bereits stehen, gibt es die Dinger. Die sind mobil, man kann sie herumfahren von einem Raum zum nächsten und sie kühlen ganz fantastisch, wenn auch etwas lauter als die fest installierten. 

Lauterbach hätte also auch sagen können: Wir unterstützen die Betreiber der Einrichtungen bei der Anschaffung von Luft/Luft-Wärmepumpen (das sind Klimaanlagen nämlich). Fertig. Alle glücklich. Ich wette, in Ländern südlich von uns sind Klimaanlagen in Heimen und Krankenhäusern weiter verbreitet als hier. Viel weiter verbreitet ... 

Hier aber wird das nichts, fürchte ich. Die Dinger brauchen ja Strom, und Strom zu erzeugen bedeutet, CO2 zu produzieren, jedenfalls beim heutigen Strommix in Deutschland. Das – so die geltende Erkenntnis – ist mies fürs Klima. Ich weiß nicht, ob ihr es schon mal gehört oder gelesen habt, aber trotz aller Windräder und Solaranlagen werden bei der Produktion von einer Kilowattstunde Strom hierzulande etwa 380 Gramm CO2 frei. In Frankreich irgendwas um die 60 Gramm, also sechs Mal weniger. Wie‘s kommt? Nun, in Deutschland wird nach wie vor viel Kohle, Gas und Braunkohle zur Stromerzeugung genutzt, Frankreich macht das im Wesentlichen mit Kernkraft.

Wir retten weniger Menschen als möglich

Aber bevor ich mich da verzettele – zurück zu dem, was ich eigentlich sagen wollte. Und das ist: Die wirklich tauglichen, weil sofort wirksamen Maßnahmen für die Temperaturregulierung in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, werden nicht genutzt. Weil‘s nicht sein darf, denn das könnte dem Klimawandel zuspielen. Oder anders gesagt: Mit den vorgestellten Maßnahmen rettet Lauterbach weniger Menschen das Leben als möglich wäre. Nochmal anders gesagt: Für den Kampf gegen den Klimawandel nimmt man mehr Hitzetote in Kauf als nötig. Ist das fair, frage ich euch?

Apropos Sommer – da war doch was? Richtig, Fußball-EM. Die wird AMIRA mit ein paar Artikeln begleiten, ist ja schließlich Heim-EM. Darauf freuen wir uns. Bestimmt freut sich auch Lauterbach. Aber natürlich macht er sich auch Sorgen, wegen der Hitze. In Kürze will er Maßnahmen vorstellen, wie die Fußball-Anhänger die erwarteten heißen Zeiten im Stadion oder beim Public Viewing ohne Gesundheitsschäden hinter sich bringen. 

Fans, die Woche für Woche in Ländern wie Mexico, Brasilien, Spanien, Italien, der Türkei oder Nigeria den Spielen beiwohnen, würden sich angesichts solcher Pläne – so sie denn von ihnen erführen – baff gegenseitig ins Gesicht blicken. Denn die wussten bis jetzt noch gar nicht, dass ihnen beim Match wegen der Gluthitze umgehend der Exitus droht.

Vielleicht würden sie sich aber auch einfach nur kaputtlachen über unseren Minister …