Ich und mein Yoga

Hast du auch Freunde oder Kollegen, die sagen, dass sie sich nicht mehr vorstellen können, ohne Yoga zu leben? Und deshalb, auch wenn sie nach einem langen Arbeitstag eigentlich schon ziemlich kaputt sind, später noch ins Studio wollen, weil der Kurs bezahlt sei und nicht billig?

Es stimmt, Yoga ist großartig. Obwohl die indische Lehre 5000 Jahre oder noch älter, ist sie derart zeitgemäß, als wäre es grade erst erfunden worden. Es könnte daher an der Zeit sein, mehr als Bahnhof zu verstehen, wenn von Asanas und Pranayana die Rede ist. Höchste Eisenbahn einem Phänomen auf die Spur zu kommen, das tatsächlich so viel mehr ist als nur eine weitere hippe Sportart.

Wichtige Worte vorab

Damit Yoga Spaß macht, muss man es richtig anpacken. Wer sich in einen Earlybird-Kurs zwingt und mit dem Sonnengruß den Tag beginnt, obwohl er der Typ Nachteule ist, verdirbt es sich selbst. Genau genommen ist Yoga ursprünglich vor allem ein geistiger Übungsweg konsequenter Askese, zu dem fast mehr nebenbei auch eine Reihe körperlicher Übungen und Atempraxis gehören. Bei uns im Westen sind aber vor allem die Körperübungen angekommen, was zu unserer rationalen Kultur passt, in der vor allem Leistung zählt und die Sehnsucht nach Entspannung und Entschleunigung groß ist.

Dass rund um Yoga blitzschnell eine ganze Branche entstanden ist, ist auch kein Wunder. Natürlich gehören dazu Yoga-Studios, Läden mit Matten, Meditationsbänken und Augenkissen. Aber ebenso eine ganze Batterie an Ratgeberliteratur, die unter anderem verspricht, das Rätsel der vielen Yoga-Stile zu lüften. Und so haben sich schon viele hoch motiviert eine Yogamatte gekauft, um sich dann endlos mit der Frage herumzuquälen, welcher Yogastil der Beste ist und welches Studio wirklich empfehlenswert.

Aber möglich wäre auch ein ganz anderer Weg.

Eure Unabhängigkeitserklärung

Genau an diesem Punkt kann man nämlich eins tun: Seine Unabhängigkeitserklärung machen. Wie geht das? Ganz einfach, indem man sich entschließt, den breiten Pfad zu verlassen und sich einen privaten Yogalehrer sucht. Den zu finden ist meist leichter als gedacht, denn viele Yogalehrer sind nicht bei einem Studio angestellt, sondern arbeiten dort freiberuflich nur eine bestimmte Zahl von Stunden. Drüber hinaus sind sie frei zu tun und zu lassen, was ihnen beruflich beliebt, und nicht wenige sind gerne bereit, privat zu unterrichten.

Das Ganze kostet am Anfang etwas mehr, denn die privaten Lehrer lassen sich ihren individuellen Service zu Recht gut bezahlen. Aber das Geld ist gut investiert, privater Unterricht hat eben mehrere Vorteile. Man muss zum Beispiel nicht bei Wind und Wetter zum Yogastudio, sondern bekommt Hausbesuche. Und wenn man groggy von der Arbeit kommt, gibt es nicht die Hürde zu überwinden, die Tasche zu packen, sich nochmal anzuziehen und raus zu gehen. Vor allem aber gibt es zu Beginn des Miteinanders wertvollen Raum für ganz persönliche Wünsche und Zeit, dem Yogalehrer zu erklären, was man mit dem Ganzen bezweckt und was eher keine Rolle spielt.

Wie wär´s mit einem Privat-Coach?

Natürlich sollte zu Beginn auch ein ausführlicher persönlicher Check des Yogalehrers stehen. Der klopft körperliche Fähigkeiten, Beschwerden und Grenzen ab, was später bei der Wahl der Übungen ein wichtiger Leitfaden ist. Und natürlich kommt jetzt auch die individuelle Übungssituation an die Reihe, die eigene Wohnung samt Ausstattung und Platzangebot oder der Park in dem man sich gerne aufhält. 

Und dann kann es ans Eingemachte gehen und im Wechselspiel aus Vorschlägen des Yogalehrers und persönlichem Feedback eine völlig Stil-unabhängige, individuelle Übungsreihe entstehen. Möchte man sich fordern und einen dynamischen Wechsel aus Boden und Standübungen machen, weil man zu Hause ist und sich nach einer kurzen Dusche schnell ins Bett fallen lassen kann? Oder sollen die Übungen nach einem anstrengenden Arbeitstag doch eher auf einer Baumscheibe oder einem Stuhl stattfinden, um auf einer bequemen Sitzgelegenheit das entspannende Synchronisieren von Atmung und Bewegung zu praktizieren?

Vom Reiz des Minimalistischen

Und hier wartet eine weitere große Chance. Denn wenn man fühlt, dass man soweit ist, kann man noch einen weiteren selbstbestimmten Schritt gehen und ein Yoga erforschen, dass manche Intuitives Yoga nennen. Denn besonders in letzterem Fall, dem meditativen und entspannten Synchronisieren von Atmung und Bewegung, liegt ein ungeahntes Potenzial bereit, das nur darauf wartet, erschlossen zu werden.
Jenseits des in vielen Yoga-Kursen und -Kreisen verbreiteten Ehrgeizes – dem Ringen um Ästhetik und die nicht selten Kraft zehrende Akrobatik – entfaltet sich gerade im Minimalistischen eine schwer zu beschreibende Wirkung. Die kann nicht nur den ganzen Körper erfassen, sondern wie nebenbei auch den Geist verwandeln. Gerade in diesen unspektakulären, auf das Wesentliche reduzierten Bewegungen, die so langsam ausgeführt werden wie möglich, entfaltet sich eine ungeheure Kraft.
Und zu dieser Erfahrung führen letztlich keine Erklärungen, nur Hinweise und grobe Tipps und das eigene Probieren. Um die Bewegung so extrem zu verlangsamen, hilft oft eine sanfte Pressatmung. Dazu werden die Lippen leicht aufeinandergedrückt und der Atem langsam mit kaum hörbarem Zischen durch die Lippen gepresst. Damit das Ganze weder zum Luftanhalten führt noch zu durch Atemnot erzwungenen schnellen Bewegungen, muss man geduldig üben, die extrem reduzierte Atmung und die unendlich langsamen Bewegungen aufeinander abzustimmen.

Das glaubst du nicht – bis du`s probierst…

Die Erfahrung, die hier zu machen ist, gehört zu denen, die man selbst gemacht haben muss, um zu verstehen, wovon die Rede ist. Das Gute daran ist: Man kann sie machen. Und es gibt sogar einen wissenschaftlich belegten und erklärbaren Effekt: Langsame Bewegungen und ruhiges Atmen signalisieren nämlich dem Vagusnerv, dem größten Nerv des Parasympathikus, dass „alles in Ordnung“ ist und „keine Gefahr“ droht, und der Vagusnerv schickt mehr oder weniger den gesamten Organismus in den Entspannungszustand. Um all dem teilhaftig zu werden muss man seine Eitelkeit vergessen und sich auf einen Stil einlassen, der nach außen keine Wirkung außer einer gehobenen Augenbrauen erzielt. Ganz einfach, weil die üblichen Erwartungen an die verbreitete Yoga-Optik nicht erfüllt werden. Wer sich davon nicht abhalten lässt, ist auf seinem ganz persönlichen Weg und dem Geheimnis auf der Spur.