Das Schritte-Rätsel

Bewegung hält gesund, das wissen wir alle. Aber wie viel muss es sein? Dazu veröffentlichte eine Forschergruppe jüngst überraschende Erkenntnisse. Jetzt macht sich unsere Apothekenspitzelin Gedanken über die Zahl ihrer täglichen Schritte...

Als PTA weiß ich: Nicht nur die Zeiten ändern sich, sondern mit ihnen auch die Maßstäbe für ein gesundes Leben. Damit sammelte bereits Woody Allen seine Erfahrungen: In seinem Frühwerk „Der Schläfer“ wacht er nach Jahrzehnte langem Kunstschlaf in einer weit entwickelten Zukunft auf, in der ihm Wissenschaftler den neuesten Schrei in Sachen Gesundheit auftischen: Cremetorte und jede Menge Zucker. So wie Woody Allen fühlte ich mich auch ein wenig an der Nase herumgeführt, als ich jüngst hörte, was eine internationale Forschergruppe herausgefunden hat. Während es früher hieß, man solle mindestens 10.000 Schritte pro Tag gehen, um fit und vital zu bleiben, dampfte das Ergebnis ihrer Metastudie diese Empfehlung gehörig ein.

Die magische Zahl lautet nicht länger 10.000, sondern 3.967! Ja, richtig gehört, schon knapp 4.000 Schritte pro Tag sollen das Risiko für allerlei Krankheiten deutlich senken. Und das ist noch nicht alles! Bei Herz-Kreislauferkrankungen, den Killern schlechthin, kommen wir noch billiger weg. Schon 2.337 Schritte am Tag reichen, um das Risiko von Herzinfarkt und Co. um satte 15 Prozent zu senken. Meine Güte, wenn das meine Kunden erfahren. Man war ja nicht nur zu sich selbst streng und von schlechtem Gewissen geplagt, wenn man die magischen 10.000 nicht knackte. Man hat ja auch dem ein oder der anderen ins Gewissen geredet, von wegen: „Sie wissen ja, es reicht nicht, nur mal kurz um den Block zu gehen, wenn´s Sie was für Ihre Gesundheit tun wollen, dann müssen Sie sich schon ein bisschen mehr anstrengen…“

Ich selbst habe angesichts der hohen Hürden, pardon: weiten Strecken, die sich hinter den 10.000 Schritten versteckten, öfters einen klassischen Cheat-Day eingelegt. Eigentlich täglich, wenn ich ehrlich bin. Treppensteigen habe ich für gewöhnlich doppelt gezählt, wenn nicht dreifach. Außerdem: Renne ich in der Apotheke nicht schon genug? Künftig werde ich „auf der Stelle treten“ und „im Kreis laufen“ ebenfalls auf der Fitness-Habenseite verbuchen.

Angesichts der von den Forschern schrittgenau berechneten Gesundheitsvorteile stellt sich mir ein großes Rätsel: Wie viele zusätzliche Lebenstage erarbeite ich mir 4.378 Schritten, wieviel mit 5.681? 6.511 – was bringen die? Und ist man ab 11.275 vielleicht sogar immun gegen Corona? Vor meinem geistigen Auge taucht ein näselnder Gesundheitsminister auf, der im rheinisch gefärbten Singsang eine neue Ära des Gesundheitsbewusstseins heraufbeschwört: „Liebe Leute, zählt eure Schritte, lauft um euer Leben…! Das spart den Krankenkassen sehr viel Geld!“

Mehr hilft mehr!

Und wisst ihr was? Er hätte damit sogar Recht. So statuieren es die Forscher. Nicht in Sachen Corona vielleicht, aber doch im Großen und Ganzen. Denn was uns unser Alltagsinstinkt und schon immer sagte, das stimmt auch dieser Studie zufolge: Wer sich mehr bewegt, mehr Schritte zurücklegt, der minimiert seine Gesundheitsrisiken deutlich. Im Grunde zählt jeder einzelne Schritt, egal, ob es am Ende des Tages 3aaa, 4bbb, 6xxx oder 7yyy sind. Insofern waren meine aufmunternden Worte zu Kunden, sich bestenfalls mehr zu bewegen, auf jeden Fall richtig. Viel, so könnte man in diesem Fall sagen, hilft viel. Insoweit nicht Neues unter der Sonne. Ich hoffe nur, dass die frohe Botschaft von den schon wenigen hilfreichen Schritten nicht kontraproduktiv wirkt: Was ist, wenn jetzt alle, die das 10.000er-Ziel fest im Blick hatten, ihr Pensum – vermeintlich mit dem Segen der Wissenschaft – deutlich zurechtstutzen? Ein schönes Thema für die Beratung, finde ich...

Übrigens: Die 10.000 Schritte von einst kamen gar nicht aus der Wissenschaft. Sondern vom japanischen Hersteller eines mechanischen Schrittzählers aus den 60er Jahren. Der war vierstellig und schlug bei 9.999 Schritten wieder um auf die 0. Oder anders gesagt: Die magischen 10.000 waren schon immer bloß Marketing.

Jetzt hege ich die Hoffnung, dass die Forschung mit weiteren gewissenserleichternden Erkenntnissen aufwartet. Etwa der, dass Woody Allen bestätigt wird und Sahnetorte oder Gummibärchen-Tüte ihre Unbedenklichkeitsbescheinigung erhalten. Dafür würde ich die Zahl meiner täglichen Schritte auch glatt noch mal erhöhen...

AMIRA fragt: Wie sieht´s mit euch aus? Seid ihr über das Ergebnis der Studie, dass schon knapp 4.000 Schritte die Gesundheitsrisiken deutlich reduzieren, erleichtert? Teilt es uns in den Kommentaren mit!