Ich bin kein 24/7-Apothekenbot mit Chatfunktion
Zungenfotos zu Kaffee und Kuchen, Preisvergleiche aus dem Urlaub und Zehenbilder beim Abendtee: Die Apothekenspitzel:in erklärt, warum sie keine Lust mehr auf WhatsApp-Gesundheitsberatung hat und bittet um Hilfe.
Feierabend heißt Feierabend – auch für Gesundheitsfragen
Kaum bin ich zu Hause ein wenig zur Ruhe gekommen und habe den Arbeitstag hinter mich gebracht, trudelt die nächste WhatsApp-Nachricht ein. „Hallo, mein Neffe hat das am Zeh, was kann meine Schwester aus der Apotheke holen? “ – ohne Kontext, dafür mit einem unappetitlichen Foto. „Du, ich hab da so ein Brennen im Magen – was kann ich da nehmen?“ Willkommen in meinem Feierabend.
Ich bin leidenschaftliche Apothekenmitarbeiterin und offenbar auch die private Notfallnummer für alle medizinischen und pharmazeutischen Fragen im Freundes- und Familienkreis. Ich liebe meinen Beruf, wirklich. Aber manchmal frage ich mich, ob ich nicht doch lieber Bestatterin oder Tiefseetaucherin hätte werden sollen. Da unten fragt wenigstens niemand nach dem Unterschied zwischen Ibuprofen und Paracetamol.
Bitte keine Zungenfotos mehr um 21:48 Uhr
Es ist erstaunlich, wie selbstverständlich Menschen Fotos von Körperteilen schicken, ohne vorher zu fragen. Mein Onkel zum Beispiel: „Ich möchte nicht zum ärztlichen Bereitschaftsdienst, kann ich was Rezeptfreies aus der Apotheke bekommen?“ – begleitet von einem Bild der Zunge seines Sohnes mit Mundsoor. Ich habe wirklich schon viel gesehen, aber manchmal möchte ich einfach nur mein Handy wegwerfen.
WhatsApp ist mein zweites Beratungstool geworden. Nur leider ohne Öffnungs- bzw. Schließungszeiten. Ob Samstagabend, Sonntagmorgen oder kurz vor Mitternacht – irgendwer hat immer eine Frage. Und oft die Erwartung, dass ich sofort oder zumindest zeitnah antworte. Schließlich bin ich ja „vom Fach“. Dass ich vielleicht gerade versuche, mein eigenes Leben zu leben, scheint nebensächlich.
Ein Bekannter brachte es neulich auf den Punkt:
„Bei der Berufswahl ist es eigentlich nur wichtig, dass ihr nichts lernt, was eure Freunde und Verwandten privat gebrauchen können.“
Ich musste lachen – und gleichzeitig schmunzeln. Denn genau so fühlt es sich an. Mein Wissen ist offenbar Allgemeingut geworden. Kostenlos und jederzeit abrufbar, versteht sich.
Zerbrochene Antibiotikum-Flasche: Was tun?
Langweilig wird es bei meinen WhatsApp-Beratungen nicht. „Mein Sohn hat das Antibiotikum auf den Boden geworfen und nun ist die Flasche kaputt. Kann ich stattdessen das nehmen?“, fragte mich neulich ein Freund. Dazu schickt er mir ein Foto eines anderen antibiotischen Saftes. Oder die Schwägerin aus dem Urlaub: „Hey, wie viel kostet das in Deutschland?“. Es geht nicht nur um die Fragen, sondern um die Selbstverständlichkeit, mit der sie gestellt werden. Ohne Rücksicht auf Uhrzeit, Kontext oder meine eigene Belastung.
Foto: iStock / Thx4Stock
Ich bin nicht die Gesundheits-Hotline eurer Familie
Liebe Freunde und Familie, ich habe auch ein Privatleben: mit einem kleinen Kind, wenig Schlaf und dem Wunsch nach ein bisschen Ruhe. Ich möchte nicht mitten in der Nacht oder auch am Nachmittag entscheiden müssen, ob ein Zeh entzündet ist oder ein Antibiotikum durch ein anderes ersetzt werden kann. Ich möchte respektiert werden – als Fachkraft und als Mensch. Dass die Leute das nichts selbst merken, finde ich schwierig.
Anscheinend muss ich besser meine Grenzen ziehen, aber wo fange ich an und wo höre ich auf: Eltern, Schwiegereltern, Schwägerin, Onkeln, Tanten, gute Freunde, alte Freunde, Cousine …? Ich habe mir überlegt, dass ich eine gedankliche Prio-Liste für mich erstelle und danach handle. Notfalls muss ich das schriftlich festhalten und bei Bedarf nachlesen. Dann vermeide ich vielleicht die emotionale Falle, wenn ich mal NEIN sagen muss. Denn manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich nicht antworten kann bzw. will.
Geben und Nehmen – oder nur Nehmen?
Versteht mich nicht falsch: Ich helfe gerne. Wenn jemand wirklich Rat braucht, bin ich da. Aber es wäre schön, wenn es ein Geben und Nehmen wäre. Natürlich brauche ich selbst auch mal Unterstützung, dann gehe ich aber anders vor und frage beispielsweise erst nach den Kapazitäten der Person. Manche melden sich nur, wenn sie etwas brauchen. Kein „Wie geht’s dir?“, kein „Danke“. Nur Fragen. Und das Gefühl, dass ich nie wirklich Feierabend habe. Außerdem muss ich selbst einige Dinge recherchieren, das kostet Zeit und ist mit Aufwand verbunden.
Ab sofort lautet mein Appell an alle Fragenden: Ich bin gerne für euch da – zu den richtigen Zeiten und mit der nötigen Ruhe. Denkt daran, dass auch wir mal abschalten wollen. Dass wir nicht nur Fachkräfte, sondern auch Menschen sind. Mit einem Leben außerhalb der Apotheke. Und mit dem Bedürfnis, einfach mal nicht über Salben, Tabletten und Wechselwirkungen zu sprechen. Aber bitte hört auf, mich ungefragt mit medizinischen Fragen und Bildern zu bombardieren. Ich bin keine Notfallapotheke mit 24/7-Service.
Danke.
Ich bin der Überzeugung: Wir dürfen auch mal „Nein“ sagen. Oder zumindest „Morgen wieder“. Denn auch wir brauchen mal eine Pause. Nach einem anstrengenden Tag bin ich oft auch k.o. und möchte mal abschalten. Solche Nachrichten sind einfach kontraproduktiv, ich habe auch keine Lust, immer für alle da zu sein. Hat jemand einen Tipp für mich, wie ich mich besser vor dieser Belastung der WhatsApp-Beratungen schützen kann? Wie kann ich mehr von meinen Mitmenschen respektiert werden – mache ich etwas falsch?
AMIRA fragt: Hast du ähnliche Erfahrungen gemacht? Schreibe deine Meinung und Ratschläge in die Kommentare!