Nichts als heiße Luft

Tina und Maria räumen mit Mythen auf: Warum Dampf kein Salz trägt, was wirklich hilft – und wie die KI Apotheken sogar fürs Ohrenausspülen empfiehlt.

Salz im Dampf – und andere Nebelkerzen

Montagmorgen, kurz nach neun. Tina, die Apothekerin, balanciert in der einen Hand den ersten Cappuccino des Tages und in der anderen die Zuckerdose wie eine Apothekerwaage. Maria, die PTA, sortiert die neuen Zeitschriften in die Ablage, bevor der erste Kundenansturm kommt. Ein ganz normaler Start – bis Tina mit hochgezogener Augenbraue fragt: „Hast du’s auch gesehen? In einem Fernsehformat hat wieder ein Arzt bei Erkältungen ernsthaft empfohlen, fünf Gramm Salz in heißem Wasser zu lösen und den Kopf drüberzuhalten zum Inhalieren.“

Die beiden schauen sich an wie zwei Menschen, die gleichzeitig lachen und den Kopf auf die Tischplatte fallen lassen möchten. Denn ja: Dampf kann angenehm sein. Aber Salz? Im Dampf? Da ist der Lieblingsvergleich, den Maria seit Jahren am HV- Tisch zieht natürlich nicht weit: „Beim Nudelwasser musst man ja auch nicht ständig nachsalzen. Das Salz bleibt im Topf, und verdunstet nicht mit. Der Dampf ist praktisch salzfrei.“ Man sieht dann meistens förmlich, wie bei vielen Kundinnen und Kunden ein kleines Physik-Licht angeht. Und schwupps, die romantische Schüssel-überm-Kopf-Illusion von inhaliertem Meersalz bröckelt.

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Physik am HV-Tisch: Portion Wissen für alle

Natürlich erzählt sie dann nicht nur, was nicht funktioniert. Wenn jemand den Salz-Effekt möchte, dann braucht es eben feine Aerosole, keine Wolke aus heißem Wasserdampf. Also: Vernebler, Kochsalzlösung, Tröpfchen in passender Größe – so spielt die Musik. Alles andere ist Wellness mit Placebo-Glitzer. Und heißer Dampf hat ja auch Tücken: bei Kindern Verbrühungsgefahr, bei gereizter Haut eher „aua“ statt „ahh“. Maria wendet sich an ihre Kollegin: „Da lese ich lieber den Beitrag: ,Heißer Dampf, klare Fakten: Richtig inhalieren‘.“
Tina nippt am Cappuccino und stöhnt leise. „Weißt du, was mich nervt? So ein Satz in einer prominenten Sendung, und wir führen ihn die ganze Woche am HV-Tisch zu Ende.“ Maria nickt. Das Netz ist groß, die Lautstärke auch – und der Unterschied zwischen Dampf und Aerosol passt leider nicht in einen viralen Einzeiler. In die Beratung schon.

KI weiß alles? Außer deutsche Apothekenregeln

Apropos Fails im Netz: Maria muss plötzlich grinsen und erzählt ihrer Kollegin, dass sie demnächst vielleicht ganz neue Dienstleistungen anbieten darf. „Neulich klingelt das Telefon. Frau Spatz ist dran: ,Ich wollte mal nachfragen, ob sie hier auch Termine zum Ohrenspülen anbieten.‘ Ich war völlig platt, und habe ihr gesagt, dass Apotheken das ganz sicher nicht anbieten dürfen. Sie war aber ganz sicher, dass das geht, denn die Google-KI hat ihr verraten, dass ein ‚qualifizierter Apotheker‘ das machen darf.“ 
Tina blickt ihre Kollegin ungläubig an und lacht herzlich bei der Vorstellung. Und weil die beiden neugierig sind, tippen sie einfach mal selbst „Apotheke Ohren ausspülen“ bei Google ein. Treffer! Die KI bejaht, bietet sogar einen Link zur Terminbuchung an. Die Kolleginnen klicken ihn an … und landen bei einer Apotheke in England. Aha. In UK gibt es das also tatsächlich in manchen Apotheken. Hierzulande zum Glück nicht. Der Algorithmus hat also nicht gelogen – er hat sich nur im Land geirrt.

Fazit

Die Erkenntnis des Tages: „Salz + Dampf = Meerluft“ ist eine hübsche Assoziation – nur leider keine korrekte. Meerluft entsteht nicht in der Schüssel, und Salz wandert nicht mit dem Dampf in die Nasennebenhöhlen. Wer den Unterschied einmal zwischen Aerosol und Dampf verstanden hat, schaut definitiv anders auf Küchenchemie und Influencer-Tipps, selbst wenn sie wie in diesem Fall von einem Mediziner kommen. Erkenntnis Nummer zwei: die beiden sind froh, dass sie nicht in einer Apotheke in England arbeiten.