Ich glaub‘, mich tritt ein Pferd!
„Do-it-yourself-Rezepturen“ sind bei manchen hoch im Kurs. Die Apothekenspitzelin ist nicht begeistert davon, versucht aber dennoch, wissenschaftlich zu beraten. Auch heute ist wieder Kopfschütteln angesagt.
Die einen vertrauen auf Expertenwissen, die anderen nehmen die Sachen selbst in die Hand. So wie meine Kundin: eine Pferdebesitzerin, ich schätze mal Mitte 40, die ihrem Tier natürlich nur das Beste geben will. Sie wollte qualitativ hochwertiges Wasser kaufen. Nach meinem Kurzreferat, dass die verschiedenen Wasserarten im Europäischen Arzneibuch sich im Hinblick auf mikrobielle Kontamination, Leitfähigkeit sowie vorgeschriebene Prüfungen unterscheiden, stellte sich heraus, dass sie ein Wasser der Sorte „irgendwas mit doppelt gereinigt oder so“ haben will. Aber es soll bitte keine Mineralien enthalten, denn dann würde das mit dem kolloidalen Silber nicht klappen.
„Für was brauchen Sie das denn?“
Das ist irgendwie meine Lieblingsfrage. Denn ab diesem Moment ändert sich alles, finde ich. Das Gespräch bekommt ab diesem Punkt eine neue Richtung. Sie erzählte mir, dass ihr Pferd regelmäßig Augenentzündungen hätte und sie ihm Augentropfen mit kolloidalem Silber herstellt. Ursache sei ihrer Meinung nach Staub durch Zugwind. „Ich möchte dem Tier nicht dauernd Antibiotika geben“, ergänzte sie. „Aha ok“, dachte ich mir. Mein Gesichtsausdruck muss sich wohl verändert haben, in dem Augenblick, nachdem ich das mit der Eigenherstellung gehört habe. Denn sie schaute mich an und fragte: „Wissen Sie überhaupt was kolloidales Silber ist? Also nicht böse gemeint, ist nur so eine Frage …“. Dann legte sie sofort los, bevor ich überhaupt etwas sagen konnte: „Da sind zwei Stäbe …“ – ja, ich weiß!
Kolloidales Silber besteht aus Nanosilber oder auch schwer löslichen Silberverbindungen oder deren flüssigen Dispersionen und hat eine Größe zwischen 1 und 100 nm. Wegen seiner antimikrobiellen Eigenschaften wurde es bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur Bekämpfung von Infektionen genutzt – damals standen die heutigen Antibiotika nicht zur Verfügung. Mit dem medizinischen Fortschritt rückte die Nutzung immer weiter in den Hintergrund, aber auch die hohen Herstellungskosten waren einer der Gründe.
Heute wird das Mittel in der Alternativmedizin eingesetzt und auf unseriösen Websites sogar als „Universal-Antibiotikum“ gehypt. Das ist natürlich wissenschaftlich nicht vertretbar oder besser ausgedrückt: Das ist Quatsch. Die Anwendung ist heute obsolet und es gibt keinen wissenschaftlichen Nachweis für die Wirksamkeit. Kolloidales Silber kann mechanisch, elektrolytisch oder rein chemisch hergestellt werden. Die Kundin erzählte was von Stäben und Elektroden, daher bin ich von einer elektrolytischen Methode ausgegangen.
Augentropfen aus dem Heimlabor – muss das sein?
Dass ich nicht von der Idee begeistert bin, hat sie definitiv gespürt. „Halten Sie nicht so viel von Alternativmedizin?“, fragte sie. Hin und wieder können alternative Methode ihre Daseinsberechtigung haben, doch ich muss gestehen: Ich bin nicht Feuer und Flamme für die Idee, Silber-Augentropfen fürs Pferd in den eigenen vier Wänden herzustellen. Denn langfristig angewendet, kann sich Silber in den Organen irreversibel ab- und einlagern, insbesondere auch am Auge. Dass die Hygiene- und Qualitätsanforderungen einer Rezeptur erfüllt sind, wage ich auch zu bezweifeln.
Höre ich das Wort „Augen“ – egal ob bei Mensch oder Tier – klingeln bei mir immer die Alarmglocken,. Nicht umsonst haben die Rezepturen für dieses Organ höhere Anforderungen, was Reinheit, Keimzahl etc. angeht. Aber wem sagen wir das, manche Kundinnen fühlen sich eben auch als Rezepturprofis. Naja, immerhin ist meine Kundin in die Apotheke gekommen und hat nach einem hochwertigen Wasser für die Pferde-Augen gefragt. Das muss man ja auch mal loben. Übrigens war mit dem „irgendwas mit doppelt gereinigt“ hochgereinigtes Wasser (Aqua valde purificata) gemeint. Denn dieses Wasser wird per Doppel-Umkehrosmose in Verbindung mit anderen geeigneten Techniken gewonnen. Isotone Injektionslösung wollte sie auf Anfrage wegen der Mineralien nicht haben. Wir hatten dann noch Gereinigtes Wasser da, das war aber auch nicht gut genug. (Aaaaaaaa! Können Sie sich jetzt mal entscheiden?!).
„Das ist ja einfach destilliertes Wasser wie aus dem Bauhaus“
Nach diesem Satz habe ich mich wie dieses WhatsApp-Emoji mit den rollenden Augen gefühlt, wollte auch so schauen, aber ich musste ja professionell bleiben. Zum Schluss hat sie dann doch die isotone Kochsalzlösung – trotz enthaltener Natrium- und Chlorid-Ionen – gekauft, welch ein Glück. Ich war erschöpft von dem ganzen Hin und Her und ihrer Beratungsresistenz. Die Kundin war übrigens zwischendurch auch nebenan im Supermarkt, in der Zwischenzeit sollte ich ihr die ganzen Wassersorten raussuchen, die wir vorrätig haben. Dadurch hat die Beratung gefühlt eine Stunde gedauert.
Darauf jetzt ein Glas Wasser. Auf die Gesundheit (auch die des Pferds)!