Digital verordnet, analog verzweifelt

E-Rezepte? Eigentlich lief‘s endlich rund – doch jetzt häufen sich wieder Störungen, Frust und Missverständnisse. In der Kolumne erzählt die Apothekenspitzel:in von ihren täglichen Erlebnissen hinter dem HV-Tisch.

Das E-Rezept und der tägliche Wahnsinn

„Na toll“, sagt Ilka und legt die Gesundheitskarte mit einem genervten Blick auf den HV-Tisch. „Heute Vormittag lief noch alles wie geschmiert – und kaum bin ich in der Nachmittagsschicht, geht wieder gar nichts! Am besten gehe ich gleich nach Hause, mir reicht es jetzt schon wieder!“

Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll, denn ich verstehe sie nur zu gut. Eigentlich war es in den letzten Monaten wirklich angenehm ruhig geworden mit den E-Rezepten. Die Zeiten voller Serverausfälle, Abrufprobleme und totalem Chaos schienen endlich vorbei, die Kinderkrankheiten des Systems beseitigt. Doch seit ein paar Wochen kommt es uns vor wie ein Déjà-vu: mal funktioniert der Abruf überhaupt nicht, mal dauert er gefühlt eine halbe Ewigkeit – und immer wieder stehen Kund:innen vor uns, die kein Verständnis für technische Probleme haben. Warum auch? Von außen sieht alles normal aus – dass die Gematik mal wieder bundesweit zickt, wissen ja nur wir.

Server down, Stimmung auch

„Dann geh ich eben in eine andere Apotheke, wenn Sie das nicht hinbekommen“, sagt heute gleich der erste Nachmittagskunde mit hochgezogenen Augenbrauen, dreht sich um und stolziert aus der Offizin. Ilka schaut ihm hinterher und murmelt: „Na, viel Spaß. Da läuft‘s vermutlich auch nicht besser.“

Früher war die große Frage immer: „Liegt es an uns oder an der Gematik?“. Inzwischen kennen wir die Antwort oft ziemlich schnell. Die Seite mit den aktuellen Störungen ist längst unter unseren Favoriten gespeichert und dank des WhatsApp-Kanals der Gematik wissen wir inzwischen schneller als man „Telematikinfrastruktur“ sagen kann, bei wem es seit wann gerade wieder hakt – und wann wir endlich wieder E-Rezepte abrufen können, weil das Problem beseitigt wurde.

Zum Glück haben wir unsere Apotheken-App. Damit können wir wenigstens noch über das Apothekenhandy die Gesundheitskarte einlesen und das Rezept in unseren Shop übertragen. Dauert zwar mindestens viermal so lange, aber besser als den Kund:innen zu sagen: „Tut uns leid, Sie müssen morgen nochmal kommen.“

Wenn Patient:innen und Technik aneinander vorbeireden

Was zusätzlich nervt: Viele Patient:innen haben immer noch nicht verstanden, wie das mit dem E-Rezept überhaupt funktioniert. Klassiker Nummer eins: Quartalsanfang. Patienten bestellen ihre Medikamente beim Arzt oder bei der Ärztin auf dem Rezept-Anrufbeantworter telefonisch vor, wundern sich dann aber bei uns, dass auf der Karte noch nichts steht. „Waren Sie denn schon in der Praxis in diesem Quartal?“ – „Nein, aber ich hab‘ doch extra angerufen! Muss ich da jedes Mal mit der Karte hingehen?“

Oder der Moment, wenn jemand mir wortlos die Karte hinhält, nichts drauf ist und dann losschimpft: „Aber Ihre Kollegin hat doch heute Morgen gesagt, sie bestellt mir das!“ – „Dann liegt das Rezept vermutlich jetzt im Abholfach. Wenn es schon eingelöst wurde, dann ist es doch nicht mehr auf der Karte!“ Oder die ganz beliebte Szene: „Der Arzt weiß, was ich brauche, der hat ihnen das bestimmt schon geschickt.“ – „Der Arzt schickt es nicht an uns, der stellt es zum Abruf bereit. Haben Sie denn die Gesundheitskarte dabei?“ – „Nein, die liegt zu Hause. Können Sie das nicht einfach hier nachgucken? Ich hab doch ein Kundenkonto hier!“ – Klar, wir sind ja auch Hellseherinnen und wissen genau, was der Arzt aufgeschrieben hat.

Lichtblicke im Systemchaos

Aber wir wollen nicht nur schimpfen. Es gibt auch Vorteile: Wenn ein Kunde vor uns steht und das Rezept fehlerhaft ist, weil sich beispielsweise sich seine Medikation geändert hat, dann kann der Arzt oder die Ärztin das Rezept direkt anpassen – ohne dass der Patient nochmal extra in die Praxis muss. Das ist wirklich praktisch und spart viel Zeit.

Ilka und ich wünschen uns am Abend, als alles wieder funktioniert trotzdem, dass sich die Abrufprobleme bald wieder normalisieren. Denn es ist frustrierend, wenn die Kund:innen denken, wir wären zu doof, ihre Rezepte einzulesen – während der Fehler eigentlich ganz woanders liegt. Und wenn es dann plötzlich eine Stunde später bei einer anderen Kollegin doch klappt, sagen manche: „Sehen Sie! Geht doch! Lassen sie sich mal erklären, wie man das macht.“ Ja. Ging. Weil die Gematik endlich wieder gesendet hat. Nicht, weil wir plötzlich das Einlesen gelernt hätten ... Aber morgen ist auch noch ein Tag. Und vielleicht – nur vielleicht – läuft‘s dann mal wieder ohne Drama.