Wo früher eine Salbe lag, liegt jetzt ein Schnitzel
Vom Rezept zum Rahmschnitzel: Die Apothekenspitzel:in erzählt, wie aus einer ihr bekannten Apotheke ein Imbiss wurde – und warum dieser Wandel nicht nur den Standort, sondern auch ihre Gedanken zur Zukunft verändert hat.
Von der Offizin zum Frittierfett
Ich hatte diesen Montag wieder meinen halbjährlichen Kontrolltermin bei meiner Gynäkologin. Die Praxis liegt im zweiten Obergeschoss eines kleinen Ärztehauses, das ich seit Jahren kenne. Doch diesmal war etwas anders. Ich kam wie immer durch den Haupteingang, blickte ins Erdgeschoss – und blieb stehen. Wo früher die „Stadt-Apotheke“ war, leuchtet mir nun ein rotes ein Schild des Schnitzel-Imbisses entgegen.
Ich musste zweimal hinschauen. Ein Imbiss. Dort, wo kranke Menschen früher Rezepte eingelöst haben und das Apothekenteam hochwertige pharmazeutische Beratung am HV-Tisch geleistet und Arzneimittel abgegeben hat. Ich war traurig. Und ehrlich gesagt: auch ein bisschen erschüttert.
Die langsame Leere
Die Stadt-Apotheke war lange ein fester Bestandteil des Hauses. Ich erinnere mich noch gut an die freundliche Inhaberin, die immer ein Lächeln für ihre Kund:innen hatte. Doch mit der Zeit wurde es ruhiger. Ich habe oft beim Vorbeigehen durch die Scheibe geschaut – und jedes Mal war ein bisschen weniger da. Die Regale wurden leerer, die Zahl der Mitarbeitenden nahm ab. Ich hatte es geahnt, doch es traf mich dennoch.
Irgendwann war die Offizin ganz leer. Man konnte durch die Schaufenster bis zur Kellertreppe sehen, die vorher durch die Einrichtung verborgen war. Dann kamen die Bauarbeiten. Wochenlang war alles verhüllt. Und nun? Ein Imbiss. Mit Fritteuse statt Rezeptscanner.
Zahlen, die weh tun
Was ich da gesehen habe, ist natürlich kein Einzelfall. Das Apothekensterben in Deutschland ist real und es nimmt Fahrt auf. Laut aktuellen ABDA-Zahlen ist die Zahl der Apotheken in Deutschland zur Jahresmitte 2025 auf 16.803 gesunken. Das entspricht einem Rückgang von 238 Apotheken seit Ende 2024. Im ersten Halbjahr 2025 standen 271 Schließungen lediglich 33 Neueröffnungen gegenüber. Eine aktuelle Erhebung der Pharmazeutischen Zeitung bei den Landesapothekerkammern zeigt: Auch im dritten Quartal 2025 setzt sich der Negativtrend fort. Zwar liegen noch nicht aus allen Bundesländern vollständige Daten vor, doch die bisherigen Zahlen lassen keinen Zweifel am anhaltenden Rückgang.
Seit 2020 ist damit jede zehnte Apotheke verschwunden. Die Gründe kennen wir alle: Bürokratie, Online-Konkurrenz, fehlender Nachwuchs und eine chronische Unterfinanzierung.
Gedanken zur eigenen Zukunft
Ich bin selbst Teil eines funktionierenden Apothekenteams, wo das Arbeitsklima toll ist (das gibt es heutzutage ja auch immer seltener ...). Ich liebe meinen Beruf, aber wenn ich ehrlich bin, frage ich mich: Wie lange noch? Ich frage mich:
Wird meine Apotheke auch irgendwann einem Bubble-Tea-Laden oder einem Nagelstudio weichen müssen?
(Bildquelle: istock/Frazao Studio Latino)
Die Politik diskutiert Reformen, aber viele Kolleg:innen fühlen sich allein gelassen. Die Versorgung wird dünner, die Wege für Patient:innen länger. Und wir? Wir kämpfen täglich mit Lieferengpässen, Rezeptfehlern und der Bürokratie. Wie die Zukunft der Apotheken aussehen wird, ist ungewiss.
Neulich saß ich mit meinem Mann am Essenstisch, da haben wir uns über dieses Thema unterhalten. Ich sagte ihm: „Wenn das so weitergeht, machen wir bald ein Café auf. Wir entwickeln dann eine Kaffeesorte für Leute Ü30, mit integriertem Ibuprofen und werden endlich reich. Und schmerzfrei natürlich“. Wir lachten, aber es war ein bitteres Lachen.
Vom Rezept zum Rahmschnitzel
Ich gönne jedem Unternehmer seinen Erfolg. Auch dem neuen Imbissbetreiber. Aber ich kann nicht anders, als beim nächsten Kontrolltermin wieder traurig auf das Erdgeschoss zu blicken. Die Stadt-Apotheke war mehr als ein Laden. Sie war ein Ort der Versorgung, des Vertrauens, der Begegnung.
Jetzt riecht es nach Frittieröl statt nach Salbe. Und ich frage mich: Was kommt als Nächstes? Und wie können wir verhindern, dass noch mehr Apotheken verschwinden – und mit ihnen ein Stück Gesundheitsversorgung?
AMIRA fragt: Hast du eine ähnliche Erfahrung gemacht? Was sind deine Beobachtungen zum Apothekensterben? Schreibe deine Meinung in die Kommentare!